Rot-grüne Koalitionsverhandlungen: Klaus Wowereit besiegt seine Angst
Nach den Streitereien der vergangenen Tage starten SPD und Grüne in die Koalitionsverhandlungen.
Nun also doch. An diesem Mittwoch beginnen SPD und Grüne mit den Verhandlungen über eine rot-grüne Koalition. Das gaben am Dienstag die grüne Landesvorsitzende Bettina Jarasch und ihr SPD-Kollege Michael Müller bekannt. Zuvor waren beide Parteien zu einer dritten Sondierungsrunde im Roten Rathaus zusammen gekommen. Nötig war sie geworden, weil Müller nach dem Grünen-Landesparteitag vom Freitag Zweifel an der Koalitionsfähigkeit der Grünen geäußert hatte.
Worauf sich die Delegationen beider Parteien nun geeinigt haben, wollten Jarasch und Müller am Dienstag nicht verraten. Nachfragen von Journalisten waren nicht zugelassen. Möglich ist, dass sich Grüne und SPD auf eine Zeitschiene zu Verhandlungen mit dem Bund über die angestrebte Umwidmung der Mittel für die A 100 verständigt haben.
Während der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) bereits 2012 auf eine Entscheidung drängen wollte, visierten die Grünen 2015 an. Nun könnten sich beide Parteien auf 2013 geeinigt haben. Die SPD ist für den Weiterbau der umstrittenen Autobahn, würde die Kosten von 420 Millionen, wenn es geht, aber auch in Reparaturmaßnahmen stecken. Die Grünen sind gegen die Autobahn und würden auch den Verlust der Investitionssumme in Kauf nehmen.
Wann geht es los?
Am Mittwoch um elf Uhr im Roten Rathaus. Beide Parteien haben viel Zeit mitgebracht. Wenn es nötig wird, kann bis 22 Uhr verhandelt werden, sagt eine SPD-Sprecherin.
Womit beginnt die Verhandlung?
Mit dem Dauerbrenner zwischen SPD und Grünen: der A 100. Offenbar wurde bei der dritten Sondierungsrunde am Dienstag noch kein Kompromiss gefunden, der für beide Seiten tragfähig ist. Darüber hinaus wollen beide Parteien auch noch über das Thema Finanzen sprechen. Und natürlich ist auch der Fahrplan für die Koalitionsverhandlungen ein Thema.
Wer verhandelt?
Bei der SPD sind es neun Personen. Dazu gehören der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit, Landes- und Fraktionschef Michael Müller, seine vier Stellvertreter, der Kassenwart Christian Gaebler und Dilek Kolat. Die Grünen werden vertreten von den Landesvorsitzenden Bettina Jarasch und Daniel Wesener, den Fraktionschefs Ramona Pop und Volker Ratzmann, hinzu kommen die Abgeordneten Dirk Behrendt, Canan Bayram, Franziska Eichstädt-Bohlig, Jochen Esser, Felicitas Kubala, Michael Schäfer und Anja Schillhaneck sowie die Stadträtinnen Monika Herrmann und Sibyll Klotz und Wahlkampfmanager Heiko Thomas.
Also die große Runde?
Richtig. Neben dieser großen Runde gibt es noch die thematischen Arbeitsgruppen. Hier werden die Einzelheiten entlang des Zuschnitts der Senatsressorts diskutiert. Was keinen Konsens findet, geht in die große Runde.
Können die Verhandlungen scheitern?
Jederzeit. Wenn die Grünen am Dienstagabend bei ihrer Sitzung des Landesvorstands den neuen Kompromiss abgelehnt haben, finden sie gar nicht erst statt. Das gilt aber als unwahrscheinlich. Eher ist es möglich, dass die SPD-Spitze weitere "Kröten" auf den Tisch bringt, um am Ende doch noch mit der CDU regieren zu können - und den Grünen die Schuld zuzuweisen.
Wie lange wird verhandelt?
Zuletzt hatten SPD und Linke 2006 vier Wochen verhandelt. Der Koalitionsvertrag hatte 86 Seiten. Mit den Grünen könnte der Vertrag deutlich länger werden, meint eine Sozialdemokratin. Da müsse jeder Satz abgestimmt werden. Die SPD will auf Nummer sicher gehen.
Wer bekommt welchen Posten?
Das wird - wie auch die Zuschnitte der Ressorts - am Schluss entschieden. Die Posten bestimmt jede Partei selbst. Bei der SPD entscheidet einzig und allein König Wowereit. UWE RADA
Der Beginn der Koalitionsgespräche ist allerdings keine Vorentscheidung darüber, ob Berlin demnächst tatsächlich von einem rot-grünen Bündnis regiert wird. Möglich ist auch, dass die Verhandlungen scheitern (siehe Text unten).
Neben der A 100 ist vor allem die knappe Mehrheit von nur einer Stimme über der absoluten Mehrheit für Wowereit und Müller ein Problem. In diesem Zusammenhang könnte auch die Drohung von SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller stehen. Der hatte am Samstag auch eine Koalition mit der CDU nicht ausgeschlossen. Bei einem solchen Bündnis hätte Wowereit nicht zu befürchten, im ersten Wahlgang bei seiner erneuten Wahl zum Regierenden Bürgermeister zu scheitern - Rot-Schwarz hätte elf Stimmen Mehrheit.
Während die Sozialdemokraten öffentlich gerne die Grünen als unsichere Kantonisten darstellen, gilt ihre Sorge hinter vorgehaltenen Hand allerdings vorwiegend den eigenen Reihen. "Die neue Fraktion ist deutlich linker geworden. Das sieht die Parteispitze mit Sorge", sagt ein Sozialdemokrat. Die Angst vor einem "Heidemörder" geht um. Im März 2007 war Heide Simonis bei der Wahl zur Regierungschefin in Schleswig-Holstein gescheitert. Die SPD vermutete den Verursacher in den eigenen Reihen.
Mit einem möglichen Wechsel von Michael Müller in den Senat könnte die Fraktion zudem ein Gegengewicht zu Wowereit und den SPD-Vertretern im Senat werden. Die SPD-Linke hat ihren Anspruch auf die Fraktionsspitze bereits angemeldet. Als möglicher Kandidat gilt der Spandauer Kreisvorsitzende Raed Saleh. Mit dem bisherigen Fraktionsgeschäftsführer Christian Gaebler, der sein Direktmandat knapp verfehlte, scheidet zudem Müllers engster Vertrauter aus dem Parlament aus.
Die Grünen wollten am Dienstagabend um 18 Uhr zu einer Sitzung des Landesvorstands zusammen kommen. Diese Sitzung sei turnusmäßig und lasse nichts den Rückschluss zu, dass ein Kompromiss zu Ungunsten der Grünen ausging, sagte Sprecher Matthias Schröter. Der grüne Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz, hält eine gemeinsame Regierung trotz der Differenzen zur A 100 für realistisch. Die Autobahn sei der einzige Stolperstein. Ansonsten seien sich SPD und Grüne in den zentralen Politikfeldern einig, und "das trägt dann auch eine Legislaturperiode", sagte Schulz im RBB-Inforadio. Allerdings hatte Schulz für den Fall, dass die Koalition eine Unterschrift unter den Weiterbau der A 100 trägt, in der taz seinen Austritt aus der Partei angekündigt.
Am 27. Oktober soll das am 18. September neu gewählte Berliner Abgeordnetenhaus zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen kommen. Voraussichtlich am 10. November steht dann die Wiederwahl Wowereits auf der Tagesordnung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!