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Entsorgungskrise in NeapelBarrikaden auf Müllbergen

Mit Blockaden wollen aufgebrachte Bürger die weitere Anlieferung von Abfall für eine Deponie bei Neapel verhindern. Die Polizei reagiert mit Gewalt und Festnahmen.

Die Polizei wird in Neapel eingesetzt gegen Bürger, die Müllfahrzeuge vor der Deponie blockieren. Bild: dpa

ROM taz | Seit Tagen herrscht rund um die Müllkippe von Terzigno vor den Toren Neapels der Ausnahmezustand. Hunderte Bürger blockieren die Zufahrt zur Deponie, errichten Barrikaden, stecken Müllfahrzeuge in Brand, um die weitere Anlieferung von Abfall zu verhindern.

Polizei und Carabinieri antworten immer wieder mit rüden Schlagstockeinsätzen und Festnahmeaktionen. Mittlerweile befinden sich sechs Demonstranten in Haft.

Zu den vorerst letzten Scharmützeln kam es am Dienstagvormittag, als Anwohner versuchten, auf das Gelände der Deponie vorzudringen, und anrückende Müllwagen mit Steinen empfingen.

Wie immer standen die "Mamme vulcaniche" - die "vulkanischen Mütter" - in der ersten Reihe. Ihnen leuchtet nicht ein, dass ihre Kleinstadt am Hang des Vesuvs im Naturpark neben der schon bestehenden demnächst noch eine zweite Großdeponie erhalten soll.

Die indirekten Folgen des militanten Protests lassen sich derweil im Zentrum Neapels besichtigen. Dort türmen sich wieder stinkende Müllberge. Zwar hat die Krise bei weitem nicht die Dimensionen von 2007 erreicht, als nicht bloß die gesamte Millionenstadt, sondern auch die Region Kampanien förmlich unter den Abfallbergen zu ersticken drohte.

Aber in Neapels Straßen liegen wieder gut 1.000 Tonnen Abfall, das Aufkommen etwa eines Tages. Weitere 600 Tonnen füllen die Müllwagen, die ihre Fracht nicht mehr auf der Kippe Terzigno entladen können und die bei der Abfuhr ausfallen.

Mit der aktuellen Krise zeigt sich, dass der seit nunmehr 16 Jahren andauernde Müllnotstand in Kampanien keineswegs bewältigt ist, auch wenn Ministerpräsident Silvio Berlusconi in den Monaten nach seinem Wahlsieg 2008 behauptet hatte, die Krise "definitiv gelöst" zu haben.

Berlusconi hatte es damals in der Tat auf den ersten Blick geschafft, binnen wenigen Tagen die Müllberge verschwinden zu lassen. Er hatte den Zivilschutz mit Sondervollmachten ausgestattet und die Abfallbeseitigung militarisiert. Die vom Zivilschutz ausgeguckten neuen Deponien wurden ebenso wie die neue Müllverbrennungsanlage von Acerra zu militärischem Sperrgebiet erklärt. Eine der damals neu eröffneten Deponie ist die von Terzigno - doch bald schon wird sie randvoll sein.

Denn das strukturelle Problem packte auch Berlusconi nicht an: In Neapel ist Mülltrennung ein Fremdwort; nur 12 Prozent an Papier, Plastik oder Blech werden aussortiert, bevor der große Rest zu den Deponien gekarrt wird.

Und diese Müllkippen will in Kampanien niemand haben, denn über die Jahre war für die Bürger allzu undurchsichtig, wie es um die Sicherheit der Deponien bestellt ist. Immer wieder kamen Fälle auf, in denen dort auch hochgiftiger Sondermüll abgekippt wurde, immer wieder leckten die Kippen, sickerte die giftige Brühe auch ins Grundwasser.

Berlusconis Rechte konnte angesichts dieser Missstände nicht bloß die nationalen Wahlen gegen die angeblich unfähige Linke gewinnen, sondern der Linken 2009/2010 auch die Provinz Neapel sowie die Region Kampanien entreißen; bloß die Stadt Neapel wird noch von den Mitte-links-Parteien regiert.

Dort setzt jetzt Berlusconi bei der propagandistischen Krisenbewältigung an. Er selbst zeigt sich schon seit Monaten nicht mehr in Neapel, will das aber nicht als Eingeständnis seines Versagens verstanden wissen: Schuld sei vielmehr die Stadtspitze, die zu wenig für die Mülltrennung tue.

Dumm nur, dass mit der Organisation der Abfallbeseitigung nach dem offiziellen Ende der Notstandsphase die Provinz betraut wurde. Die wird von Berlusconis Gefolgsleuten regiert.

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