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Immer feste drauf!

Schröder und Doris sind weg, die Merkel sitzt allein im Kanzleramt, ungeliebt von den Medien wie ihr Vorgänger. Die Regierung hat gewechselt – aber das „Politiker-Bashing“ geht munter weiter

VON JOACHIM LOTTMANN

Wenn Hans-Ulrich Jörges auch weiterhin im Stern allwöchentlich gegen Müntefering („Du bist Münte!“), Stoiber, Wulff, Merkel, Platzeck und so weiter mit alttestamentarischer Wucht wettert, erbleichen die Kollegen von der Bild. Sie besorgen das Geschäft mit gleichem Eifer und geraten doch in ihrer ohnmächtigen Knast- und NPD-Sprache immer mehr auf unterstes Pöbelniveau. Die Buchstaben werden immer größer, die Aussagen immer kleiner, sinngemäß, dass die große Koalition schon jetzt „am Arsch“ sei, auch die jetzt gewählten Politiker Abzocker seien, Lügner, Betrüger, Abkassierer, faule Hunde, Schwätzer und so weiter. Die NPD plakatierte jüngst im Bundestagswahlkampf „Schnauze voll? Zocker-Politiker abstrafen! NPD“. Das war plump, aber vom Tenor her das, was auch alle anderen Medien dem Volk zunehmend heftig suggerieren.

Die verarschen uns!

Die Freiheit, einen demokratisch gewählten Politiker einmal zu loben, kann sich keine Zeitung mehr herausnehmen. Zu hermetisch, zu konsensual ist inzwischen der geschürte Hass gegen diese Leute. Es handelt sich dabei um echte Hetze. Allein die in der letzten Woche erschienenen Berichte über die neuen „Abzocker-Politiker“ würde die heutige taz um ein Vielfaches sprengen. Am beliebtesten dabei sind endlose Tabellen, in denen die einzelnen Bezüge der Abgeordneten bis zum letzten Bürobleistift aufgelistet werden. Diese Schweinerei! Die verarschen uns doch!

So Volkes Stimme. Der Stern beschreibt die Mehrwertsteuererhöhung im übernächsten Jahr als einen auf unsere Wirtschaft zurasenden Kometen, der sie zerschmettern wird: „Noch 410 Tage bis zum Einschlag!“ Danach wird auf 21 Heftseiten haarklein bewiesen und vorgerechnet, dass alles, alles, alles schlecht ist am neuen Koalitionsvertrag. Furcht einflößende Headlines: „Wer verliert 2007 am meisten?“ (S. 28), „Über Nacht werden unsere Lagerbestände drei Prozent weniger wert“ (S. 29), „Die Letzten beißen die Hunde“ (S. 34), „Die neue Regierung startet ohne Vision“ (S. 36), „Wir verlieren noch mal fast 160.000 Jobs“ (S. 42), „Pascha-Paare sollen mehr bezahlen“ (S. 44), „Unersättlich / Die Bürger werden abkassiert, die Politiker bedienen sich ungeniert“ (S. 46) und so weiter. Dass Focus und andere Spießerblätter dem nicht nachstehen, versteht sich von selbst. Deren Headlines sind dann aber wackeren taz-Lesern nicht mehr zumutbar.

Politiker sind ganz offensichtlich das Feindbild der Deutschen, und die Monomanie und Häufigkeit, mit der diese kleine Gruppe attackiert wird, erinnert durchaus an die bekloppte Besessenheit, mit der etwa die Zeitschrift Der Stürmer das damalige Feindbild „die Juden“ immer und immer wieder … Entschuldigung, so was sagt man ja nicht mehr. Ich nehme es auch sofort zurück. Ich sagte nur, es „erinnerte“ mich daran. Und wenn die Erinnerung erst einmal anfängt, denkt man unwillkürlich noch weiter zurück: Ist der Hass auf die demokratisch gewählten Politiker, auf die Demokratie, auf das Parlament und den Meinungsstreit nicht überhaupt das konstituierende „deutsche“ Element der letzten hundert Jahre? Nur drei kurze Beispiele: Kaiser Wilhelms „Ich kenne keine Parteien mehr“ löste schon 1914 grenzenlosen Jubel aus. Krieg statt Demokratie, super! Auch Hitlers Siegeszug verdankte sich einer täglichen Hetze gegen „die Schwatzbude“, die er „dichtmachen“ wollte, das Parlament. Die 68er polemisierten eine Generation später vor allem gegen „das System“ und übernahmen damit denselben Begriff, der auch den Nazis schon alles bezeichnete, was mit Demokratie zu tun hatte.

Das geistige Elend

Vor diesem Hintergrund erklärt sich, warum, entgegen der Wilhelm-II.-Logik, der Schulterschluss von SPD und Union nicht zum Ende der Medienhetze führte. Dieses „Wir kennen keine politischen Lager mehr, wir sind Deutschland!“ zieht nicht. Warum? Weil die große Koalition immer noch ein Produkt der Politik ist und nicht deren Ersatz. Aber genau darum geht es der antiparlamentarischen Hetze: Das Primat der Politik soll zerstört werden. Die Wirtschaft allein soll das Sagen haben. Politiker sollen durch Manager ersetzt werden. „Politik“, also das Verhandeln der Interessen aller Bürger, soll als zutiefst schäbiges, verlogenes Tun diskreditiert werden, das dem Wirtschaftsaufschwung im Wege steht. Und das einzig wahre Interesse aller Bürger soll der Wirtschaftsaufschwung sein.

Der Gedanke ist jedoch falsch. Überlässt man den Staat ganz der Wirtschaft, kommt es zu Gewinnexplosionen und kurz darauf zu einer Zerrüttung der Wirtschaft. Das Kapital nimmt mit, was geht, und wandert weiter. „Die Wirtschaft“ ist an der Wirtschaft gar nicht interessiert. Man sieht das überall auf der Welt, wo „die Wirtschaft“ den Staat übernahm, zum Beispiel in Argentinien unter Menem. Der Neoliberalismus zerstörte in drei Jahren die Industrie und die Infrastruktur. Das Staatseigentum wurde privatisiert, ausgeschlachtet und stillgelegt. Hunderttausende Kinder starben und sterben an Unterernährung.

Dieses alles und noch viel mehr wissen natürlich verantwortungsvolle Journalisten. Und auch, dass zwei Bereiche auch in der Krise gut laufen: Drogen und Medien. Telenovelas machen im neoliberal ausgeplünderten Südamerika Milliarden. Das materielle Elend wird durch die Medienkonzerne zu einem geistigen. Ein Ende der Krise liegt nicht in ihrem Interesse.

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