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Kunst ohne EgotripEin sanfter dänischer Anarchist

Die Hamburger Deichtorhallen zeigen den Ex-Fluxus-Künstler Poul Gernes, dessen quietschbunt-antihierarchische Bilder inzwischen 150 dänische Gebäude zieren.

Trotz fast kindlich-schriller Farben immer streng antihierarchisch: Poul Gernes. Bild: Deichtorhallen/Jørn Petersen

Alles so schön bunt hier. Es hängt von der eigenen Stimmung ab und dem jeweiligen Wetter, ob das nun höchst erfreulich wirkt oder doch eher kindergartenmäßig. Bemalte Klobrillen und ein raumfüllendes silbernes Traumschiff, endlose Varianten von quietschbunten Streifen und Kreisen, dazwischen hin und wieder eine Schrottplastik oder eine feine Marmorskulptur: Die Hamburger Deichtorhallen zeigen mit über 400 Exponaten eine in jeder Hinsicht vielfältige und sehr bunte Ausstellung. Die ist überraschenderweise die Retrospektive eines einzigen Künstlers, des außerhalb Dänemarks bisher nur wenig bekannten Poul Gernes.

Hamburg hat eine gewisse Tradition darin, auf den 1925 geborenen Künstler hinzuweisen, der 1996 verstarb: Schon 2001 integrierte im Hamburger Kunstverein die Kölner Künstlerin Cosima von Bonin in ihre Schau "Bruder Poul sticht in See" Arbeiten von Gernes. Seitdem ist er ein typischer "Künstler-Künstler", jemand, auf den aktuelle Künstler-Gestalter fast legendenhaft verweisen. Neben Cosima von Bonin interessieren sich auch Liam Gillick und Tobias Rehberger für die soziale Wirksamwerdung von Kunst, wie Gernes sie postulierte.

Bilder, die eigentlich bloß angestrichene Flächen sind, Ornamente, die Gardine werden: Sicher kann da - wie im Katalog - ausführlich auf die Kunstgeschichte referiert werden. Aber es liegt viel näher, dies alles einfach als Design zu betrachten, wie es der Künstler selbst tut. Und die Farbgestaltung eines Krankenhauses beispielsweise oder einer Schule ist ja etwas durchaus Sinnvolles und Wichtiges.

Poul Gernes hatte sich schon 1949 von der Malerei abgewandt und wesentlich als Designer gearbeitet. Seit dem Ende der 70er Jahre bis zu seinem Tod 1996 hat er dann die Farbkonzepte von über 150 meist öffentlichen Gebäuden in ganz Dänemark gestaltet: Vom 1989 knallbunt Kolorierten Kino "Palads-Cinema", das in Kopenhagen unweit von Hauptbahnhof und Tivoli ein ganzes Viertel dominiert, bis zu den vielleicht dann doch etwas seltsamen rosa Herzen an einer Gefängnismauer. "Seit einigen Jahren verlange ich von meiner Kunst, meinen Mitmenschen Freude zu bereiten und nicht zu einem ästhetischen Egotrip zu werden", sagte Poul Gernes rückblickend 1983.

Doch im Leben des Künstlers und somit in der Hamburger Ausstellung gibt es noch einen anderen Ansatz. In den 60er und 70er Jahren war Poul Gernes Bestandteil der auch von Joseph Beuys besuchten, hoch aktiven Fluxus-Bewegung in Kopenhagen, einer oft durch Happenings provozierenden Szene, von der Per Kirkeby, Bjørn Nørgaard, Addi Köpcke oder Henning Christiansen vielleicht bekannter sind.

Von 1961 bis 1970 betrieb Poul Gernes - eine Alternative zur königlichen Akademie - mit dem Kunsthistoriker Troel Andersen "Den eksperimenterende Kunstskole", eine freie, auf gemeinsame Experimente angelegte Künstlervereinigung. Kotz-Videos und Arsch-Fotos, Objekte aus Fundstücken und Kollektivarbeiten, schnelle Aneignungen und künstlerische Umsetzungen in alle verfügbaren Medien waren die Ergebnisse dieser eher wilden Zeit.

Das damalige antiautoritäre Verständnis spiegelt sich noch in den Flaggen, die sich bei Poul Gernes immer wieder finden. Für ihn sind sie nichts Ehrfurcht Heischendes, sondern bloß freundlich flatternde oder in bunte Bildreihen einfügbare Farben. So wirken auch seine Entwürfe für eine Flagge der "Europäischen Föderation" eher wie freundliche Patchwork-Decken. Sehr dänisch distanziert ist an diesen ironischen Entwürfen von 1972 übrigens, dass sie Unterschiedliches gleich bewerten und schon im Namen die verbindliche Union durch die freiere Föderation ersetzen.

Und wenn all diese Arbeiten - vom spielerischen Automodell über den echten Katamaran und die bunten Zielscheiben bis zum Matisse-artigen Theatervorhang überhaupt irgendetwas gemeinsam haben, so ist es ein antihierarchisches Element. Zwar gibt es theoretisch und formal Referenzen an den russischen Konstruktivismus, das Bauhaus und die Ulmer Schule für Gestaltung. Aber anders als dort triumphieren bei Gernes Kriterien des Zufalls und der vermuteten Emotion. Bis fast zur Beliebigkeit meidet der Däne systematische Farbtheorien.

Wie die von Gernes zeitlebens höchst kritisch gesehene Kunstszene derzeit nach dem Künstler greift, mutet allerdings schon etwas seltsam an. Schließlich hatte er zu Lebzeiten nie eine Galeristin und lehnte Museen ab: Sie seien Häuser voller abgestorbener Dinge. Vielleicht wäre es mehr im Sinne des Künstlers, die unsignierten, seriell erstellten Farbzeichen und objekthaften Hinterlassenschaften würden nicht gehandelt und die Poster der schön bunten Zielscheibenbilder wären nicht im Deichtorhallen- Shop zu kaufen. Sondern bei einem großen skandinavischen Einrichtungshaus.

Dann gibt es noch einen kleinen selbstreferentiellen Nachschlag: den Film "Rum" von 1994. Er zeigt, wie der weißhaarige, wuselig vollbärtige Künstler mit einem Kollegen diskutierend durch die Straßen von Kopenhagen geht. Ständig betont er, wie grau doch alles sei und wie sehr er sich wünsche, dass alles schön bunt wäre. Und langsam fängt man an, es zu glauben: Es gibt unter grau verhangener Sonne zwischen Holzmöbeln im Eigenheim, blondem Sex, dem Volvo und dem Lehrerzimmer in den nordischen Wohlfahrtsstaaten tatsächlich eine ganz besondere Moderne. Sie ist sehr design-praktisch orientiert, sie ist königlich-anarchistisch immer skeptisch gegen absolute Systeme, sie ist rational mit schrillen Akzenten, aufmunternd bunt, aber sie stört nicht: Es ist eine skandinavisch-gemütliche Post-Moderne.

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