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Debatte AtomkatastropheJapans große Einsamkeit

Georg Blume
Kommentar von Georg Blume

War es das an Hilfe? Müssen die Japaner und ihre Regierung mit dem GAU allein fertig werden? Ein Plädoyer für mehr internationalen Beistand.

E ben noch waren die Helfer aus aller Welt in Japan. Mindestens 91 Länder schickten Rettungsteams, um aus den Trümmern von Erdbeben und Tsunami Menschen zu bergen. Japan nahm die Helfer mit offenen Armen auf, anders als nach vorherigen Erdbebenkatastrophen. Auf einmal war das Land kein einsames, exotisches Inselreich mehr, es war Teil der Weltgemeinschaft, es litt, aber nicht allein.

Inzwischen reisen die Helfer wieder ab. Auch weil die Regierungen, die sie schickten, um ihre Sicherheit besorgt sind. Das geht in Ordnung. Japan braucht jetzt keine Trümmerspezialisten mehr.

Aber die Katastrophe dauert an, ja, sie weitet sich mit jedem Tag, an dem die beschädigten Atomkraftwerke in Fukushima große Mengen Radioaktivität freigeben, aus. Schon meldet die französische Atomsicherheitsbehörde IRSN, dass in Fukushima bereits 10 Prozent der in Tschernobyl frei gewordenen Radioaktivität in die Atmosphäre abgegeben wurden.

Man ist also gut informiert. Aber wo bleiben jetzt die internationalen Helfer? Alle Welt lobt den todesmutigen Einsatz der japanischen Feuerwehr und anderer Nothelfer vor Ort in Fukushima. Auch einige amerikanische Militärs, so hört man, scheuen sich nicht, ihr Leben zu riskieren.

Beobachter der Internationalen Atomenergiebehörde in Wien (IAEO) sind nach langem Zögern nach Tokio gereist. War's das? Sollen die Japaner nun im Großen und Ganzen mit dem GAU allein fertigwerden?

nicole sturz

GEORG BLUME, 47, berichtet seit 2009 für die taz und die Zeit aus Indien und Pakistan. Davor arbeitete er von 1990 bis 1997 als Korrespondent in Tokio und danach zwölf Jahre in Peking, wofür ihm 2007 der Liberty Award verliehen wurde.

Ein selbstkritischer Premier

Kein Mensch dürfte dieser Tage so allein mit seinen Entscheidungen sein wie der japanische Premierminister Naoto Kan. Für alles, was jetzt in Fukushima passiert, trägt er die letzte Verantwortung. Auf ihn fällt bereits zurück, dass er sich am vorvergangenen Samstag mehrere Stunden lang mit den Gegenargumenten seiner Atommanager aufhielt, als er bereits die Notkühlung mit Meerwasser des defekten Reaktors 1 in Fukushima Daiichi angeordnet hatte.

Doch die Atommanager wollten den Reaktor retten, der durch das Meerwasser für immer außer Betrieb gesetzt sein würde. Kan hätte ihnen gar nicht zuhören sollen. Dann wäre es vielleicht nicht zu der Wasserstoffexplosion im Gebäude von Reaktor 1 am Samstagnachmittag gekommen.

Aber mit wem kann Kan jetzt seine Lage, seine Entscheidungsoptionen diskutieren? Wer lehrt ihn in kurzer Zeit das Handwerk einer Atomkrise? Wer erklärt ihm die Grenzen im Denken seiner Atommanager, über die er sich hinwegsetzen muss? Bestimmt nicht japanische Bürokraten.

Seinesgleichen in aller Welt ist gefragt. Doch statt sich in Kans Lage zu versetzen, reiste US-Präsident Barack Obama am Wochenende wie geplant nach Südamerika. Statt in Fukushima auch eine Herausforderung für die westlichen Regierungen zu erkennen, beschäftigten sich die Führungen der meisten G-7-Länder am Wochenende fast ausschließlich mit Libyen. Es schien, als sei Japan wieder das, was es immer war: ein einsames, exotisches Inselreich.

"Es gibt keinerlei Anlass zu Optimismus", waren bis zum Sonntag Kans letzte öffentliche Worte zu Fukushima. Nahm ihn etwa keiner mehr beim Wort?

Die deutsche Bundeskanzlerin hätte am Wochenende ihren nuklearen Sicherheitsstab um sich versammeln sollen, sich mit ihren Experten die Situation in Japan vergegenwärtigen und dann ihre besten Ratschläge an Kan übermitteln sollen. Dann hätte Deutschlands Enthaltung im Weltsicherheitsrat mehr Sinn gemacht, dann hätten die Deutschen der Welt gezeigt, dass sie sich an anderer, vielleicht sogar entscheidenderer Front für die Weltgemeinschaft einsetzen.

Zugegeben, es ist nicht immer leicht, den Japanern als Westler Ratschläge zu erteilen. Es gibt in Japan Menschen, die ausländischen Rat grundsätzlich ablehnen. Doch heute muss die Welt wissen: Das sind nicht diejenigen, die gerade Japan regieren.

Japan hatte in seiner Nachkriegsgeschichte wohl noch nie einen intellektuell und politisch so weltoffenen und selbstkritischen Mann wie Naoto Kan an der Spitze.

Das Gleiche gilt für den amtierenden Wirtschafts- und Industrieminister Banri Kaieda, der jetzt das wichtigste Ministerium in der Fukushima-Krise leitet. Beide entstammen der bürgerlich-liberalen Alternativszene Tokios, sind nicht Kinder jener typischen, einheimischen Politdynastien, die kaum über den eigenen Tellerrand hinausblicken konnten.

Kan und Kaieda ist Kritik aus dem Ausland durchaus zuzumuten. Im Gegenteil, man kann davon ausgehen, dass beide, wo möglich und nötig, diese Kritik als Waffe gegen die in Japan gegenüber der Politik übermächtige Bürokratie einsetzen könnten.

Das richtige Maß finden

Aber nicht nur die japanische Politik ist derzeit alleingelassen, sondern auch jene mächtige Tokioter Bürokratie samt den AKW-Betreibern von Fukushima. Statt den Betreibern der Firma Tepco (Tokyo Electric Power Company) beizuspringen, wendet sich die internationale Atomgemeinde erschrocken von ihnen ab. Oder hat man von Areva- oder General-Electric-Leuten gehört, die jetzt ihren Tepco-Kollegen helfen?

Mit schlechtem Beispiel gingen vergangene Woche Experten der IAEA voran. Statt sofort nach Tokio zu reisen, ließen sie die Welt erst einmal wissen, was Tepco nach Erdbeben in der Vergangenheit alles falsch gemacht hatte. Produktiv wäre es gewesen, ihnen vor Ort ohne öffentliche Kritik zu sagen, was sie jetzt besser machen können.

Natürlich ist es schwierig, das richtige Maß an Kritik zu finden. Die nuklearen Aufsichtsbehörden sowohl in Frankreich als auch in den USA wählten Stufe 6 der bis Stufe 7 reichenden IAEA-Skala zur Bewertung des Fukushima-Unfalls. Die japanische Atombehörde Nisa geht dagegen bisher nur von einem Unfall der Stufe 5 aus, ähnlich wie in Three Mile Island.

Damit erliegt Nisa ganz offensichtlich dem Versuch der Verharmlosung. Umso wichtiger ist es, dass die amerikanischen und französischen Atomaufpasser widersprechen. Aber vielleicht ist es besser, sie tun es mit einer anderen Unfallbewertung als mit Kritik in der Öffentlichkeit.

Nur gilt für alle: Hilf, wer kann! Das ist bisher in den höchsten Etagen der westlichen Politik ebenso wie in der Atomwirtschaft nicht der Fall. Japan braucht in der Atomkatastrophe mehr internationalen Beistand.

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Georg Blume
Auslandskorrespondent Indien
Georg Blume wurde 1963 in Hannover geboren und ist gelernter Zimmermann. Er leistete seinen Zivildienst in einem jüdischen Kinderheim sowie in einem Zentrum für Friedensforschung in Paris. Danach blieb Georg Blume in Frankreich und wurde Korrespondent der taz. 1989 wurde er Tokio-Korrespondent der taz, ab 1992 auch für die Wochenzeitung DIE ZEIT. Von 1997 bis 2009 lebte er in Peking, wo er ebenfalls als Auslandskorrespondent für die ZEIT und die taz schrieb, seit August 2009 ist er für die beiden Zeitungen Korrespondent in Neu-Delhi. Bekannt geworden ist Georg Blume vor allem durch seine Reportagen über Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen in China. Für dieses Engagement erhielt er 2007 den Liberty Award, mit dem im Ausland tätige Journalisten für ihre couragierten Berichterstattungen gewürdigt werden. 2012 wurde er mit dem Medienethik-Award META der Hochschule der Medien in Stuttgart ausgezeichnet. Publikationen: „Chinesische Reise“, Wagenbach, Berlin 1998. „Modell China“, Wagenbach, Berlin 2002. „China ist kein Reich des Bösen“, Körber, Hamburg 2008.
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10 Kommentare

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  • G
    Gadamer11

    Die fehlende internationale Hilfe für die 6 Reaktoren irritiert mich seit Tag 4/Dienstag der Katastrophe.

     

    1) Spätestens nach 96 Stunden war das verheerende Ausmaß, besonders durch die Explosionen, sichtbar!

     

    2) Die Mitarbeiter von Areva wurden abgezogen, statt sie für Rettungsmaßnahmen um Unterstützung zu bitten.

    Ob sich im amerikanischen Rettungsteam Mitarbeiter von General Electrics befinden, wird nicht verlautbart.

     

    3) Es existiert keine technische Abteilung "Atomic Fire Department" bei der IAEA, genausowenig in europäischer Verantwortung.

     

    4) Es scheint noch nicht mal einen Notfallplan bei der IAEA zu geben, wer was wo verfügbar hat und sofort zum Einsatz verschicken könnte.

     

    5) Auf mehreren Videos war eine Betonpumpe als Wasserpumpe umfunktioniert eingesetzt worden, weil der Auslager direkt über den Abklingbecken postiert werden konnte.

    Immer wieder im Video zu sehen: Der deutsche Hersteller der Betonpumpe, die Firma Putzmeister. Seit über eine Woche ist kein weiteres dieser Spezialfahrzeuge im Einsatz!

     

    6) Roboter, die einen Blick und, viel wichtiger, Meßdaten aus den Reaktoren hätten übermitteln können, wurden erst nach einer Woche aus Deutschland verschickt. Einsatzergebnis bislang unbekannt.

     

    7) Die politische und persönliche Verortung von PM Naoto Kan fällt ja eigentlich in das Ressort des Außenministerium...................

    Auch wenn Premierminister Kan erst, bzw. gerade weil er erst seit dem 4. Juni 2101 im Amt ist.

     

    Das Desaster in Fukushima legt einmal mehr dar, welche Verdrängungs- und Leugnungsleistung die Befürworter der "friedliche Nutzung der Kernnergie" aufbringen. Und wie lange sie in diesem Gedankenbunker ausharren: bis die Abstrahlung der Realität auch in ihre Lebenswirklichkeit eindringt.

  • E
    Eggshell

    Ein wirklich einfühlsamer und sensibler Artikel,herzlichen Dank, Herr Blume !

  • JP
    Johannes Peters

    Was am meisten beunruhigt ist, dass die verschiedenen Atomenergie-Lobbyorganisationen weltweit mit gegenseitigen Schuldzuweisungen und Vorwürfen begonnen haben. So was kam noch nie vor und läßt darauf schließen, dass die Lage wirklich sehr, sehr ernst ist.

  • SL
    steffan lüken

    ist doch komisch in tunesien ägypten usw wurden auch demonstranten getötet und es hat sich nicht wirklich jemand drum gekümmert naja die haben wohl nicht viel öl!

    das volk in japan bangt um ihr ganzes land und der westen zieht in einen neuen krieg,besser wäre doch wenn sie ihre soldaten mit dem schlauch in der hand vorm reaktor verheizen, und würden vielleicht noch was gutes tun für zig millionen menschen.

  • H
    hann0s

    Ein Volk, das sich kritiklos der Atomkraft hingibt, erst recht nach den Störfällen nach den letzten größeren Beben, hat mein Mitleid nicht verdient. Hätte ich genau so wenig mit den Franzosen, Amerikanern Briten. AKWs fallen nicht vom Himmel, wir leben in Demokratien, die, wenn es genug widerstand gibt, Atomkraft beenden können. Es gibt ein gewisses Maß an Wohlstand, somit keinen direkten Kampf ums überleben und somit auch keine Ausrede, sich nicht zu informieren. Wenn das Wahlvolk sich lieber über den Arbeitstag in den Feierabendsake rettet, was deren gutes Recht ist, muss man eben mit den Konsequenzen Leben, und sie ertragen. Punkt! Das Erdbeben war eine Naturkatastrophe, die Atomkatastrophe deren eigene Schuld.

  • AM
    Anja Motz

    Ich hätte mehr Hilfe aus Deutschland für Japan erwartet - wenigstens Container für die Obdachlosen, welche dort erfrieren und verhungern! Aber leider denkt unsere Regierung nur mit Scheuklappen über das eigene Land (deutsche AKW´s) nach! Traurig - obwohl Japan um Hilfe gebeten hat! Ich denke Japan würde helfen, wenn wir solch eine Verkettung von Katastrophen hätten!

  • R
    Ratlos

    Wortloses Mitleid ist garnicht immer nötig. In den intakten Regionen Japans ist man an geordneten wirtschaftlichen Abläufen interessiert. Auch deutsche Monteure und Ingenieure werden angefragt,Produktionsanlagen wieder zu warten und in Betrieb zu nehmen, da doch ein paar hundert "risikolose" Kilometer zum Katastrophengebiet bestehen. Soll man dann hinfahren oder bedauernd abwinken?

  • 3
    3rdstone

    @W. Bieber:

     

    Anti-Atom-Lobby ?? Das es so eine "Lobby" gibt, ist mir neu (wär´aber schön).

    Und wenn man "einfach einmal wortlos Mitleid" zeigt, ist man doch gleich ein böser "Gutmensch", oder ?

     

    ... einfach mal denken vorher ...

  • B
    bitter

    mich wunderte, wie schnell die hilfskräfte vom thw wieder abzogen, während die französischen erst richtig los legten.

     

    japan hatte aber auch das ausland darum gebeten, keine weiteren ausländischen hilfskräfte mehr zu schicken:

     

    "Japan will keine weiteren Hilfskräfte.

     

    Japan bat die Europäische Union unterdessen, bis auf weiteres keine Experten, keine Ausrüstung und keine Hilfsteams mehr ins Land zu schicken. Nach Angaben eines Sprechers der EU-Kommission begründete die Regierung in Tokio dies mit der Schwierigkeit, die Helfer in das Katastrophengebiet zu bringen. Experten der EU-Behörden für Katastrophenhilfe stünden bereit, um mögliche Hilfe in die Wege zu leiten. Sie warteten nun zunächst ab.

     

    Nach Angaben der Kommission haben bisher 20 EU-Staaten Material und Personal für Hilfe in Japan zur Verfügung gestellt. Dabei gehe es unter anderem um Wasseraufbereitungsanlagen, Notunterkünfte und Feldlazarette."

     

    quelle: http://www.tagesschau.de/ausland/bebenjapan112.html

  • WB
    Wolfgang Bieber

    Die Katastrophe in Japan wird von allen Seiten vereinnahmt - in den USA beschwört der erzkonservative Moderator Glenn Beck die Idee einer Rache Gottes, in Deutschland macht die linke Anti-Atom-Lobby vor dem Hintergrund des AKW-Unglücks mobil. Können wir nicht einfach einmal wortlos Mitleid zeigen?:

    http://bit.ly/fsTEiN