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Ein Schach-Junge aus DelftGiri, das kleine Genie

Das neue Wunderkind des Schachs kommt aus den Niederlanden. Anish Giri, 17, mit nepalesisch-russischen Wurzeln, fordert die etablierten Großmeister heraus.

Da lauert er: Anish Giri. Bild: commons

In einer Fußballstadt wie Dortmund klebt rasch ein Etikett an einem: Als Wunderkind auf 64 Feldern wird man so eben rasch zum "Mario Götze des Schachs" abgestempelt, auch wenn Anish Giri eher mit dem holländischen Ausnahmekicker Ruud Gullit verglichen werden sollte.

Dabei hat der 17-Jährige einen noch interessanteren Lebenslauf als Gullit, dessen Vater aus Surinam stammt. Giri hat nepalesische Wurzeln, ist in Russland und Japan aufgewachsen und ist inzwischen zweifacher niederländischer Meister – der Erwachsenen.

Durch diesen grandiosen Erfolg schoss der Sohn des nepalesischen Hydrologen Sanjay Giri und der Russin Olga in der Weltrangliste bis auf Platz 26 vor. "Ob ich Profi werde oder etwas anderes mache, sehe ich in zwei Jahren, wenn ich die Schule abgeschlossen habe. Das will gut bedacht sein", sagt er. Er ist mit 14 Jahren jüngster Großmeister geworden. Zeit-Kolumnist und Großmeister Helmut Pfleger hält große Stücke auf den "sympathischen Giri. Ich traue ihm viel zu, er ist sicher ein außerordentliches Talent." Ex-Weltmeister Ruslan Ponomarjow, selbst ein ehemaliges Wunderkind aus der Ukraine, sieht ebenso einiges "Potenzial" bei dem Führenden der U18-Weltrangliste.

Bundesligaspieler bei Turm Emsdetten

Dass aber der Weg in die absolute Weltspitze noch beschwerlich ist, musste der Bundesliga-Topspieler von Turm Emsdetten in der fünften Runde des Dortmunder Chess-Meetings erkennen. Mit Wladimir Kramnik saß dem Jungen aus Delft ein 36-jähriger Routinier gegenüber. Der ehemalige Weltmeister aus Russland erteilte dem Herausforderer eine Lektion, nachdem dieser keck die Grünfeld-Indische-Verteidigung mit Schwarz wagte, obwohl Kramnik in dieser Variante als einer der größten Experten gilt. Mit einer neuen Fortsetzung im 13. Zug überraschte Kramnik den Gegner. Giri verstand die Stellung bald nicht mehr und griff fehl. Freudestrahlend erzählte Kramnik danach: "Ich habe diesen Zug schon für mein WM-Match gegen Garri Kasparow im Jahr 2000 vorbereitet. Bis heute musste ich warten, um ihn anzuwenden!"

Angesichts von 4,5:0,5 Punkten gibt es kaum Zweifel, dass der bisher überragende Rekordsieger Kramnik zum zehnten Mal in Dortmund triumphieren wird. Vor der heute beginnenden Rückrunde liegt Kramnik komfortabel vor dem Vietnamesen Le Quang Le (3) und Vorjahressieger Ponomarjow (2,5). Giri blieb mit zwei Zählern immerhin vor dem bisher enttäuschenden Weltranglistensechsten Hikaru Nakamura (USA) und Georg Meier (beide 1,5).

Lieblingsfächer Mathe und Physik

Um am einzig verbliebenen deutschen Topturnier in Dortmund teilzunehmen, hat sich der Schüler des Grotius College in vorgezogene Sommerferien verabschiedet. Mathe und Physik sind - typisch für Schachspieler - seine Lieblingsfächer. Die Sprachkenntnisse lassen derweil nach. Holländisch beherrscht Giri wie seine zwei Schwestern mittlerweile, seit es Vater Sanjay 2008 von Japan an eine Forschungsstelle für Hydrologen in Delft verschlug. "Japanisch habe ich aber alles vergessen", gesteht der gebürtige St. Petersburger, der mit sechs in Russland durch ein Spielebuch Schach gelernt hatte und als U9-Meister auf Hokkaido kaum Gegner fand. Deshalb spielte Giri zunächst weiter für Russland und wurde bei einem Intermezzo in seinem Geburtsland U12-Champion. Mau sieht es auch mit der Sprache seines Vaters aus. "Mit meinen Verwandten in Nepal übe ich auch nicht", bedauert das in der Schule auch noch Deutsch lernende Ausnahmetalent.

In einem Punkt ist der 17-Jährige bereits die Nummer eins: Seine Webseite kürte das Schach-Magazin 64 zur "besten Homepage eines Großmeisters". Sie wird in sechs Sprachen gepflegt, darunter durch Freunde auch auf Japanisch. Vater Sanjay kümmert sich um die nepalesischen Nachrichten. Einen Boom im Himalaja hat das aber noch nicht ausgelöst: "Nepal ist eben kein Schachland. Dort interessiert sich nur meine Verwandtschaft dafür", weiß der potenzielle Nationalheld. Im nahen Indien begeisterte sich allerdings vor Weltmeister Viswanathan Anand auch kaum einer für Schach.

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