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Das Altern ist nicht aufzuhaltenPillen für Mäuse

Forscher warnen vor den Angeboten der Anti-Aging-Industrie. Die natürliche Alterung lässt sich – trotz Versprechungen – durch kein Mittel zum Stillstand bringen.

Im Tierversuch sieht vieles einfacher aus, als es ist. Bild: dpa

ZUSMARSHAUSEN taz | "Neues Anti-Aging-Mittel gefunden!" Immer wieder stößt man auf diese verheißungsvolle Nachricht. So entwickelte vor kurzem eine Forschergruppe um Vadim Aksenov, Universität Ontario, einen neuen Anti-Aging-Cocktail, der zumindest bei Mäusen das Altern aufhalten soll.

Der Verjüngungstrank war ein Nahrungsergänzungsmittel, das die Vitamine E und C enthielt. Hinzu kamen unter anderem verschiedene Spurenelemente sowie Knoblauch-, Ingwer-, Ginkgo-, Ginseng- und Grüner-Tee-Extrakte und Öl aus Kabeljau-Leber und Leinsamen. Aksenovs Mäuse lebten offenbar dank seiner Mischung länger und erhielten ihre Fitness. Bis ins hohe Alter liefen sie umher, und in ihren Körpern bildeten sich weniger freie Radikale, die eine wichtige Rolle beim Alterungsprozess spielen sollen.

Warum seine Mäuse länger fit blieben, konnte Aksenov allerdings nicht erklären, und angesehene Forscher wie Stuart Jay Olshansky, von der Universität von Illinois in Chicago, bezweifeln, dass sich Altern beim Menschen so einfach aufhalten lässt. Olshansky mahnt vielmehr zur Vorsicht gegenüber den Angeboten einer boomenden Anti-Aging-Unternehmerschaft. Die natürliche Alterung lasse sich derzeit durch kein bekanntes Mittel stoppen, sagt Olshansky.

Altern bedeutet: Schäden im Körper häufen sich

Welch schwieriges Terrain man mit dem Gebiet der Altersforschung betritt, zeigt sich bereits daran, dass sich die Wissenschaftler bisher nicht einmal darauf einigen konnten, was Altern eigentlich ist. Für die meisten Forscher bedeutet Altern, so Olshansky, dass sich Schäden im Körper häufen. Diese Defekte betreffen besonders die Erbsubstanz, die Eiweiße, die Kohlenhydrate und die Fette. Nach und nach verschlechtern sich hierdurch die Funktionen von Zellen, Geweben und Organen.

Dies macht den Organismus einerseits krankheitsanfälliger, andererseits kommt es zu typischen Alterungsprozessen: Muskel- und Knochenmasse bilden sich zurück; die Reaktionsgeschwindigkeit sowie das Seh- und Hörvermögen und die Elastizität der Haut nehmen ab.

Die Ursachen für die Defekte an den Molekülen sind vielfältig. Fatalerweise sind daran offenbar die winzigen Kraftwerke der Zellen - die Mitochondrien - beteiligt. Diese Zellorganellen besitzen ein eigenes, aus nur wenigen Genen bestehendes Genom.

Verrichten die Mitochondrien ihre Arbeit, bilden sich oft höchst aggressive Moleküle, die sogenannten Radikale. Zumeist beheben die Zellen die von diesen Radikalen angerichteten Defekte selbst - aber nicht immer.

Radikale: Ursache für körperlichen Verfall

Viele Forscher gehen davon aus, dass die Radikale die Ursache des körperlichen Verfalls im Alter sind, da sie das Erbgut in den Mitochondrien angreifen. Dies hat zur Folge, dass die Zellen im Körper das normale Zusammenspiel von zahlreichen Molekülen nicht mehr beibehalten.

"Für keines der zurzeit angepriesenen Anti-Aging-Mittel ist die erwünschte Wirkung wissenschaftlich belegt", erklärte der Alterungsforscher Olshansky. Wie soll dies auch möglich sein, wenn sich das Altern bislang nicht einmal objektiv messen lässt? Weder bei Tieren noch beim Menschen hat sich irgendetwas gefunden, das sich hierfür als geeignet erwies.

Wahrscheinlich ist vielen Menschen diese Unzulänglichkeit bekannt. Doch getreu der Maxime "Was nichts nützt, kann auch nichts schaden" probieren viele das ein oder andere Anti-Aging-Verfahren aus. Das sollten sie besser genauer überdenken. Für die beliebten und leicht erhältlichen Nahrungsergänzungsmittel verlangen die Nahrungs- und Arzneimittelbehörden beispielsweise nicht dieselben strengen Sicherheits- und Wirksamkeitsprüfungen wie für Arzneimittel.

Weder Reinheit noch Wirkstoffgehalt sind sicher. Die Dosierung folgt nicht bewährten Richtlinien, und oftmals gibt es keine Hinweise auf Wechselwirkungen mit Medikamenten.

Antioxidanzien wie Vitamin E und Vitamin C

Zu den populärsten Substanzen gegen das Altern zählen Antioxidanzien wie Vitamin E und Vitamin C. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese Substanzen die gefährlichen freien Radikale neutralisieren.

Ob die Vitaminpräparate durch freie Radikale erzeugte Schäden in Grenzen halten und das Altern verlangsamen, konnte allerdings bislang nicht nachgewiesen werden. Zudem sind Radikale nicht nur schädlich, sondern auch nützlich. Denn freie Radikale sind für die Zwischenschritte verschiedener biochemischer Reaktionen im Körper und bei der Immunabwehr unentbehrlich. Ohne freie Radikale in unserem Körper wäre uns der Tod sicher.

Eine beliebte Methode gegen das Altern ist auch der Hormonersatz. Mit zunehmendem Alter sinken die Blutspiegel vieler Hormone, etwa die des Wachstumshormons oder der Geschlechtshormone. Aber Hormonersatz kann das Altern nicht zum Stillstand bringen, und die Hormone können schwere Nebenwirkungen haben. Der Östrogenersatz nach den Wechseljahren kann das Befinden mancher Frauen durchaus bessern. Doch diese Maßnahme ist nicht unproblematisch, da das Risiko für Brustkrebs und Thrombosen erheblich steigt.

Kalorienreduzierte Ernährung im Tierversuch wirksam

Wahrscheinlich könnte das Altern durch eine stark kalorienreduzierte Ernährung verzögert werden. Bei Tieren hat sich diese Methode jedenfalls bewährt. Sie lebten nicht nur länger, sondern blieben auch länger fit.

Beispielsweise lagen ihre Blutdruck- und Blutfettwerte niedriger, was das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall vermindert. Darüber hinaus bleibt der Blutzuckerspiegel eher im Normalbereich, was mit einem niedrigeren Diabetesrisiko einhergeht.

Für optimale Effekte müsste man allerdings die Kalorienzufuhr drastisch senken - etwa um ein Drittel. Es ist davon auszugehen, dass kaum jemand seine Kost so drastisch einschränken will. Darum wollen Forscher jetzt die Mechanismen herausfinden, auf denen dieser Effekt beruht. Das Ziel ist, die Wirkungen zu imitieren, sodass die Menschen von der Wirkung profitieren, ohne zu hungern.

Maßvoller Genuss von Rotwein

Bei Säugetieren scheint unter anderem das Enzym Sirt1 für den gesundheitsfördernden und lebensverlängernden Effekt einer begrenzten Kalorienzufuhr verantwortlich zu sein. Aktiviert werden kann das Enzym durch eine im Rotwein enthaltene Substanz - möglicherweise verlängert ein maßvoller Genuss von Rotwein das Leben. Das wird zumindest von der Weinlobby so propagiert.

Viele Wissenschaftler gehen davon aus, dass es eines Tages möglich sein wird, den Alterungsprozess tatsächlich zu verlangsamen. Doch nicht alle Forscher teilen diesen Optimismus. Ihrer Ansicht nach wird sich das Altern aufgrund seiner Komplexität allen Anti-Aging-Therapien für immer widersetzen.

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2 Kommentare

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  • LM
    Lothar Michael Muth

    Die natürliche Alterung lässt sich zwar tatsächlich durch kein einzelnes Anti-Aging-Mittel komplett zum Stillstand bringen, man kann es aber heute schon durchaus etwas verzögern, wenn auch im Durchschnitt nur um zehn bis fünfzehn Jahre. Der seit über hundertfünfzig Jahren anhaltende Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung (der sich keineswegs primär dem Absinken der Kindersterblichkeit verdankt, wie immer wieder falsch kolportiert), die seit mehreren Jahrzehnten explodierende Zahl der Überhundertjährigen und das im Schnitt immer spätere Einsetzen altersbedingter Erkrankungen sprechen hier eine deutliche Sprache! Diese Lebenszeitgewinne resultieren vor allem aus der Kombination besserer medizinischer Versorgung, besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen und gesundheitsbewussteren Lebensstilen. Man könnte auch sagen, der Fortschritt auf dem Gebiet der Alternsforschung und der Anti-Aging-Medizin hat noch gar nicht richtig angefangen und trotzdem werden die Menschen jetzt schon immer älter bei gleichzeitig verlängerter Gesundheitsspanne.

     

    In der zentralen Grundsatzfrage, wie sie die Autorin zum Schluß aufwirft, ob der biologische Alterungsprozeß von einer unendlichen oder einer endlichen Komplexität regiert wird - ob es also eine unüberwindbare maximale Obergrenze der menschlichen Lebenserwartung gibt oder nicht - besitzen wir seit fast zwanzig Jahren immer mehr Beobachtungen und Ergebnisse aus der experimentellen Grundlagenforschung bei Zellkulturen, Würmern, Korallen, Quallen, Fliegen, Fischen und Mäusen, die immer stärker die zweite Interpretation nahelegen oder zumindest die Möglichkeit, daß das maximale Lebensalter um ein Vielfaches gesteigert werden kann. Daher auch die seit einigen Jahren wachsende Aufbruchstimmung in der Alternsforschung insbesondere in den angelsächsischen Ländern, wie sie sich schon in verschiedenen populären Übersichten oder auch filmischen Reportagen niedergeschlagen hat: 'Ending Aging' von Aubrey de Grey (2007, deutsch: 'Niemals alt werden', 2010), 'Long for this World: The Strange Science of Immortality' von Jonathan Weiner (2010), 'The Youth Pill: Scientists at the Brink of an Anti-Aging Revolution' von David Stipp (2010), die Filmdokumentation 'To Age Or Not To Age' von Robert Kane Pappas (2010) und weitere Veröffentlichungen mehr. Für den deutschsprachigen Raum sei hingegen auf die beiden Suhrkampbände 'Werden wir ewig leben? Gespräche über die Zukunft von Mensch und Technologie' von Roman Brinzanik und Tobias Hülswitt (2010) und 'Länger leben? Philosophische und biowissenschaftliche Perspektiven' herausgeben von Sebastian Knell und Marcel Weber (2009) verwiesen.

     

    Der umstrittene Visionär der Biogerontologie, der schon angeführte Brite Aubrey de Grey, wird diesen September bereits die 5. SENS-Konferenz abhalten, die nur alle zwei Jahre stattfindet und auf der er mit weit über einhundert Kollegen neueste Forschungsergebnisse und Perspektiven zur Alternsüberwindung vorstellt und diskutiert. Selbst der im Artikel erwähnte Professor Olshansky, Medizinepidemiologe der Universität Chicago, der den radikaleren Ansätzen eines Aubrey de Grey eher kritisch gegenübersteht, war bereits im Jahre 2006 Wortführer einer großen Wissenschaftsinitiative, in der führende Alternsforscher vom US-Kongress eine massive Aufstockung des Forschungsetats für die biogerontologische Grundlagenforschung verlangten. Konzeptionelle Leitlinie dieser Initiative: mit dem besseren Verständnis der tieferen und grundlegenden Mechanismen des menschlichen Alterns lassen sich auch sehr viel effektivere Therapien für altersbedingte Krankheiten ableiten, die nicht nur die Lebenserwartung im Schnitt um sieben Jahre erhöhen sollen sondern längerfristig, angesichts der demographischen Entwicklung, riesige Einsparungen im Gesundheits- und Pflegesektor ermöglichen! Dieses Einsparpotential wurde als "Langlebigkeitsdividende" bezeichnet (Longevity Dividend), die der Initiative auch ihren Namen gab.

     

    Für einen Artikel in der taz ist es schliesslich erstaunlich, daß die soziale und politische Dimension des Alterns keine weitere Beachtung findet, denn hinter einem medizinstatistisch-demographischen Begriff wie "durchschnittliche Lebenserwartung" verbergen sich starke soziale Ungleichheiten, die einer genaueren Analyse Wert wären. Zugespitzt formuliert könnte man nämlich behaupten, daß sich die "Pazifizierung des Klassenkonflikts" (Habermas) längst in eine unterschiedliche Lebenserwartung von arm und reich transformiert hat.

     

    Es war jedenfalls schon immer ein Kennzeichen der politischen Linken, daß sie unaufhörlich sekundäre, menschengemachte Todesursachen thematisiert, während sie für die natürliche Todesursache Nr. 1 bzw. die prinzipielle Sterblichkeit des Menschen jenseits gesellschaftspolitischer und historischer Gründe keine richtigen geistigen Antennen besitzt. Schon gar nicht kann daher das tiefere dialektische Verhältnis von primär-biologischen zu sekundär-sozialen Todesursachen Gegenstand der intellektuellen Reflexion werden und so sind irrationale Übertreibungen und Todesangstprojektionen an der Tagesordnung. Diese irrationalen Projektionen funktionieren nach dem ewig gleichen Grundmuster, in dem eine hypothetische oder potentielle existentielle Bedrohung, die einen wahren Kern besitzt, in verzerrter, unangemessener Weise dargestellt und emotional aufgeladen wird, insbesondere was ihr zeitliches Eintreffen und ihre Verlaufsdynamik betrifft, während andere und oft realere Gefahren, keine oder viel zu wenig Aufmerksamkeit erhalten. (Auch in diesem Artikel sind die existentiellen Prioritäten in dieser Hinsicht auf den Kopf gestellt, wenn er vor potentiell schädlichen Nebenwirkungen einzelner Anti-Aging-Mittel korrekterweise warnt aber die tödlich-sichere HAUPTwirkung des Alterns selbst nicht weiter problematisiert.) Vom Zusammenbruch der ökonomischen oder politischen Ordnung über die Angst vor Krieg und Umweltkollaps bis hin zu den Niederungen der medial dramatisierten aktuellen Angstmoden kann alles Anlass für die große kollektive Todesbeschwörung werden - nur die grundsätzliche Sterblichkeit des Menschen ist in solchen Debatten so gut wie nie das Thema, oder wenn dann nur in beiläufig-verharmlosender oder gar zynischer Weise. Fairerweise muß man aber hinzufügen, daß dies kein exclusives analytisches Versagen der intellektuellen Linken ist sondern die geistige Lage in der säkularen Moderne samt ihrer lärmenden Medienlandschaft generell charaktisiert.

  • HM
    Hans Mayer

    Danke für diese kompakte Übersicht, die m.E. den wissenschaftlichen Erkenntnisstand gut zusammenfasst. Altern ist ein multifaktorielles Phnänomen, zu dem u.a. die evolutionär zustandegekommene Balance zwischen Fortpflanzung und Selbsterhaltung beiträgt (disposable soma-Theorie usw.). Zu ergänzen wäre vielleicht, dass man die in (einigen) Versuchen wirksamen Konzentrationen des SIRT1-Aktivators Resveratrol nur durch Aufnahme einer mit dem Leben nicht vereinbaren Menge von Rotwein erzielen kann, falls man es so versuchen will. Es reduziert sich am Ende sehr viel auf miteinander wechselwirkende, vielfältige Lebensstilfaktoren, die ja auch mit herangezogen werden, um die markante Abhängigkeit der Lebenserwartung von der sozialen Schicht zu erklären.