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Neue Erkentnisse zu GorlebenDie Mauschelei ist aktenkundig

Bei der Entscheidung über den Endlagerstandort Gorleben hat Niedersachsen offenbar bewusst die Unwahrheit gesagt. Das geht aus neu aufgetauchten Akten hervor.

Das Zwischenlager in Gorleben. Bild: dpa

BERLIN taz | Wann, von wem und warum wurde Gorleben als Standort für ein Atommüllendlager ausgewählt? Mit dieser Frage quälen sich die Abgeordneten den Bundestags-Untersuchungsausschusses seit eineinhalb Jahren. Während die Opposition davon ausgeht, dass der Standort ohne fachliche Kriterien kurzfristig durchgedrückt wurde, weil dort mit wenig Widerstand gerechnet wurde, halten Union und FDP nach den bisherigen Zeugenaussagen daran fest, dass es ein geordnetes Untersuchungsverfahren gab.

Am Donnerstag wurde dazu ein lang erwarteter Zeuge vernommen: Walter Leisler Kiep, der vor allem durch seine Rolle in der CDU-Spendenaffäre in Erinnerung geblieben ist, war 1976 Wirtschaftsminister in Niedersachsen. Er war dabei, als Gorleben urplötzlich als neuer Standort auftauchte und dann vom Land Niedersachsen in kurzer Zeit als einzige Option nominiert wurde. Seine Befragung verlief allerdings enttäuschend: Der 85-Jährige machte viele Erinnerungslücken geltend und äußerte sich widersprüchlich.

Doch vertrauliche Dokumente der damaligen Landesregierung, die der taz vorliegen, stützen die Vorwürfe der Opposition. Die Akten aus dem Jahr 1976 belegen nicht nur, in welch kurzer Zeit Gorleben durchgedrückt wurde; sie zeigen auch, dass das Land die Öffentlichkeit offenbar bewusst getäuscht hat.

Gorleben ins Gespräch gebracht

Noch am 8. November 1976 tauchten in einer vertraulichen Kabinettsvorlage des von Leisler Kiep geführten Wirtschaftsministeriums lediglich die drei ursprünglich ausgewählten niedersächsischen Salzstöcke (Wahn, Lichtenmoor und Lutterloh) auf. Bei einem Ministergespräch am 11. November wurde Gorleben dann erstmals von Leisler Kiep ins Gespräch gebracht; das geht aus seinen Tagebüchern hervor, aus denen im Ausschuss zitiert wurde.

Eine kurz danach entstandene Notiz aus der niedersächsischen Staatskanzlei legt dann einen detaillierten Plan für das weitere Vorgehen vor: Um Gorleben (im Landkreis Lüchow-Dannenberg) durchzusetzen, sollte das Ministerium "rein theoretisch weitere Standorte (3 + L/D + X)" ermitteln - die Formel meint die drei bekannten Salzstöcke plus Lüchow-Dannenberg plus weitere, die offenbar nur zur Vortäuschung eines neuen Auswahlverfahrens dienen sollten.

Auch die Darstellung nach außen wird genau geplant: In der Kabinettsvorlage solle eine "objektive, synoptische Gegenüberstellung" enthalten sein, doch intern war klar: "Kabinett wird politisch Vorentscheidung treffen" - wobei "strengste Vertraulichkeit" gewahrt werden sollte. Als Zeitrahmen werden "drei Wochen" vorgegeben.

Auch das Ergebnis der Prüfung durch die Kewa, die vom Bund mit der fachlichen Untersuchung beauftragte Gesellschaft, wurde im Voraus festgelegt: "Kewa hat diesen Gedanken aufgegriffen, aus ihrer Sicht untersucht und einige, vor allem Lüchow-Dannenberg, für gut befunden", heißt es im Drehbuch der Regierung. Im Januar 1977 wurde Gorleben dann öffentlich von Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) nominiert. Ob diese Entscheidung Bestand hat, scheint nun offener denn je.

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7 Kommentare

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  • B
    BerndS

    @JanG:

    Fachwissen ohne Zusammenhänge und Relationen ist oft gefährlicher als Unwissen, wenn die resultierende Überheblichkeit blind macht.

     

    Auf Ihre Frage "was wollen die denn noch?":

     

    Geben Sie in der Google- Bildersuche mal Missbildungen Tschernobyl ein: das nicht!

  • S
    Schulze-Herringen

    Guten Abend,

     

    Das Thema dieses Beitrages ist Agrarpolitik.Oder Sklaverei.Wie man es sehen will.

     

    Im Norden der Provinz Brandenburg soll im Bereich der Legehennen-Haltung ein Arbeitsplatzmodell existieren,dass we folgt aussihet:

     

    Ein angelernter Arbeiter arbeitet laut Arbeitsvertrag von 7-14 Uhr,30 Tage im Monat.

     

    Wenn er ausfällt,muss er selbst für Ersatz sorgen.

    Und den Ersatz auch noch bezahlen!

     

    Die Arbeit schafft er aber nur ,wenn Familienangehörige oder Freunde (meist aus HartzIV -Familien)mithelfen,

    im Durchschnitt 4-5 Mithelfende je Arbeiter.

     

    Das heisst,der Stundenlohn von € 3.30 netto sinkt auf 3.30: 5= 0.66 € /h

     

    Wenn technische Anlagen ausfallen,muss er sie selbst reparieren,was oft zu einer unentgeltlichen Verlängerung der Arbeistzeit führt.

     

    Der Autor dieser Zeilen möchte betonen,dass er diese Infos von nicht verschwiegenen(wie im Arbeitsvertrag

    vorgeschrieben)Leuten erhalten hat,sie aber nicht nachprüfen konnte.

     

    Wenn aber alles so stimmt,ist dies Sklaverei !

     

    Nicht abgesehen von versicherungsrechtlichen und arbeitsschutzrechtlichen Problemen für die Mithelfer.

     

    Es grüsst Euch besorgt

     

    Micha

  • MS
    mr spock

    diese politiker haben uns gestern belogen und sie belügen uns heute...

  • J
    JanG

    So ein Gezerre, langsam ist es doch genug. Das Problem ist, dass die Gegner jeden Standort bezweifeln würden. Selbst wenn dieser in allen Punkten top wäre, die würden meckern. Denen geht es leider nicht um eine objektive Standortwahl sondern darum, weiterhin ein Argument gegen die Nutzung der Kernenergie zu haben.

     

    Dass das einfach nur noch dumm ist, zeigt zum Einen, dass ja nun ausgestiegen wird. Ich mein: was wollen die denn noch?

     

    Zum Anderen würde auch Müll anfallen wenn wir nie die kerntechnische Stromerzeugung genutzt hätten: Abfälle entstehen auch bei der Nutzung von radioaktiven Quellen in der Medizin und den Materialwissenschaften und -prüfverfahren. Und auch die müssen entsorgt werden.

     

    Ich arbeite schon seit einiger Zeit als Physiker in der Endlagerbranche, den Prozess der Endlagerung (der mit heutigen Stand von Wissenschaft und Technik durchaus realisierbar ist) habe ich hier mal versucht, anschaulich zu beschreiben:

     

    http://www.kerngedanken.de/2010/08/endlagerung-in-deutschland-wie-funktioniert-das/

  • T
    Telefonmann

    Tja, wer hätte das gedacht? Skrupelloses Politikerpack. Die Rechnung dürfen unsere Kinder zahlen.

  • E
    Erdkunde_Note5

    Der Salzstock Gorleben liegt wenige Kilometer von der Elbe entfernt. Ob die hochbezahlten Wissenschaftler schon bemerkt haben, daß Elbehochwasser gelegentlich auch Gorleben erreicht?

  • W
    Wendländer

    Ich zitiere mal aus der heutigen Ausgabe der lokalen Elbe-Jeetzel Zeitung, aus einem Artikel auf Seite 2 mit der Überschrift: "Erschreckende Entwicklungen": »Aus der NLGA-Studie geht hervor, dass im 35-Kilometer-Umkreis um Gorleben nach 1996 bei 19760 Lebendgeborenen 1415 Kinder nicht zur Welt gekommen sind», zitierte die Fraktionsvorsitzende aus dem dem SG-Rat vorgelegten Bericht des Gesundheitsamtes.

     

    Kruse weiter: »Das heißt, dass jede 15. Schwangerschaft aufgrund der Situation in der Umgebung von Gorleben nicht zu einer Geburt führte.» Unter Berücksichtigung der bisherigen Erfahrungen seien 327 Jungen und 1088 Mädchen nicht geboren worden. Da baue sich eine gewaltige Indizienlast dahingehend auf, dass die Änderung des Geschlechterverhälnisses durch Strahlendosen verursacht würden. Auch wenn die nur gering seien.

     

    besser nachzulesen Hier: http://www.ejz.de/index.php?&kat=50&artikel=109862421&red=28&ausgabe=

     

    Genau aus dieser Angst schöpfen wir unsere Motivation im

    November den Castor zu blockieren. Jeder Unterstützerin ist herzlich wilkommen daran teil zunehmen. Hier wird sich gut um alle Gäste gekümmert.