Obdachlosenhilfe in Dänemark: Die Widerspenstige
In Dänemark sind ausländische Obdachlose in Herbergen gesetzlich nicht geduldet. In der Kälte darf ihnen nicht geholfen werden. Alle halten sich daran, bis auf eine Ausnahme.
STOCKHOM taz | "Dänisch?", das ist die erste Frage, die einem Obdachlosen gestellt wird, wenn er in Kopenhagen in einer der 17 Herbergen Schutz vor der klirrenden Kälte suchen will. Nein? Dann bleibt die Tür zu. Das ist Gesetz. 2007 hat die ob ihrer restriktiven Ausländerpolitik europaweit berüchtigte dänische Regierung das Sozialgesetz geändert.
Seither wird Obdachlosenunterkünften, die AusländerInnen aufnehmen, die öffentliche Unterstützung gestrichen. Die Aussicht auf ein Bett oder eine warme Suppe könne ansonsten "Dänemark zur Wärmestube der ganzen Welt machen", begründete die damalige Sozialministerin Karen Jespersen das Gesetz.
Elf ausländische Obdachlose sind im vergangenen Winter in Kopenhagen erfroren. Damit das nicht wieder so wird, gibt es für AusländerInnen ohne Geld in der Tasche und Dach über dem Kopf in diesem Winter eine neue Adresse: Axeltorv 12. April Chris hat diese Initiative gegründet und vor einigen Monaten hier ein Gebäude angemietet, in dem jetzt in fünf Zimmern je acht Doppelstockbetten stehen. "Wenn es mal noch mehr werden, müssen die eben in Schicht schlafen", sagt sie. Nach einem Pass wird hier nicht gefragt, jeder wird hereingelassen und bekommt ein warmes Essen.
Warum so viel Menschlichkeit in Dänemark nicht selbstverständlich sein soll, sondern auch noch mit Entzug von Hilfsgeldern bestraft wird, kann die Geschäftsfrau, die in der Musikbranche arbeitet und einen dänischen und einen US-amerikanischen Pass hat, nicht verstehen. Auf das Problem der obdachlosen AusländerInnen war sie letzten Winter aufmerksam geworden. "Cecilia, eine meiner Töchter, kam frierend nach Hause und sagte: Was für ein Glück, jetzt nicht da draußen liegen zu müssen." Darauf sei sie am nächsten Tag zum Sozialamt gegangen und habe sich nach der Situation für Obdachlose erkundigt. "Fünf Stunden später hatte ich zwei Räume angemietet", sagt Chris. Der Start der Initiative "En Varm Seng" - "Ein warmes Bett".
"Ein unmenschliches Gesetz" sei diese Einteilung der Obdachlosen in solche erster und zweiter Klasse, meint Lars Aslan Rasmussen, sozialpolitischer Sprecher der oppositionellen Sozialdemokraten. Und er appellierte an die Kommunen und die Betreiber solcher Einrichtungen, dieses gesetzliche Verbot zu brechen: "Tun wir das nicht und lassen die Leute erfrieren, brechen wir ganz andere Gesetze."
Der frühe strenge Winter hat in diesem Jahr die Obdachlosenfrage in Dänemark verschärft. Die Regierung scheint das nicht zu beieindrucken. Die Herberge von "En Varm Seng" am Axeltorv war vor eineinhalb Wochen Ziel einer Polzeirazzia. Nachts um 3 Uhr holten 30 Polizeibeamte 91 schlafende Menschen aus dem Bett und nahmen 69 von ihnen wegen ihrer ausländischen Herkunft fest. 51 sollten ausgewiesen werden, hieß es erst, später wurde die Zahl 19 genannt. Unter ihnen EU-MitbürgerInnen aus Rumänien, Spanien und Frankreich. "Für Dänemark scheint die Freizügigkeit für EU-Bürger nicht zu gelten", wunderte sich ein 24-jähriger Spanier.
Nachdem einige Medien die Situation der ausländischen Obdachlosen zum Thema machten, gab es eine regelrechte Welle der Hilfsbereitschaft. Die Schuhfirma Ecco schenkte "En Varm seng" 300 Paar Winterschuhe, die Veranstalter des Roskilde-Festivals spendeten umgerechnet rund 80.000 Euro, und ein Bauernhof liefert jetzt jeden Tag kostenlos frische Milch. "Ein Rentner kam mit 2.000 Kronen vorbei", erzählt April Chris, "ein junges Ehepaar mit 10.000, eine 17-Jährige mit den 1.500 Kronen, die sie zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, und zwei Afghanistanveteranen mit ihren Militärstiefeln."
So viel zivilgesellschaftliches Engagement ließ natürlich auch der Politik keine Ruhe. Kurzfristig kündigte Sozialministerin Benedikte Kjær einen Besuch bei "En Varm Seng" an, um sich "über die Situation zu informieren". Eine geglückte Vorweihnachts-PR-Aktion wurde es für die Ministerin aber nicht. Auf die Bemerkung hin, nicht jeder in Dänemark könne seine eigene Sozial- und Ausländerpolitik machen, platzte April Chris endgültig der Kragen: "Anstatt verantwortungsvolle Politik zu machen, kippt ihr Politiker Scheiße in den Hinterhof, und wenn es dann anfängt zu stinken, erwartet ihr, dass wir das wegräumen", schimpfte sie in die TV-Kameras.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar