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Kommentar "Empire Avenue"Lasst die Schreihälse unter sich

Maik Söhler
Kommentar von Maik Söhler

"Empire Avenue" heißt ein neues Online-Netzwerk, das ermitteln will, wie viel ein Nutzer wert ist. Das klingt nach einem netten Spiel? Von wegen.

Wieder irgendein Gelumpe freigeschaltet: "Empire Avenue". Bild: screenshot http://www.empireavenue.com/about/

L inke können nicht mit Geld umgehen, wie oft habe ich das schon gehört - von gemäßigten Rechten, von Liberalen, von anderen Linken, die meinen, es zu können. So mancher Linker beherrscht es besser, über den Wert zu sprechen, eine Größe, die durch den Preis einer Ware in Form von Geld ausgedrückt wird und allerlei Theorie mit sich führt.

Von diesem Wert will das neue Online-Netzwerk "Empire Avenue" nichts wissen, hier geht es schlicht und einfach darum, sich und andere unter Aspekten der Vernetzung zu bewerten. Wie oft twittert jemand, wie viele Freunde hat er auf Facebook, wie ist er auf LinkedIn mit wem verbandelt? Dieser Wert verhält sich zum Wert der Werttheorie in etwa so wie der internationale Börsenhandel zum Gang zum Kiosk, den eine Sechsjährigen mit ihrem ersten Taschengeld unternimmt.

"Empire Avenue" will eine Mischung aus Spiel und Netzwerk sein. Es soll der Spaß vermittelt werden, sich mit anderen zu messen und an ihrem Auf- und Abstieg teilzuhaben. Tatsächlich aber ist die Website die digitale Ausformung alter und neuer Formen eines unregulierten Kapitalismus. Menschen treten sich allein als Waren gegenüber, man kauft Anteile aneinander und hofft, dass die Investitution sich lohnt, indem Nutzer X seinen Wert stetig steigert.

Kurse, Anfragen, Angebote drängen ins eigene Profil - unaufgefordert und autoritär. Jemand kauft Anteile, ein anderer ruft "Shout" (was auch immer das bedeuten soll), immer neue Gadgets werden freigeschaltet. Ein Auto, ein Haus, eine Yacht wollen gekauft werden, die Netzwerkbetreiber bieten an, dem Nutzer mehr von der Fantasiewährung Eaves bereitzustellen, um bei alldem mitmachen zu können - gegen echtes Geld, abgerechnet wird in Dollar über Kreditkarte. Im Vergleich zu "Empire Avenue" ist Twitter ein Netzwerk der Ruhe und Besinnlichkeit.

Sinnvolles Netzwerk für statusorientierte Top-Checker

Dennoch liegt es nicht am hohen Tempo einer chaotischen Kommunikation, dass das Netzwerk zum dümmsten gehört, was das Internet bislang hervorgebracht hat. Es liegt an seinen Nutzern. Jeder "Werber", "Coach", "Marketer" und "Berater", den man je auf Facebook und Twitter gemieden hat, ist auf "Empire Avenue" schon längst präsent und preist sich und seine Werte. Noch der dreisteste Schreihals, der uns offline ungefragt morgens um sieben am Telefon eine Versicherung gegen Ufo-Schäden aufschwatzen will, ist hier ein angesehener, weil gut bewerteter Nutzer. Gschaftlhuber und Business-Kasper sind die Könige von "Empire Avenue" und warten auf neue, investitionsfreudige Untertanen.

privat

MAIK SÖHLER (41) ist Chef vom Dienst bei taz.de. Er zieht neue Netzwerke alten Seilschaften vor.

Das sollen sie ruhig weiterhin tun können. Als Nische für statusorientierte Top-Checker sorgt das Netzwerk geschickt dafür, dass wir diese Leute jenseits des Netzes künftig seltener zu Gesicht oder ans Telefon bekommen. Den Betreibern sei geraten: Werbt überall dort für "Empire Avenue", wo jemand "mein X, mein Y und mein Z" sagt. Den Nutzern sei empfohlen: Verbringt mehr Zeit in eurem Netzwerk, denn ein anderer könnte euch gerade im Wert überholen, besser vernetzt sein oder ein größeres Auto kaufen. Allen anderen aber sei gesagt: Geht nicht über Los, zieht nicht 4.000 Eaves ein.

Diese Warnung vor einem Social Network tut mir weh. Ich sammle Mitgliedschaften in Online-Netzwerken wie andere Briefmarken. Ich habe Profile auf Twitter, Facebook, Google Buzz, Identi.ca, MeinVZ, LinkedIn, Xing, Diaspora, MySpace, Orkut, Kaioo und wer weiß, wo noch. Die meisten dieser Profile nutze ich nicht oder sehr selten, und doch habe ich mich bis zum Montag nie irgendwo abgemeldet. Meine Sympathie gehört der digitalen Accountleichenbewegung, einer leider zu früh eingegangenen Bewegung, die sich dafür einsetzte, ungenutzte Profile und Avatare (zum Beispiel in Second Life) sichtbar zu machen. Damit sollte unter anderem gezeigt werden, wie viel Tod im ach so lebendigen Netz bereits vorhanden ist.

Seit "Empire Avenue" ist das anders. Ich habe mich am Sonntag an- und am Montag wieder abgemeldet; habe also nicht einfach den Account ruhen lassen, sondern alle Daten gelöscht. Endgültig. Linke können nicht mit Geld und Wert umgehen? Ja, stimmt. Und das ist auch gut so.

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Maik Söhler
Journalist
Jahrgang 1969, Leitender Redakteur des Amnesty Journals. War zwischen 2010 und 2020 Chef vom Dienst bei taz.de. Kartoffeldruck, Print und Online seit 1997.
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2 Kommentare

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  • F
    Florian

    Was für ein abartiges Business Modell !!

    Letztens bei ZDF ne Doku gesehen wo genau dieses als mögl. Zukunftsszenario gezeigt wurde. Und jetzt gibts sowas tatsächlich schon. Als Informatiker finde ich das widerlich und menschenverachtend ! Hoffe dass sich das nicht großflächig durchsetzt ! Aber so naiv wie die Jugend teilweise ist...

  • SL
    Stefan L

    Danke.