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Zeitzeugen im UntersuchungsausschussGorleben-Legende eingestürzt

Im Ausschuss sagen wichtige Zeugen von Schwarz-Gelb aus. Ihre Botschaft: Eine Untersuchung, bei der Gorleben als bester Standort rauskam, hat es nie gegeben.

Wusste schon vorher von dem großen Misthaufen: Demonstrant protestiert gegen das Atommülllager Gorleben. Bild: dapd

BERLIN taz | So hatten sich Union und FDP das sicher nicht vorgestellt. In den Untersuchungsausschuss des Bundestags, der die Umstände der Auswahl von Gorleben als Endlagerstandort aufklären soll, hatten sie zwei Zeugen einladen lassen, die ihre Version der Geschichte bestätigen sollten: Dass der Salzstock im Wendland vor 35 Jahren nicht, wie von der Opposition behauptet, unter rein politischen Erwägungen und großem Zeitdruck ausgewählt wurde, sondern nach einer fachkundigen Untersuchung.

Doch dieser Plan schlug spektakulär fehl. Es habe nie eine Standortuntersuchung gegeben, in der Gorleben vorgeschlagen worden sei, sagte Adalbert Schlitt gleich auf die erste Frage. Und er muss es wissen: Schlitt war im Jahr 1976, als die Entscheidung für Gorleben fiel, Geschäftsführer der Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungs-Gesellschaft (Kewa), die im Auftrag des Bundes potenzielle Endlagerstandorte analysieren sollte.

Dass Gorleben nicht zu den drei zunächst von der Kewa ausgewählten niedersächsischen Standorten gehörte, war bekannt; Union und FDP hatten aber stets erklärt, es habe eine Nachbewertung durch die Kewa gegeben, in der Gorleben am besten abgeschnitten habe. Das bestritt Schlitt explizit. "Damit ist der vom niedersächsischen Umweltminister in Auftrag gegebene Fake endgültig vom Tisch", kommentierte die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl die Aussage.

"Politische Schwierigkeiten"

Zuvor hatte bereits ein anderer Zeitzeuge die Koalition in Bedrängnis gebracht. Jürgen Schubert, der 1976 das Oberbergamt in dem Arbeitskreis des Landes Niedersachsen vertrat, der die Standortsuche fachlich begleitete, konnte sich ebenfalls an keine Nachuntersuchung erinnern.

Er selbst habe von Gorleben erstmals im Herbst 1976 erfahren, wenige Wochen bevor der Standort benannt wurde. Auch dass die ursprünglich ausgewählten Standorte wegen fachlicher Bedenken aufgegeben wurden, bestritt er. Seiner Erinnerung nach waren dafür "politische Schwierigkeiten" verantwortlich.

Diese Aussagen decken sich auch mit neuen Dokumenten, aus denen in der Sitzung zitiert wurde. In einem Schreiben an das Oberbergamt hatte die niedersächsische Landesregierung im Oktober 1979 erläutert, wie die Wahl auf Gorleben fiel. "Diese Entscheidung muss als politische Entscheidung angesehen werden", hieß es darin explizit.

Zudem steht dort, es habe eine "vom Bund unabhängige Standortuntersuchung gegeben", was gegen eine zweite Untersuchung durch die vom Bund beauftragte Kewa spricht. Auch andere Dokumente hatten zuvor starke Zweifel daran aufkommen lassen.

Kornelia Möller, die die Linkspartei im Ausschuss vertritt, zog eine klare Bilanz: "Der Zeuge Jürgen Schubert vom Oberbergamt hat bestätigt, was wir in den Akten gefunden haben", sagte sie. "Niedersachsen hat Gorleben im Alleingang ausgewählt und am Ende politisch entschieden. Der Bund war letztlich nicht beteiligt und hat Gorleben erst viel später und nur unwillig akzeptiert."

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6 Kommentare

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  • A
    Augenzeuge

    Der abgebildete Heuballen wurde übrigens von einer Polizeihundertschaft angezündet, die extra für diesen Zweck vorgerückt war und sich danach wieder zurückzog.

    Zuvor war der Heuballen unter Aufsicht eines Zivilpolizisten herbeigeschleppt worden. Klingt reichlich hirnrissig, lässt sich aber mit Übermüdung der Polizei erklären.

  • W
    wolf

    Bereits im Jahr 1992 (beim Endlager-Hearing in Braunschweig) war klar, dass es keine Untersuchung gegeben hatte, sondern dass der während der Gorleben- Entscheidung amtierende Ministerpräsident Albrecht dem Leitenden Geologen, der den Standort Gorleben für ungeeignet hielt sagte: "Ihr (Geologen) habt jetzt nichts mehr zu sagen. Jetzt sind wir dran!"

    Es war eine politische, keine wissenschaftliche Entscheidung.

     

    Ausserdem wurde während des Enlager-Hearings bereits auf die katastrophale Situation bestehender Endlager hingewiesen, mit detaillierten Plänen, wann und wo kontaminiertes Grundwasser wieder austritt. All das, was heute "überraschend entdeckt" wurde, war bereits 1992 bekannt.

    Ein Blick in die beim Niedersächsischen Umweltministerium lagernden Archive und Tonaufzeichnungen der einmaligen Konferenz bringt sicher Klarheit.

    Ich befürchte aber, dass diese Aufzeichnungen zufällig "leider nicht mehr auffindbar" sind...

  • N
    Name

    Das wissen wir doch schon seit Jahren! Irgendeiner hat es immer wieder erzaehlt. Es ging um das Zonenrandgebiet und eine Revanche gegenueber der DDR, also unseren Bruedern und Schwestern drueben!

  • K
    karin

    Ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Kali- und Salzindustrie ihre Finger gewaltig mit im Spiel hatte, dass überhaupt eine Lagerung im Salz ins Auge gefasst wurde. Beim Betrieb der Asse haben sie gewaltig mitverdient und haben immer noch Aufträge. Auch chemo-toxische Stoffe (Sondermüll) wurde in der Asse gelagert, bis die Untertagedeponie im osthessischen Herfa-Neurode in Eigenregie heutigen DAX K+S AG in Betrieb ging. Hier kassiert der Konzern gleich selbst ab. Entsorgung ist ein Konzernbestandteil. Und radioaktive Stoffe, die durch Verdünnung oder aus anderen Gründen unter der Klassifizierung "schwach radioaktiv" laufen sind eben auch nur chemo-toxische Stoffe

  • M
    Martin

    Selbst wer bisher an der Tatsache zweifelte, dass die Standortwahl Gorleben eine rein politische Entscheidung war sollte jetzt überzeugt sein. Vorausgesetzt man will es wahrhaben und die entsprechenden Konsequenzen ziehen...

     

    Gorleben MUSS aufgegeben werden! Wie will man diese Entscheidung nachfolgenden Generationen erklären - das "Endlager" muss 1.000.000 Jahre dicht halten - wenn die Beteiligten sich schon nach 35 Jahren nicht mehr an die Grundlagen der Entscheidung erinnern können?

     

    Dieses Thema muss noch mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommen.

    Kommt daher bitte zahlreich zur Großdemo gegen den diesjährigen Castortransport am 26.11. in Dannenberg!

     

    Wir sehen uns Ende November im Wendland!

  • I
    ilmtalkelly

    Ob mit oder ohne, da gehört kein Atommüll eingelagert. Das schärft allerdings das Bewußtsein der Blockadeaktivisten, Ende November eine "frische Lieferung" massiv zu erschweren.