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Anti-Nazi-Demo in DesdenIllegale Ermittlungen in Sachsen?

Es gibt ein neues Gutachten im Dresdner Handy-Skandal. Demnach sind die Ermittlungen wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsrecht nicht rechtmäßig.

Jedes Jahr demonstrieren Politiker gegen den Nazi-Aufmarsch in Dresden. Darunter die Grünen-Fraktion. Bild: dpa

BERLIN taz | Die sächsische Staatsanwaltschaft ermittelt möglicherweise rechtswidrig gegen Demonstranten, die im Februar in Dresden gegen Neonazis auf die Straße gingen. Zu diesem Schluss jedenfalls kommt ein aktuelles Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das der Justiziar der Linksfraktion Wolfgang Neskovic in Auftrag gegeben hat.

Das Versammlungsgesetz, gegen das die Gegendemonstranten verstoßen haben sollen, dürfe demzufolge nicht mehr angewendet werden. Derzeit sind in Sachsen noch 50 Verfahren aus dem Jahre 2011 und vier aus dem Jahre 2010 wegen des Verdachts auf Verstoß des Versammlungsgesetzes anhängig.

Der Sächsische Landesverfassungsgerichtshof aber hatte das Landesversammlungsgesetz im April 2011 gekippt, rückwirkend zum Januar 2010. Der Grund: formale Fehler. Zum Zeitpunkt der Anti-Nazi-Demonstration war es also nicht gültig. In dem 14-seitigen Gutachten, das die taz einsehen konnte, heißt es: "Die Norm gilt nunmehr als von Anfang an nicht mehr existent und kann daher nicht mehr Grundlage strafrechtlicher Ermittlungen und Verurteilungen sein."

Aber auch das Bundesversammlungsgesetz, auf welches die Dresdner Staatsanwaltschaft und das Justizministerium sich nun berufen, ist nach Ansicht der Gutachter nicht anwendbar. "Im Ergebnis dürfte [...] die Einleitung eines Strafverfahrens für Taten für den Zeitraum zwischen Verkündung und Nichtigerklärung wegen der dargestellten Strafbarkeitslücke nicht möglich sein." Denn sonst würde Demonstranten nachträglich eine höhere Strafe drohen.

Vier Verfahren aus dem Jahr 2010

Die Sachsen sahen im Unterschied zum Bundesgesetz für die Blockade einer Demonstration nur zwei statt drei Jahre Höchststrafe vor. Die Gutachter argumentieren hier vor allem mit dem im Grundgesetz verbrieften Prinzip des Rückwirkungsverbotes. Soll heißen: ein Demonstrant konnte zum Zeitpunkt der Blockade nicht wissen, mit welchem Strafmaß er oder sie zu rechnen hat.

Neskovic fordert deshalb: Alle Verfahren für den Tatzeitraum von Januar 2010 bis April 2011 müssen sofort eingestellt werden. "Damit fände eine von Beginn an ungerechtfertigte Strafverfolgung der Gegendemonstranten ihr jähes Ende", sagte der Bundestagsabgeordnete der taz. "Die Staatsanwaltschaft muss auch die Anwaltskosten übernehmen", fordert die Anwältin Kristin Pietrzyk, die ein Dutzend Betroffene vertritt.

Die Staatsanwaltschaf will jedoch weiter auf Basis des Bundesversammlungsgesetzes ermitteln. Es sei aber "strafrechtlich das mildere Gesetz anzuwenden", so der Sprecher von Justizminister Jürgen Martens (FDP).

Bei den vier Verfahren aus dem Jahre 2010 - die Anti-Nazi-Demo findet jedes Jahr statt - ist es indes wahrscheinlicher geworden, dass es zum Prozess kommt. Die Staatsanwaltschaft wirft den Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei in Thüringen und Sachsen sowie der Doppelspitze in Hessen vor, die friedliche Blockade des Neonazi-Aufmarsches organisiert zu haben.

Hahn wirft der Justiz politische Einflussnahme vor

Der Immunitätsausschuss des sächsischen Landtages hat Ende vergangener Woche beschlossen, dass die Immunität des sächsischen Fraktionsvorsitzenden André Hahn aufgehoben werden soll. Das Votum war mit 11 zu 7 Stimmen ungewöhnlich knapp. Die Koalitionspartner CDU und FDP sowie die rechtsextreme NPD stimmten dafür, SPD, Linke und Grüne dagegen. Endgültig muss jetzt das Plenum entscheiden. Demnach ist ein Verfahren gegen den Parlamentarier nun möglich.

Hahn beklagt, dass das Justizministerium politischen Einfluss auf das Verfahren genommen habe. In einem Brief an den Ausschuss habe das Ministerium der Staatsanwaltschaft nahegelegt, eine Formulierung über „immunitätsrechtliche Bedenken“ zu streichen. Hahns Vorwurf: „politisch motivierte Strafverfolgung“. Staatsanwaltschaft und Ministerium weisen das zurück. Die "immunitätsrechtliche Bedenken“ seien lediglich gewesen, in welchem Umfang der Ausschuss überhaupt neue Unterlagen bekommen dürfe. Schließlich könne er nicht „über die Frage des Tatverdachts entscheiden“. Es sei dann neues Material präsentiert worden.

"Der Skandal ist, dass nur noch gegen uns ermittelt wird", sagt die hessische Co-Fraktionsvorsitzende der Linkspartei Janine Wissler. Alle anderen Verfahren wurden eingestellt - teils gegen Zahlung einer Geldbuße. Auf dieses Angebot wollten die vier Fraktionsvorsitzenden aber nicht eingehen. Noch genießen Wissler und ihr Kollege Willi van Ooyen Immunität. In Thüringen will der Justizausschuss am Mittwoch entscheiden, ob er den Weg für einen Prozess gegen Bodo Ramelow frei macht.

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10 Kommentare

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  • W
    Webmarxist

    @ Hannes von Eben

     

    Du hast Recht, die Leute müssen aufwachen. Aber in dem Sinne dass Sich viele gegen die NPD stellen. Sie verbreitet rechtsextremisches Gedankengut. und das darf in einer tolernaten und offenen Gesellschaft nicht zugelassen werden.

  • K
    K.M.Enzer

    Bei so einem Artikel muss man nicht lange warten bis genügend selbsternannter Experten zum herumtrollen eintreffen, so wie jener hier:

     

    "Manchmal wünscht man sich, dass die Mauer wieder aufgebaut wird und zwar um SAchsen (sic!) herum, damit die schwarz-braunen Narren sich dort wirklich frei entfalten können und uns nicht bedrohen."

    Dummerweise haben sich die "schwarz-braunen Narren" erst nach dem Fall der Mauer in Sachsen eingefunden. So wie der NPD-Funktionär Apfel, der aus Niedersachsen kam.

     

    "Dieses ganze Sachsen stinkt vom Kopf her [...]"

    Das tut es erst, seit sich der schwarze Filz der (West-) CDU dort breitgemacht hat. Ein Blick in die Biografien der Minister und Staatssekretäre der "sächsischen" Regierung kann da sehr aufschlussreich sein.

    Aber Vorsicht, das könnte die gewohnten Lieblings-Feindbilder ernsthaft in Gefahr bringen ...

  • HV
    Hannes von Eben

    @ Webmarxist

    Wenn ich dich richtig verstanden habe, muss ich dich daran erinnern, dass es doch kein Wunder wäre, wenn auch das nicht ganz rechtlich einwandfrei gelaufen ist, was du da ansprichst - der Einfluss von Parteien und Regierung auf die Staatsanwaltschaft.

    Aber in diesem schwarz-braunen Sumpf (ich sag nur: CDU, FDP, NPD stimmten dafür) scheint alles möglich.

     

    Manchmal wünscht man sich, dass die Mauer wieder aufgebaut wird und zwar um SAchsen (sic!) herum, damit die schwarz-braunen Narren sich dort wirklich frei entfalten können und uns nicht bedrohen.

    Aber das kann man natürlich nicht machen, auch wenn ich konservative Menschen aus Sachsen kennen, die die Idee gar nicht so schlecht fanden, dann aber selbst auch fortziehen würden vorher.

     

    Dieses ganze Sachsen stinkt vom Kopf her - wie der Fisch! Am schlimmsten ist es aber, dass es auch noch Leute gibt, die diese Fischköppe wählen!! Da hat die Volksverdummung von SED und CDU also doch funktioniert. Aber was soll man sagen: Besser CDU als NPD, oder? Wenn die sächsische CDU zu sehr in Richtung Bundes-CDU gehen würde, würde sie einige Wähler nach rechts verlieren im Freistaat an der Elbe. Wäre das besser? Man kann drüber streiten.

    Die Menschen in Sachsen müssen endlich aufwachen!

     

    @Peter:

    Ja, das sieht der Bodo Ramelow auch so. Er hatte gegen seine Überwachung durch den VS geklagt, die deshalb stattfindet, weil in seiner Parteien Menschen seien, die - grundgesetzkonform!! - Sozialisation/Verstaatlichung von Banken u.a. gefordert hatten. Seine Argumentation war dann, dass eigentlich die Bundesregierung vom VS überwacht werden müsste, weil die ja Banken verstaatliche (Commerzbank z.B.).

    Aber diese Sachsen-Geschichte ist ein weiterer Überwachungsgrund. Bitte, lieber VS, bitte, seht es ein: In der CDU, in der CSU und in der FDP sind auch verfassungsfeindliche Kräfte zu finden!!

     

    @Der Sizilianer:

    Die Extremismustheorie, die übrigens vom nicht-sächsischen Verfassungsschutz erfunden wurde und dann erst in Sachsen theoretisiert wurde von Junge-Freiheit-nahen Politikwissenschaftlern, ist an sich schon extremistisch. Warum? Sie definiert, dass Extremisten Menschen seien, die nicht nur das GG ablehnen (das tun Radikale auch), sondern auch keine andere Meinung als die eigene als richtig anerkennen. Das Wort "extrem" ist in seinem lateinischen Ursprung schon immer abwertend gemeint. Also wertet die Extremismustheorie die "Extremisten" ab; natürlich wird unabhängig von dieser Definition die Bezeichnung "Extremisten" auf alles ausgedehnt, was nur minimal vom westlich-liberalen Grundkonsens (nicht GG!) abweicht. Damit wird abgewertet. Und damit werden kategorisch einige Meinungen ausgeschlossen, abgelehnt, was wiederum dazu führt, dass die Extremismustheorie selbst extremistisch ist; auch weil sie das GG implizit ablehnt, indem sie z.B. die Grundpfeiler der freiheitlich-demokratischen Grundordnung schwächen bis abschaffen will, um sie zu retten - paradox, ja, aber: Willkommen in Deutschland!

  • DS
    Der Sizilianer

    Das Demokratiedefizit im Geburtsland der "Extremismustheorie" wird immer offensichtlicher.

     

    Bin gespannt, was da noch so alles ans Licht kommen wird.

     

    So selbstherrlich, wie in Sachsen Gesetze ignoriert werden, gehören die betreffenden Personen jedenfalls endlich zurückgetreten und strafrechtlich verfolgt. Ein weiteres öffentliches Amt verbietet sich meines Erachtens für die Zukunft selbstverständlich sowieso.

     

    DAS wäre mal wehrhafte Demokratie!

  • KA
    kleener anarcho

    CDU,CSU und Konsorten schreien doch ständig nach einem starken Rechtsstaat. Aber selbst überschreiten sie geltendes Recht und versuchen mit allen Mitteln den politischen Gegner zu diskreditieren. Mit Demokratie hat das nichts mehr zu tun!

  • P
    Peter

    Die CDU sollte vom Verfassungsschutz überwacht und bei weiteren Verstößen gegen geltendes Recht verboten werden.

    Das ist doch auch das, was Abgeordnete/Mitglieder dieser Laberbacken-Blechkopf-Partei ständig in Bezug auf andere Parteien am lamentieren sind und wie heißt es so schön, gleiches Recht für alle....

  • D
    darrrrrrrolltdiepozilei

    desden oder wie ?

  • V
    vic

    Zunehmend drängt sich der Verdacht auf:

    Das Bundesland Sachsen genießt in diesem Staat Narrenfreiheit.

    Wo CDU/CSU/NPD regieren ist alles möglich.

  • W
    Webmarxist

    Die NPD, gegen die der Aufmarsch gerichtet, war stimmt mit CDU und FDP für die Aufhebung der Immunität des Fraktionsvorsitzenden der Linken in Sachsens Landtag, Andre Höhn. Dabei soll das sächsische Justizministerium Einfluss auf die Ermittlungen genommen haben, indem es der Staatsanwaltschaft empfahl, die Formulierung über immunitätsrechtliche Bedenken zu streichen. Parteien oder Regierungen dürfen keinen Einfluss auf Staatsanwaltschaften ausüben. Denn Sie muss überparteilich und unabhängig bleiben.

  • T
    theRedAgent

    CDU, FDP und NPD stimmen dafür....