die wahrheit: Heiliger Glühweinkrieg
Weihnachtsmärkte: Die fundamentalistischen Terrorlager sind überall.
Vorweihnachtlicher Terror in Deutschland? Während Innenpolitiker vor angeblicher Panikmache warnen, handeln die Fundamentalisten. Und weil die Herren Minister selbst nicht an ihre fadenscheinigen Beschwichtigungen glauben und sich feige in ihren Hochsicherheitsbüros verschanzen, haben sie nicht bemerkt, dass die schlimmsten Befürchtungen längst Realität sind: In jeder deutschen Großstadt schießen Stätten des Terrors aus dem Boden, an denen religiöse Fanatiker den Ton angeben. Unser Wahrheit-Reporter hat sich in eines der gefährlichsten Terrorcamps gewagt, mitten in einer norddeutschen Großstadt. Sein Bericht erreichte die Redaktion über undurchsichtige Kanäle.
Stechende Gerüche, überall. Koriander, Zimt, Nelken, Achselschweiß, Aftershave, Ziegenkäse, Zedernholz und Kiefernharz, Rumkugeln und Mottenkugeln, Jägermeister, versengter Hammel, Kinderkacke, Räucherlachs, Magensäure, Bommerlunder, Gänseschmalz, Mundgeruch, Kerzenwachs, Erbrochenes. Süßlich, fettig, widerlich, ranzig. Und über all dem der penetrante Gestank dieser dampfenden Suppe, die sie Glühwein nennen, und die aus grotesken Gefäßen geschlürft wird. Dabei ist es Usus, bei jedem Schluck keuchende Laute von sich zu geben, wie man sie von brünftigen Kamelbullen kennt.
Die Männer im Camp glauben, dieser bizarre Trunk verleihe übermenschliche Kräfte. Ein blasser Herr mit bleichem Haar unter einer Art rotem Filzfez beginnt plötzlich, laut brüllend einen schweren Massivholztisch zu misshandeln. Selbst mehrere kräftige Krieger schaffen es nicht, ihn zur Räson zu bringen. Der Berserker heißt Florian Silbereisen, ein in der fundamentalistischen Folkloreszene einflussreichen Prediger, dessen skurrile Botschaften Millionen Anhänger finden. Erst die Lagermiliz - verblüffend junge Männer in theatralischen grünen Kostümen - kann den prominenten Fanatiker in die Schranken weisen.
Ansonsten: überall vermummte Gestalten mit rotblauen Nasen, die permanent gelblichen Schleim absondern, während faulige Backenzähne ledriges Fleisch mahlen. Übertönt wird ihr Schmatzen von den Huldigungs- und Kriegsgesängen, die aus den schlichten Bretterverschlägen dröhnen, akustische Attentate aus brachialem Glockenlärm, leierndem Singsang und süßlichem Gerassel und Geklimper.
Im Camp erträgt man stoisch all die Scheußlichkeiten, eingeschworen auf die finale Schlacht, die den Kämpfern einen Platz neben dem Propheten bescheren soll, auf den "Heiligen Abend". Dann wird die Erde unter den Gebetshäusern der Fanatiker beben. Mit obskuren Initiationsriten werden schon die Kleinsten auf den Kult eingeschworen. Sie knabbern an gezuckertem Pappkarton, toter Materie, die sie hier - welche Ironie - Lebkuchen nennen, ein Vorgeschmack auf die rituelle Suppe namens Glühwein, die Vorstufe zum Heiligen Abend. Oder zum Heiligen Krieg?
Wem würde da nicht mulmig. Was, wenn sie einen als Ungläubigen enttarnen? Werden sie die berüchtigte "Klingglöckchen-Folter" anwenden? Immerhin hat ein adliger Repräsentant all jenen Staaten mit heiligem Krieg gedroht, die wirtschaftliche Interessen seiner Organisation gefährden, indem sie etwa Pfeifenmännchen aus dem Erzgebirge mit Sonderzöllen belegen. Unterstützt wird der blaublütige Hassprediger von einem fundamentalistischen Zentralorgan namens Bild, das via Printbotschaft eine Hassbotschaft an all die sendet, die über die kriegslüsterne Gattin des gegelten Gotteskriegers spotten: "Einfach mal die Klappe halten!"
Was so locker nach Schulhofbackpfeife klingt, wird angesichts von Millionen rotnasiger, glühende Suppe schlürfender und Tische zertrümmernder Gefolgsleute zur handfesten Drohung. Und was, wenn uns der Prediger Matthias Iken aus dem Dunstkreis dieses Zentralorgans in die Finger kriegt, der per Dekret verbietet, sich über "lauwarmen Glühwein … oder kitschige Kaufhausmusik zu echauffieren" und "einfach mal freuen" befiehlt? Um jeden Verdacht zu zerstreuen, muss man einen sogenannten Glühwein ordern. Man umklammert zur Tarnung fest das merkwürdige Gefäß, imitiert brünftige Kamelbullen und lässt erst wieder los, wenn man die Mauern des heiligen Terrorcamps hinter sich gelassen hat und einfach nur noch um sein Leben läuft und läuft und …
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