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AtelierbesuchDie Realistin

Die Braunschweiger Fotokünstlerin Birte Hennig braucht ihre Heimat, um Kunst zu produzieren, aber eine Heimatkünstlerin ist sie keineswegs.

Aus der Zeit gefallen: Das Stadtbad in Braunschweig-Wenden. Bild: Birte Hennig

BRAUNSCHWEIG taz | "Thronfolger" nennt sich die Ateliergemeinschaft in einem geräumigen ehemaligen Ladenlokal in Braunschweig, zu der die Fotografin Birte Hennig gehört. Symbolträchtiger Namensgeber ist die Lage am Prinzenweg, einer idyllischen Enklave aus Fachwerkhäusern, einem schmalen Nebenarm der Oker und Resten alter Stadtmauern.

Verträumtheit und Lokalpatriotismus aber gibt es in den Fotografien von Birte Hennig nicht, stattdessen geht es um eine klare Sichtweise. "Ich zeige, was ist", sagt sie zu ihrer Bildsprache. Dafür benötigt sie allerdings die Vertrautheit ihres nahen Umfelds, die sichere Umgebung ihrer Heimatstadt.

"Woanders fotografiere ich wenig, das sind dann eher Skizzen", sagt sie. Noch bis Sonntag sind Hennigs Fotos zu sehen im Rahmen der Ausstellung "BS-Visite", die aktuelle Arbeiten der Absolventen der Braunschweiger Hochschule für Bildende Künste versammelt.

Im Jahr 1965 in Braunschweig geboren und dort auch aufgewachsen, fand Birte Hennig erst spät zur Kunst. Ein nicht abgeschlossenes Studium der Politik- und Sozialwissenschaften, Arbeit bei der Lebenshilfe und die Geburt ihres ersten Kindes gingen voraus, bis sie sich, gut 30-jährig, an der Kunsthochschule in Braunschweig einschrieb.

Hier beschäftigte sie sich vor allem mit der Malerei, dem "Ausdruck", der Interpretation von Wirklichkeit, wie sie es bezeichnet. Und sie erfuhr den Horror Vacui der leeren, weißen Leinwand, die gefüllt werden wollte.

Die Fotografie eröffnete ihr dann den umgekehrten Weg: Bei diesem Medium ist im Prinzip ja schon alles da! Es muss geordnet werden, eine Struktur muss gefunden, ein Erzählstrang durch eine Bildfolge ersonnen werden. "Das Foto muss zeigen, was mich an der Realität reizt", beschreibt Hennig ihren Zugang.

Ihre Realitäten findet Hennig in städtischen Situationen im Übergang, im Zeitfeld zwischen Vergangenheit und Zukunft: Brachen, leere Läden, Rodungen am Braunschweiger Flughafen, überwucherte Bombentrichter in Braunschweigischen Wäldern.

So entdeckte sie beispielsweise einen kleinen historischen Gartenpavillon. Das alte Haus, hinter dem er steht, wurde abgerissen, der private Pavillon war zeitweilig von der Straßenseite aus öffentlich sichtbar - um hinter einer neuen Bebauung sukzessive wieder zu verschwinden.

Oder ähnlich vielleicht Hennigs stiller Blick auf das Stadtbad in Braunschweig-Wenden: hier ist zwischen Abriss und Wiederinbetriebnahme alles möglich, die Zeit scheint einfach nur ausgeblendet. Diese Arbeiten versteht Hennig auch als kritische, gar politische Kommentare zu ihrer Stadt. Der reinen Intuition würde sie für diese Bildfindungen nicht trauen.

In einigen neuen Serien geht Hennig freiere Themen an, auch an auswärtigen Orten. Beispielsweise erforscht sie das optische Verschwinden, die feine Grenze zwischen dem, was in der Dunkelheit gerade noch sichtbar ist, bevor nichts mehr festzuhalten ist.

In der tiefen Nacht hat sie am Gardasee Requisiten des täglichen Badebetriebs fotografiert. In der extrem langen Belichtungszeit ohne Stativ gerinnen die Bilder von Plastikstühlen, Klapptischen und anderen sommerlichen Gerätschaften zu etwas verwackelten, letzten Lichtreflexen. Ihr Atem, der die Kamera leicht zittern ließ, somit der eigene Körper der Fotografin, wurde Generator dieser mysteriös anmutenden Bildwelten.

In einer Portraitreihe - eigentlich keine typische Form für Hennig - setzte sie Familienmitglieder und Freunde vor den Fernseher. Ganz entspannt tauchen sie ein in eine andere Wirklichkeit oder fiktive Welt, während Hennig das helle Aufblitzen ihrer Augen im Foto fixierte.

Als Lebensmittelpunkt - mit Ehemann und mittlerweile zwei Kindern - und Quelle der meisten ihrer Themen gibt Hennig unumwunden die Stadt Braunschweig an. Ist sie als Künstlerin mit den Angeboten, dem Flair der Oker-Metropole nun rundum zufrieden, gibt es also gar keine Defizite?

Ganz so zustimmen will Hennig dann doch nicht. Sie sagt, dass sie die geografische Lage sehr schätze. "Von hier ist man schnell in Hamburg und Berlin". Dorthin fahre sie regelmäßig zu Ausstellungen, zu Studienkollegen, um in Buchhandlungen zu stöbern.

An Braunschweigs Angebot lobt sie das Museum für Photographie, wo sie im Beirat engagiert ist. In Wolfsburg ist sie Mitglied im Kunstverein. Und in Wolfsburg verdient sie im wesentlichen ihr Geld als freie Mitarbeiterin für visuelle Bildung am dortigen Kunstmuseum.

Einen Teil davon investiert sie in ihre Ateliergemeinschaft "Thronfolger", die als temporäre Galerie mit einem kleinen Programm auch eine institutionelle Lücke in Braunschweig füllen möchte. Zur "Studentenkulturnacht" am 23. Juni beispielsweise werden Malerei und Zeichnungen von Jana Gontscharuk gezeigt. Auch Gontscharuk ist eine Braunschweiger Absolventin - anders als Birte Hennig entfloh sie jedoch nach Berlin.

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