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Bildungsmethoden"Lernpsychologisch ungünstig"

Diktate werden nicht objektiv benotet und helfen Kindern auch nicht beim Schreiben lernen, sagt die Didaktik-Professorin Petra Hüttis-Graff.

Diktat: nicht die beste Methode, Rechtschreibung zu lernen, findet die Didaktik-Professorin. Bild: ap
Kaija Kutter
Interview von Kaija Kutter

taz: Frau Hüttis-Graff, die neuen Bildungspläne für die Grundschule sehen keine benoteten Diktate mehr vor. Ist das sinnvoll?

Petra Hüttis-Graff: Ja. Die Beurteilung von Diktaten ist nicht lernförderlich und nicht objektiv. Nicht mal in der Frage, wie viele Fehler ein Lehrer zählt. In einer Studie haben mehrere hundert Lehrer das gleiche Diktat bewertet, und in dem selben Text zwischen zwei und elf Fehler gefunden. Die Note schwankte zwischen 2 und 5.

Das klingt ungerecht. Aber lehrt es nicht trotzdem etwas?

Untersuchungen haben gezeigt, dass Rechtschreibung anders gelernt wird. Es funktioniert nicht durch reines Einprägen und Auswendiglernen von Wörtern. Die Kinder müssen sich die Spielregeln der Rechtschreibung erarbeiten, beispielsweise wie man erkennen kann, dass in einem Wort ein Doppelkonsonant vorkommt. Sie müssen das System verstehen, wie unsere Schrift tickt.

Und dabei schaden Diktate?

Klassendiktate sind lernpsychologisch ungünstig, weil sich immer dasselbe wiederholt. Kinder, die stressempfindlich sind, die keine Unterstützung von zu Hause bekommen, sind die Verlierer. Kommen mit dem Zeitdruck nicht zu recht. Insofern sind Diktate sehr belastend für immer dieselben Kinder und bestätigen dem Lehrer nur, was er schon weiß. Hinzu kommt: Bei der Bewertung zählen Lehrer die falschen Wörter und nicht nur das im Unterricht geübte Rechtschreibthema. Die Art der Rechtschreibschwierigkeiten, grundlegende oder spezifische Probleme, Geübtes oder Ungeübtes, spielt dabei keine Rolle.

Gibt es sinnvolle Varianten?

Ja, wenn sie nicht als Selektionsinstrument dienen. Wenn Lehrer sie nutzen, um zu sehen, wo die Kinder Schwierigkeiten haben, oder wenn Kinder in Partnerdiktaten bestimmte Wörter üben. Es gibt auch viele Möglichkeiten, die traditionelle Form zu entschärfen. Beispielsweise wenn Kinder nachschlagen können oder wenn sie den Text vorher sehen, so dass sie sich nicht nur an der Aussprache des Lehrers orientieren können. Oder die Klasse übt gezielt Groß- und Kleinschreibung und dies wird im Lückentext abgefragt.

Kritiker reden von einem "Diktat-Verbot".

Das wundert mich. Schon in den Hamburger Bildungsplänen von 2004 waren Diktate zur Leistungsmessung nicht mehr vorgesehen. Was nicht heißt, dass Lehrer keine Diktate mehr schreiben.

Es heißt, die Kinder könnten dabei Zuhören lernen.

Aber sie lernen nicht Rechtschreibung durch Zuhören. Es gibt Lehrer, die ganz deutlich artikulieren, damit die Kinder die Wörter richtig schreiben. Aber unsere Schrift ist kein Abbild der Artikulation: den Unterschied von Rad und Rat kann man nicht hören, man muss nachdenken oder es wissen.

Und Konzentration?

Natürlich müssen Kinder Konzentration lernen. Die entsteht aber nicht in so einer Disziplinarsituation. Es ist den Kindern beim Diktat ja sogar verboten, über Wörter nachzudenken oder sie nachzuschlagen.

Lässt sich messen, ob Kinder richtig schreiben?

Es gibt die Möglichkeit von Rechtschreib-Tests, bei denen die Kinder nur ein paar Sätze schreiben und Wörter richtig einsetzen müssen - ohne Zeitdruck. Und man kann Kindern Gelegenheit geben, am nächsten Tag einen Text noch mal anzugucken und mit Hilfe des Wörterbuchs auf richtige Schreibweise zu achten. Das entspricht der Art, wie Texte in der Erwachsenenwelt heute entstehen: Manuskripte für Bücher werden in einem gesonderten Schritt Korrektur gelesen.

Betriebe klagen über fehlende Rechtschreibkenntnisse von Schulabgängern.

Auch in der Pädagogik gibt es Moden. Zu meiner Schulzeit wurde Rechtschreibung sehr, sehr wichtig genommen. In den 80ern war das Textschreiben wichtiger. Erst vor etwa 15, 20 Jahren erkannten Forscher, wie Kinder Rechtschreiben lernen und dass wir Rechtschreibung von Anfang an ernst nehmen müssen. Die Schulabgänger, von denen hier die Rede ist, hatten davon noch nicht profitiert.

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3 Kommentare

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  • A
    augenblickmal

    Ich verstehe die beiden Kommentare von Lehrer Lempel und Peter nicht. Es wird durch diese Maßnahme einfach der Druck von den Schülern genommen – das ist doch zuerst mal nicht schlecht, denn Druck erzeugt Gegendruck bzw. Frustration. Wer Kinder hat weiß doch genau – irgendwann lernen alle Kinder die Rechtschreibung. Es dauert meistens bis zur 8. Klasse oder eben bis zum Erwachsenenalter. Man muss sich immer wieder bewusst machen: wir reden hier über 6-10 jährige Kinder, die in der Grundschule aus vielen Nationen und unterschiedlichen Haushalten kommen. Eine andere Frage stellt sich mir immer wieder bei dieser Diskussion: warum legen wir eigentlich so viel Wert auf die Rechtschreibung? Würden wir mehr Wert auf die sozialen Kompetenzen legen, würde unsere Welt eventuell anders aussehen. Beurteilen wir einen Menschen nach dem Abschneiden im Diktat? Ist ein Kind dümmer als ein anderes Kind, wenn es ihm auf den Inhalt ankommt und nicht auf die Interpunktion. "Einstein hatte !nicht nur! ne' 5 in Mathe, und war später total genial." Das ist doch eine verkehrte Welt, in der die Form in dieser Altersstufe so wichtig genommen wird.

  • LL
    Lehrer Lempel

    Ja, ist denn heute der 1. April???

    'Erst vor etwa 15,20 Jahren erkannten Forscher, wie Kinder Rechtschreiben lernen...'??? Vorher fielen die Schriftstücke vom Himmel? Oder ein paar Schriftkundige? Meine Großmutter machte weniger Fehler als heutige Gymnasiasten...wie kann das bloß sein???

    'Diktate helfen nicht beim Schreiben lernen'??? Natürlich nicht! Sie PRÜFEN und BESTÄTIGEN die hoffentlich vorher im Unterricht erworbenen Schreibfertigkeiten.

     

    'Die Kinder sollen sich die Spielregeln der Rechtschreibung erarbeiten'??? Eine Wortschreibung schlicht auswendig zu lernen ist zu schwer - aber die abstrakten (und mit vielen Ausnahmen versehenen) Regeln mit so alltäglichen, kindgemäßen Überlegungen wie 'Doppelkonsonant' begreifen sie? Grundschüler?? Möglichst noch mit Deutsch als Zweitsprache??? Ganz bestimmt.

     

    Bei allem Respekt vor der Karriere der Professorin - einen größeren Blödsinn habe ich lange nicht gelesen.

  • P
    Peter

    Natürlich sind die stressempfindlichen Kinder, die von zuhause keine Unterstützung kriegen die Verlierer, nicht nur beim Diktat.

     

    Allerdings führt an der Binse, daß Lernen auch mit Fleiß und Bemühung zu tun haben, kein Weg vorbei. Insbesondere bei ihrem bildungsfernen Klientel scheint es daran zu hapern.

     

    Vielleicht sollten die Lehrer Kopfstände machen, oder die Diktate gleich selbst schreiben?