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Kommentar zur Touristen-DiskussionEine zutiefst konservative Haltung

Antje Lang-Lendorff
Kommentar von Antje Lang-Lendorff

Kreuzberger stöhnen über zu viele Touristen in ihrem Kiez und zu viel Spanisch in ihren Kneipen. Spießiger geht's gar nicht.

K reuzberg ist ein piefiger Vorort von Osnabrück. Das könnte man jedenfalls meinen, wenn man die Debatte über Touristen im Wrangelkiez verfolgt, die kommende Woche in die nächste Runde geht. Eben jene, die sich sonst so gerne als weltoffenen und tolerant gerieren, beschweren sich jetzt über zu viel Englisch und Spanisch in den Cafés. Sie wollen sich nicht fotografieren lassen. Und sie haben große Angst davor, dass die Besucher den Kiez verändern könnten. Das ist eine zutiefst konservative Haltung. Und letztlich ganz furchtbar spießig.

Sicher, man kann verstehen, dass niemand in einem Haus mit lauter Ferienwohnungen leben will, mit ständig wechselnden Nachbarn und Lärm. Tatsächlich sind diese Ferienwohnungen eine von vielen Ursachen der steigenden Mieten, die auch zur Verdrängung Alteingesessener führen können. Insofern ist es richtig, über ein neues Verbot von zweckentfremdeten Wohnraum nachzudenken.

Doch der Protest richtet sich längst nicht nur gegen diese Kurzzeit-Unterkünfte, sondern gegen die Touristen selbst. Sie sind nicht erwünscht. Dabei macht auch ihre Anwesenheit Berlin erst hip. Und dabei reisen all jene, die sich jetzt über die Gäste aufregen, in anderen Städten genau so wie die Kreuzberg-Touris: Sie suchen nach alternativen Stadtteilen, um sich dort unter die Leute zu mischen.

Die Grünen haben sich mit einer Veranstaltung an die Spitze der Bewegung gesetzt. Sie haben die Ressentiments aufgegriffen und öffentlich gemacht. Einen Gefallen tun sie sich damit nicht. Denn ihr Engagement bestätigt nur das Bild, das manch einer inzwischen von den Ex-Alternativen hat: Die Grünen selbst sind konservativ geworden.

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Antje Lang-Lendorff
wochentaz
Teamleiterin Gesellschaft in der wochentaz. Seit 2007 fest bei der taz, zunächst im Berlin-Teil, dann in der Wochenend-Redaktion. Schwerpunkte: Soziales und Reportage.
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17 Kommentare

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  • N
    Nadia

    Liebe Kreuzberger, macht ihr nie Urlaub? Seid ihr nie "die nervige Fremde" wenn ihr außer ihre kleine Welt Kreuzberg reist? Ich finde eure Arroganz ganz schon ekelhaft!

  • JI
    Julio Iglesias

    De tal manera o de la otra, solo la venganza por Filterkaffe, Volksmusik y Gemütlichkeit aleman en El Arenal, Benidorm, Torremolinos etc.

    Hasta la proxima

  • K
    komisch

    oh je.

    Früher waren die Nächte lang in Mitte, jetzt ist Kreuzberg wieder dran. Wie schrecklich! Und das um 3 Uhr nachts in der Adalbertstraße! Unfassbar.

    Kreuzberg ist wieder in, aber irgendwie ist man in Mitte doch entspannter ..) sowas

  • D
    Demokratin

    Die Fremdenfeindlichkeit in Kreuzberg wird ja immer befremdlicher.

     

    Da es die Berliner trotz größter Chancen seit dem Mauerfall nicht geschafft haben, nennenswert Industrie und hochbezahlte Dienstleistungen anzusiedeln, wettern Transferbezieher und alternative Besserverdiener nun gemeinsam gegen die annähernd einzige Einnahmequelle der maroden Stadt.

     

    Den Bewohnern Kreuzbergs wünsche ich die volle Autonomie, d.h. eine Abschaffung des Länderfinanzausgleichs und daß Hartz IV für Kreuzberger nur noch von Kreuzbergern gezahlt wird. Nach dem 1. Mai dürfen sie dann ihren Kiez auch wieder selbst aufräumen, ebenfalls ohne staatliche Unterstützung.

     

    Dann allen linken Spießern weiterhin viel Spaß. :-)

  • O
    Oachkatz

    Schade, dass die taz auf die in den Medien vorherrschende, undifferenzierte "Alles-verkappte-Spießer"-Berichterstattung aufspringt. Vielleicht täte es not, mal ein paar (Arbeits)wochen an der Ecke Fraenkelufer/Admiralstraße zu wohnen, abends die Kinder zu einer vernünftigen Zeit ins Bett zu bringen und auch selbst gegen Mitternacht schlafen zu wollen, weil man einen Job zu hat, für den man um halb sieben aufstehen muss, der es erfordert, um acht die Kinder zur Kita zu bringen, wo man dann genötigt ist durch den Dreck, und oft stinkenden, ekelhaften Dreck der bis in die frühen Morgenstunden so cool abfeiernden Freunde aus aller Welt zu steigen.

     

    Es geht nicht um Hass auf Fremde, sondern um das Nichtertragen von schlechtem und rücksichtslosem Benehmen von Seiten der Touristen. Darum, dass es eine gesunde Balance geben muss zwischen den Interessenslagen von Menschen, die hier ihr Leben leben und denjenigen, die frei haben und Party feiern. Und nicht darum vor lauter Weltoffenheit und Coolness und Geldgier die Bedürfnisse der Bewohner als Spießertum zu deklassieren.

  • S
    suswe

    @kai: Sind etwa alle Banker Juden? So ein Unsinn.

  • K
    kanndasproblemnichtsehen

    oh mein Gott! Und im Wedding und Moabit geht das auch schon los. Schnell, wir sammeln uns ... Alle zusammen, lasst uns unsere Röhrenjeans und Nerdbrillen in Marzahn spazieren tragen. Du, dich brauchen wir, du machst in den neu zu erobernden Vierteln einen Bio-Markt auf ... und du investierst in eine leere Industriehalle in der wir Minimal hören können, und irgendwer hat doch sicher mal ne Steiner Biografie gelesen (bzw. angefangen zu lesen), und schwups haben wir nen anthroposophischen Kindergarten.

    Und dann können wir jeden Tag an die guten alten Zeiten denken, als wir, gerade frisch hergezogen, die alten Mütterchen aus m Prenzlauer Berg verdrängt haben und als die Bar25 noch auf hatte, und als das hier noch alles so war wie in New York zu beginn der 90er und als man für 5 Groschen ne ganze Packung Bonbons bekommen hat.

     

    ... meine Güte, das Thema Gentrifizierung und Tourismus in Berlin is doch schon so ausgelutscht. Und gegen Scherben auf dem Spielplatz und gegröle von Betrunkenen hilft nur eine höhere Rate "law enforcement", sprich mehr Polizei, aber wollen wir das?

  • M
    Malte

    Touris raus aus Berlin! Sollen die Touristen doch in Hamburg oder München ihr Geld ausgeben, über den Länderfinanzausgleich landet das eh in Berlin.

  • MH
    Mario H.

    @suswe: das hatte ich bislang auch so verstanden. Kein Waten im Erbrochenen von Sauftouris, kein Lärm.

    Die Preise müssen auch nicht unbedingt steigen. Und es ist gar nicht schlecht, wenn die Miete bezahlbar bleibt.

  • K
    kai

    kann mich meinen vorrednern nur anschließen. die grünen sollten statt touri-bashings an die eigene nase packen und politische maßnahmen ergreifen, die diesem ganzen scheiß ein ende macht: kapitalismus abschaffen! touris bashen ist genauso antisemitisch wie banker haten!

  • M
    Mat

    Ach Frau Lang-Lendorff,

    wirkliche Spießer sind diejenigen, die unbedingt "hip" sein müssen. Das sind nämlich diejenigen, die es niee sein werden. Die brauchen dann auch Touristen in normalen Wohnvierteln, damit wenigstens die Touristen ihnen sagen, daß sie "hip" sind, sie in einer "hippen" Stadt wohnnen und ein "hippes" und "stylisches" Leben führen.

    Die sehnen sich auch nach den Must-Haves von Aplle und Co., weil sie glauben, daß sie Coolness und Hipsein kaufen könnten.

    Dabei sind sie einfach nur armseelig.

  • X
    xonra

    Mit der spießigen Diskusion über die Partys auf der Admiralbrücke wurde deutlich, dass Kreuzberg eben nicht Wilmersdorf ist und es hoffentlich auch nie sein wird.

    Die Easyjetsetter sind auch nicht die braven und ruhigen Geldsäcke die Herr Wowereit als Berlinbesucher gerne hätte. Leider sind auch die "Grünen" in Kreuzberg die besseren Sozialdemokraten, die offenbar aus den öden bürgerlichen Bezirken abgehauen sind.

    Der Run auf Berlin wird spätestens dann aufhören, wenn Kerosin angemessen besteuert wird. Dann werden wohl in den 111000 Hotel und Hostalbetten Wohnngslose einziehen.

  • T
    ts-dagewe

    der kommentar ist leider an den problemen der menschen total vorbeigeschrieben. das sind steigende mieten und stagnierende realeinkommen, das ist der verdrängungsdruck, dem die (meist eher armen) menschen in diesen kiezen ausgesetzt sind. der tourismus spielt dabei eine rolle, wenn auch nicht die zentrale. wenn man das alles in konservativ/progressiv-schema presst, dann werden die wirklichen probleme der menschen, dann werden die sozialen proteste noch zusätzlich dagegen dennunziert.

    wer so kommentiert, der kann die die welt nur noch aus der sicht des saturierten grünen mittelstandes sehen. die meisten menschen, die hier leben, gehören nicht dazu.

  • L
    Letterman

    Das ist es doch. Eine wunderbare Gelegenheit, sich unfreiwillig als das zu outen, was man ist. Es gibt Zeitgenossen, die fanden die Öko-Spießer schon immer so abstoßend, wie sie sich jetzt erweisen, weil es im täglichen Miteinander auch so zu spüren war, allen Ablenkungsversuchen und vorgeschobenen Schauspielereien zum Trotz. Grün ist leider die perfekte Masche, den guten alten Ordnungs-, Kontroll- und Machtwahn politisch korrekt und unangreifbar auszuleben. Besondere Vorsicht ist angezeigt, wenn sich die fortschrittliche Haltung primär als beinharte Intoleranz gegen alles Rückständige (alles, was von den eigenen Vorstellungen abweicht) äußert. Auch die basisdemokratischen Kommunikationsmuster sind eine Einladung, anderen ständig mit der tollen eigenen Meinung auf den Sack zu gehen und sie mit ungebetenen Ratschlägen zu penetrieren. Wer kann schon etwas gegen den rationalen, dialektischen, herrschaftsfreien Diskurs sagen? (Ich, das so ganz nebenbei...) Die wenigen echten Grünen tun mir leid, dass sie mit ihrer Haltung solche Menschen geradezu anlocken und gezwungen sind, sich mit ihnen zu umgeben, wenn sie etwas bewegen wollen.

  • JS
    jack sparrow

    sicher, xenophober fremdenhass, der aus dieser anti-touri-haltung entspringt, ist unreflektiert und blöde. tourismus aber nur auf lärm zu reduzieren, trifft das problem aber auch nicht. natürlich ist der tourismus wichtig für die alternativkultur, schon allein weil touristen viel geld ausgeben. auch gibt es sehr viel angenehme menschen, die von außerhalb kommen und eine bereicherung darstellen.

    trotzdem wird tourismus ein problem, wenn er zu viel wird und anfängt das bild der kieze zu prägen. das fängt damit an, wenn ich andauernd von jungs und mädels, die auf fun!! aus sind sind, sexistisch angelabert werde, wenn abends fast nur noch partygeile menschen die fußwege bevölkern, wenn aus wohnhäusern massivst hostels werden, wenn die bewohner nich mehr als menschen, sondern als kulisse betrachtet werden. die stimmung in f-hain ist bereits gekippt und wohnen will ich zwischen diesen horden aus englischen party-prolls und schulklassen nicht mehr.

    die politik hätte sich da früher einschalten müssen,

    eine obergrenze für hostels setzen müssen oder sie versuchen sollen, auf einer straße zu ballen. die aktuelle entwicklung ist tatsächlich äußerst problematisch.

  • N
    neuköllner

    Ihr Kommentar zeigt, dass der Dualismus konservativ/progressiv nicht ausreicht, um gesellschaftliche Phänomene zu erklären. In Neukölln und Kreuzberg geht es nicht gegen "Fremde", die eine andere Sprache sprechen, sondern es geht darum einen alternativen Lebensraum gegen die zunehmende Kapitalisierung zu verteidigen. Denn genau das bedeutet Tourismus: Der Kiez wird attraktiv gemacht für leicht verdaulichen und schnelllebigen Konsum. Alles - nicht nur die zu Feriendomizilen umfunktionierten Wohnungen - wird teurer. Denn man will ja Geld machen mit den Touristen, auch den "alternativen" Partytouristen. Geld, das man mit den alternativen Bewohner nicht machen kann, weil sie Küchen zum kochen, nicht jeden Abend Zeit und Lust auf Party haben und meistens kaum Kohle haben...

  • S
    suswe

    das Problem ist nicht das Spanisch oder Englisch in den Cafés, sondern Glasscherben auf Spielplätzen und Gegröle Sonntag nachts um drei Uhr. Wie in Griechenland, Mallorca und so weiter,nur mit weniger Strand.