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Das Atomkraft-MoratoriumWirtschaft warnt vor hastigem Ausstieg

Das Moratorium der Bundesregierung stößt auf Kritik bei den Spitzenverbänden der Wirtschaft. Ein zu schneller Ausstieg könnte die Strompreise hochtreiben. Merkel sagte ein Treffen ab.

Das hessische Atomkraftwerk Biblis A muss sofort vom Netz. Bild: dpa
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BERLIN/MÜNCHEN dpa/taz Die deutsche Wirtschaft ist gegen einen überhasteten Atomausstieg. Führende Wirtschaftsverbände warnten am Freitag in München davor, nach dem Reaktorunglück in Japan vorschnelle Entscheidungen zu treffen. "Für Populismus ist keinerlei Anlass", sagte der Präsident des Bundesverbandes der Deutscher Wirtschaft (BDI), Hans-Peter Keitel, dem Bayerischen Rundfunk (BR).

"Wir alle wissen, dass wir nicht von heute auf morgen aussteigen können", sagte Keitel. Die vier Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft wollten auf der Deutschen Handwerksmesse in München eigentlich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zum Spitzengespräch treffen, doch Merkel sagte wegen der Libyenkrise kurz vorher ab.

Merkel hatte ein dreimonatiges Moratorium angekündigt. In dieser Zeit sollen acht alte deutsche Atomkraftwerke stillstehen.

Die Wirtschaftsverbände sind vor allem besorgt, dass ein rascher Atomausstieg die Strompreise in Deutschland in die Höhe treiben würde. Keitel forderte "vernünftige Entscheidungen, damit wir sichere, saubere und bezahlbare Energie auch in Zukunft haben".

Nach Einschätzung der Wirtschaft sollte auch eine Wiederinbetriebnahme der acht AKWs, die derzeit stillgelegt werden, nicht ausgeschlossen sein. "Jeder, der heute schon weiß, wie die drei Monate Überlegungsfrist ausgehen sollen, ist, glaube ich, zu früh dran", sagte Keitel.

Auch Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt und Hans Heinrich Driftmann, der Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, forderten überlegte Entscheidungen. Hundt sagte dem BR, er gehe davon aus, dass die Atomkraft als Brückentechnologie weiter benötigt werde.

Driftmann forderte: "Wir sind dafür, zunächst einmal mit aller Verantwortung transparent und rein rational zu untersuchen: Was bedeutet das (Reaktorunglück) eigentlich alles für uns?" Einen deutschen Alleingang lehnen die Wirtschaftsverbände ab. Hundt sagte, es müsse eine europäische abgestimmte Lösung geben.

An Merkels Stelle kam Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU), um mit den Wirtschaftsbossen zu sprechen. Pofalla vermied vor der Presse jede konkrete Aussage zur Atompolitik und erklärte lediglich: "Ich bin zuversichtlich, dass wir am Ende zu einer vernünftigen und am Ende europaweit einheitlichen Lösung kommen."

Indessen erkundet Bundeswissenschaftsministerin Annette Schavan (CDU) bereits Möglichkeiten, den Weg zum Ausstieg aus der Atomkraft abzukürzen.

Am Montag trifft sie Wissenschaftler und holt sich Rat ein: "Meine erste Frage an die Wissenschaftler wird sein: Wie können wir den im Konzept der Bundesregierung vorgesehen Umbau hin zu den erneuerbaren Energien beschleunigen?", sagte sie der taz.

Nach dem Energiekonzept der Bundesregierung sollen bis 2050 alternative Quellen 80 Prozent der Stromerzeugung decken. "Jetzt ist die Frage: Können wir das beschleunigen und, wenn ja wie, was kostet das, was bedeutet das für technische Entwicklungen?", so Schavan. Das zu klären werde die Aufgabe der nächsten drei Monate sein. (ale)

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11 Kommentare

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  • FD
    Franziska Döbeln

    "Wir alle wissen, dass wir nicht von heute auf morgen aussteigen können" -- nuja, wir hatten seit Tschernobyl ja schon 15 Jahre Zeit dafür.

  • S
    snoopy

    Die Wirtschaft warnt immer vor allem! Nur nicht vor ihrer unbeschränkten Gier! Früher war die Wirtschaft für das Volk da-,doch schon längst büßt das Volk für die Konzerne und Banken. Kann mir mal jemand verklickern, was "unten" bei dem steigen Wachstum herausgekommen ist? Und wenn jetzt durch die Weltunruhen und Gaus die Exportwirtschaft sinkt, würde man sich wünschen, man hätte einen guten Binnenmarkt.

    Aber Dumpinglöhner haben keine Kaufkraft.Und dann mit den ewigen Srompreis-Drohungen. Die Strompreise sind bisher trotz AKW's ständig gestiegen. Es hätte ja Sinn gemacht, dass die dann gesunken wären. Die gierigen Säcke müsste man mit flüssigem Gold füllen-, dann hätten die endlich mal genug.

  • W
    wirtschaftsfreund

    Leute holen. Aus dem In- und Ausland. Geld aus ihnen pressen. Die von ihrem schändlich kargen Einkommen kassierten Steuern zur Subventionierung der Schandlöhne einsetzen. Nach Gebrauch vor die Tür setzen. Die Kosten trägt die Allgemeinheit, den Nutzen kassiert die Wirtschaft.

    Das war eigentlich immer klar.

    Von wegen „Eigentum verpflichtet“ – höchstens zur weiteren Vermehrung ...

    Geldgeil und Rücksichtslos und in der Konsequenz nicht nur dreist sondern nobelpreisverdächtig dämlich.

    Dafür muß man lange studieren - ohne etwas zu begreifen. Ist ja „Elite“!

    Die jetzige Forderung kann man nur stellen, wenn man ein Fernrohr benötigt um den Tellerrand zu sehen und der Flucht – Jet schon mit laufenden Triebwerken auf der hinterhöfischen Startbahn wartet.

    Nur, liebe Freunde, irgendwann habt ihr es geschafft die Erde derart degenerieren, auszuräubern und zu zumüllen, daß auch ihr hochwohllöblichen kein lauschiges Plätzchen an der Sonne mehr findet. Nicht einen Cent werden ihr in die Urne oder Kiste mitnehmen.

    Das allein ist tröstlich.

  • RK
    Rüdiger KAlupner

    Es stellt sich eigentlich die Macht- und Kultur-Systemfrage und nicht nur die Atomenergie- und Energievesorgungsfrage.

     

    Die gezielte Einschränkung auf die Energieversorgungsfrage wird vei Frau Schavan mehr als deutlich sichtbar - und muß einer anderen systemfrage weichen, wenn die kollektive Lehre aus der Krise der Energieverschwendungskultur gezogen werden sollte:

     

    "Indessen erkundet Bundeswissenschaftsministerin Annette Schavan (CDU) bereits Möglichkeiten, den Weg zum Ausstieg aus der Atomkraft abzukürzen.

     

    Am Montag trifft sie Wissenschaftler und holt sich Rat ein: "Meine erste Frage an die Wissenschaftler wird sein: Wie können wir den im Konzept der Bundesregierung vorgesehen Umbau hin zu den erneuerbaren Energien beschleunigen?", sagte sie der taz."

     

    Nach dem Energiekonzept der Bundesregierung sollen bis 2050 alternative Quellen 80 Prozent der Stromerzeugung decken...."

     

    Frau Schavan sollte die kapitalstock- und wachstumsfeindlich Energieeinspar- /Bedarfsfrage 'Wie können wir 50 % des Elektroindustrieverbrauchs einsparen?' und nicht die Weiter-so-im-2%Wachstumszwang-Sytem- /Versorgungsfrage 'Mit welchen Energiequellen halte ich das Enerieverschwendungs-System aufrecht?'klären lassen.

     

    Für jeden Systemdenken stellt sich nach Fukushima in der andauernden Systemkrise des 2%Wachstumszwang-Regime erstmals die Epochenwechsel- und Machtfrage. Sie wird in die Diskussion drängen. Wer sie stellt, wird zur revolutionären Gruppe. In dieser hoch-aufgeschaukelten, vorrevolutionären Lage nach dem 15.3.2011 fehlt die revolutionäre Gruppe, die das Exodus- und Systemübergangs-Wissen aus dem 2%Regime drauf haben und den Exodus und Ordnungsübergang organisieren kann.

  • M
    Michael

    Wenn man angesichts der Super-GAUs in Japan erkennt, dass Kernkraft unverantwortbar ist und daraus die notwendigen Schlüsse zieht, dann ist es eine glatte Unverschämtheit, dies als Populismus zu diskreditieren.

    Aber das war ja zu erwarten:

    Die Atomlobby fährt ihre Propagandamaschine hoch. Erst wird sich dieser zu Wort melden, dann jener. Sie werden gut dabei aussehen, ruhig und überlegt daherkommen, wie Leute, denen man jederzeit auch einen Gebrauchtwagen abkaufen würde. Ihre Argumente werden sich gegenseitig ergänzen und verstärken.

    Was wollt ihr eigentlich, werden sie sagen. Japan ist weit weg und hier bei uns ist alles besser.

    Nach Fukushima kann man dennoch hoffen, dass dies nicht mehr zieht.

    "Wir alle wissen, dass wir nicht von heute auf morgen aussteigen können", sagt Atomgeneral Keitel.

    Vor kurzem hat er noch erzählt, dass man auf die alten Atomkraftwerke unmöglich verzichten könne - heute sind sie alle heruntergefahren. Wer soll diesem Mann also noch glauben?

    "Die Wirtschaftsverbände sind vor allem besorgt, dass ein rascher Atomausstieg die Strompreise in Deutschland in die Höhe treiben würde."

    Da kann man ja nur bitter lachen: Die Wirtschaftsverbände sind vor allem besorgt, dass Sie ihre Millionengewinne aus unsicheren AKWs nicht mehr einstreichen können, sondern für Sicherheitstechnik ausgeben müssen. Wenn das zu teuer wird, ist das keine Katastrophe, sondern es bedeutet lediglich: Andere Formen der Energiegewinnung sind billiger.

    Das ist um übrigen schon lange der Fall.

    Würden die Kosten für Super-GAU-Versicherung, Tchernobyl, Fukushima, Endlagerung für 20000 Jahre usw. auf jede Atom-Kilowattstunde umgelegt, dann wäre Atomstrom absolut unverkäuflich.

    Wie man in Japan gerade sehen kann, erreicht das Prinzip "Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren" in der Atomwirtschaft einen perversen Höhepunkt: Unabsehbar viele Tote und Strahlenkranke, verstrahlte Landschaften und wirtschaftliche Konsequenzen, die noch gar nicht absehbar sind.

    Damit muss jetzt Schluss sein!

  • A
    allaOM

    Der Wirt warnt vor hastigen Alkoholverzicht

  • V
    vic

    Die Wirtschaft mit ihrem Sprachrohr Hundt warnt vor dem Ausstieg aus der Atomenergie.

    Sie warnt vor Gewerbesteuern, Mindestlohn, vor gleichem Lohn für gleiche Arbeit, und vor Lohnerhöhungen warnt sie ohnehin.

    Ich kann den Erkenntniswert dieses Beitrags nicht erkennen.

  • K
    Komprom

    Kein Problem. Dann soll die Industrie zu 100% haften für eventuelle Störfälle. Und zwar rechtlich bindend.

  • Z
    Zafolo

    Klar, dass die Wirtschaft warnt. Denn die kriegt ja den angeblich billigen Atomstrom und müßte in Zukunft mehr bezahlen.

  • J
    Jürgen

    Kein Problem!

    Es ist den Herren ja freigestellt, ihre Büros ins Ausland zu verlegen, in Fukushima gibt es sicher günstig Gelände zu kaufen. Zwar sind die Strompreise dort auch hoch, dafür ist strahlende Fussbodenheizung inclusive.

    Und tschüss!

  • M
    mufti

    Warum 'die Wirtschaft'? Diese Konzernverbände geben keine Mehrheitsmeinung der Wirtschaft wieder, sondern eben der Konzerne. Die Masse der Unternehmen im Land sind klein, die Zahlen die Steuern und stellen die Ausbildungsplätze. Und da sind viele gegen Atomkraft. Die Grünen sind die Partei mit der höchsten Selbständigenquote, sogar wenn man Anwälte und Ärzte als Selbständige gelten lässt. Ich als Selbständiger würde daher sagen, die Wirtschaft begrüsst einen Ausstieg, je schneller desto gut. er schafft neue Geschäftsfelder und zukunftsfähige Arbeitsplätze.