Kongo-Kriegsverbrecherprozess: Wildschweinjagd in Stuttgart
Seit Mai läuft der deutsche Prozess gegen ruandische Hutu-Milizen-Führer. Bisher ging es kaum um die Tatvorwürfe. Jetzt ist Sommerpause.
STUTTGART taz | Wenn Oberstaatsanwalt Christian Ritscher veranschaulichen will, welchen Umfang die einzubringenden Beweismittel in Deutschlands erstem Kriegsverbrecherprozess nach dem Völkerstrafgesetzbuch haben, breitet er die Arme aus, als trage er ein ausgewachsenes Wildschwein vor sich her. Wenn er dann zeigen will, wie weit die Beweisaufnahme nach einem Vierteljahr gediehen ist, fahren seine Arme zusammen, bis seine Hände nur noch einen Frischling zu halten scheinen.
Mit unendlicher Geduld und großer Vorsicht verhandelt der Fünfte Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart die Anklage der Bundesanwaltschaft gegen Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, Präsident und Erster Vizepräsident der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas).
Die FDLR, hervorgegangen aus den Kräften, die 1994 in Ruanda den Völkermord an über 800.000 Tutsi verübten und dann flohen, gilt als verantwortlich für grausame Verbrechen an der Zivilbevölkerung in ihren Rückzugsgebieten im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Murwanashyaka und Musoni, wohnhaft in Baden-Württemberg, sollen diese Verbrechen von Deutschland aus gesteuert haben. Am 4. Mai begann der Prozess; seit dieser Woche herrscht Sommerpause.
Der Saal 6 des OLG Stuttgart, ein einst moderner, schmuckloser Zweckbau, passt in seiner Schlichtheit kaum zu der Dimension der verhandelten Verbrechen. Zwischen den weißen Wänden und dunklen Büromöbeln fallen allenfalls die roten Roben der drei Bundesanwälte und manchmal das lila Hemd des Angeklagten Murwanashyaka auf. Selbst der Vorsitzende Richter Hettich wirkt so unscheinbar, dass man ihn in der Schlange zum Mittagessen in der Gerichtskantine glatt übersehen könnte.
Was ein Fehler wäre. Dieser Prozess ist ein Minenfeld, mit jeder Menge nicht nur juristischer Fallstricke. Die Verteidigung, zwei Anwälte pro Angeklagter, tritt forsch und frech auf, sie spricht von einem politischen Prozess, sie wittert in jedem afrikanischen Besucher einen ruandischen Spion, sie beschimpft Anwesende, sie plaudert Namen gefährdeter Zeugen aus, sie beklagt ihre Arbeitsbedingungen, sie stellt am laufenden Band Befangenheitsanträge, sie äußert sich zu allem außer zur Sache. Man muss da als Richter viel Geduld aufbringen.
Militärische Befehlshaber
Hettich hat diese Geduld. Er lehnt fast jeden Antrag ab. Dann verlangen die Rechtsanwälte einen Senatsbeschluss, also von allen Richtern des 5. Strafsenats. "Das haben wir auch schon vorbereitet", erwidert Hettich dann augenzwinkernd, guckt kurz seine Kollegen an und sagt: "Die Anordnung des Vorsitzenden wird aus den zutreffenden Gründen der Entscheidung bestätigt."
Durch solche Rituale wird juristisches Neuland zur vertrauten Routine. Vergessen scheint, worum es eigentlich geht. Die FDLR rächte sich im Frühjahr und Sommer 2009 mit blutigen Angriffen auf die ostkongolesische Zivilbevölkerung für eine gemeinsame ruandisch-kongolesische Militäroffensive gegen ihre Stellungen im Januar und Februar. Es gab Massaker, Plünderungen, Entführungen, Vergewaltigungen. Die Anklageschrift wirft Murwanashyaka und Musoni vor, "es jeweils als militärische Befehlshaber unterlassen zu haben, ihre Untergebenen daran zu hindern".
Kongolesische Opfer der FDLR wollen durch diesen Prozess Gerechtigkeit erfahren. Doch diese Anklage braucht zunächst keine Opfer. Sie muss beweisen, dass die Angeklagten "militärische Befehlshaber" waren und "Untergebene" an etwas hätten "hindern" können. Das ist der Unterschied zwischen Wildschwein und Frischling. Es geht viel um FDLR-interne Kommunikation. Ausgewachsene Kriegsverbrechen kommen später.
So werden tagelang abgehörte Telefongespräche und abgefangene E-Mails der Angeklagten eingebracht, in denen es um Telefonkosten geht oder darum, ob man BBC-Journalisten bestechen kann. Aber auch um Militärisches. "Hier ist die Gesamtbilanz", heißt es in einer E-Mail vom 12. März 2009 aus dem Kongo an Murwanashyaka: "Aufseiten des Feindes: 65 Tote, darunter Leutnant Jean-Marie in Miliki, Oberst Moyo in Peti, 23 Verletzte, 2 Ertrunkene. Unsere Seite: 4 Tote." Erbeutet wurden "40 kleine Gewehre, 3 Trägerraketen, 1 Mörser, 24 Kisten Munition, 1 Solaranlage". In einer Mail vom 11. Mai steht: "Haben Dorf in Brand gesetzt, zwei FARDC (kongolesische Regierungsarmee) tot." Der FDLR-Präsident bedankt sich am selben Tag und schreibt: "Grüße die jungen Männer von mir."
Am 17. Februar 2009 fährt der FDLR-Chef seine Untergebenen im Kongo im Zusammenhang mit UN-Hubschraubern an: "Habt ihr keine Munition, um die Hubschrauber abzuschießen?" Am 18. Juni überlegt Murwanashyaka im Gespräch mit dem FDLR-Militärchef im Kongo, General Sylvestre Mudacumura, wie sich eine anstehende UN-Untersuchung des Massakers von Busurungi, bei dem die FDLR in der Nacht zum 10. Mai 2009 mindestens 94 Menschen tötete, manipulieren ließe. "Wir brauchen ein Team", verlangt Murwanashyaka. "Sie müssen sich mit den Flüchtlingen treffen, die vorbereitet sind und genau wissen, was sie sagen sollen." Er findet: "Ein Kommissar kann sich als Bauer verkleiden und seine Aussage unter falschem Namen machen."
Immerhin konzediert Militärchef Mudacumura, die UN-Untersucher dürften am Leben bleiben: "Wenn sie mit dem Hubschrauber überfliegen wollen, sollen wir ihn nicht abschießen."
Global vernetzte Armee
Das alles erzählt schon ziemlich viel. Den in Deutschland lebenden FDLR-Führern wurde detailliert Bericht über das Kriegsgeschehen erstattet, sie äußerten sich dazu, sie gaben Anweisungen. Es ist zugleich das faszinierende Psychogramm einer global vernetzten afrikanischen Bürgerkriegsarmee, vom Milizengruß "Sei stark" bis zum Kommentar Murwanashyakas, FDLR-Deserteure seien "Leute, die nicht beten" und "dem Alkohol verfallen" seien.
Doch das Gericht verhält sich im Umgang damit zuweilen geradezu amateurhaft. So werden keine Abschriften der Telefonate in der Originalsprache angefertigt, sondern die ruandischsprachigen Aufnahmen werden im Saal vorgespielt und dann Satz für Satz vom bestellten Dolmetscher übersetzt. Richter, Bundesanwälte und Verteidiger lesen dabei mit, wie derselbe Dolmetscher das während der Ermittlungen schriftlich übertragen hatte. Weil es häufig Unterschiede zwischen beiden Versionen gibt, kommt es oft zum Disput, an dem sich die Angeklagten lustvoll beteiligen.
Vollends absurd wird es, wenn die Verteidigung darzulegen versucht, das Swahili-Wort vita (Krieg), das Militärs aller Nationalitäten im Afrika der Großen Seen routinemäßig benutzen, sei eigentlich Latein und heiße "Lebensführung". Es fehlt im Gericht die Expertise, um solchem Unsinn entgegenzutreten.
Die Bundesanwälte ihrerseits schweigen meist. Sie setzen auf die Kraft der Beweismittel, ohne Kommentar. Der Frischling soll langsam wachsen, von selbst. Das kann Jahre dauern.
Manchmal drängt sich da der Eindruck auf, die eigentliche Musik spiele anderswo: beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, wo FDLR-Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana in Haft sitzt und auf seinen Prozess wartet, unter einer Anklage, die mit der in Stuttgart weitgehend identisch ist. In ihrem Anklagesatz für die Vorverhandlung - die eigentlich gestern hätte beginnen sollen, aber in letzter Minute wegen fehlender Übersetzungen verschoben wurde - nehmen die Den Haager Ermittler anders als die Deutschen direkten Bezug auf den berüchtigten FDLR-Funkspruch vom Frühjahr 2009, der die Grundlage aller späteren Ermittlungen darstellt.
Darin weist FDLR-Militärchef Mudacumura seine Feldkommandanten an, im Ostkongo eine "humanitäre Katastrophe" herbeizuführen. Dieser Befehl "kam ursprünglich von Murwanashyaka", sagen die Den Haager Ankläger: "Murwanashyaka verkündete die Intentionen der FDLR gegenüber der Truppe; er sagte, der Kampf der FDLR richte sich ,gegen die ganze Welt' und nehme ,Entwicklungsarbeit' und die Bevölkerung ins Visier".
Man würde gern die Beweise dafür sehen. In Stuttgart.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!