piwik no script img

Montagsinterview mit Astrid Rosenfeld"Romantik ist ein schreckliches Konzept"

Die Autorin Astrid Rosenfeld wollte eigentlich Schauspielerin werden. Stattdessen schrieb sie "Adams Erbe". Ein Roman über den Holocaust, mit dem die 34-Jährige zur gefeierten Autorin wurde. Ein Gespräch über Erfolg und Scheitern, das Schreiben und Rosenfelds Interesse für den Holocaust.

"Es gibt wirklich alles auf Gottes Erde!": Astrid Rosenfeld. Bild: Sonja Trabandt

taz: Frau Rosenfeld, wenn man Ihr Buch gelesen hat und Ihnen dann gegenübersitzt, ist man erstaunt, wie jung Sie sind. Und dass Sie selbst keinen jüdischen Hintergrund haben. Wie gehen Sie mit diesem Erstaunen um?

Astrid Rosenfeld: Mein Nachname könnte tatsächlich auf einen jüdischen Hintergrund hindeuten, den hab ich aber nicht. Ich habe mir mal den "Ariernachweis" meiner Großeltern angeschaut, den man während der Nazi-Zeit bei der Heirat erbringen musste. Da waren alle katholisch oder evangelisch. Wenn ich eine Lesung mache, sage ich das meist gleich im Voraus. Dass ich mich trotzdem schon in jungen Jahren mit dem Holocaust beschäftigt habe, finde ich aber nicht weiter erstaunlich. Viele Menschen meiner Generation haben sich irgendwann einmal mit diesem Thema auseinandergesetzt.

Was war zuerst da: der Stoff oder der Gedanke, einen Roman zu schreiben?

Astrid Rosenfeld

Astrid Rosenfeld, 34, kommt aus Köln. Nach dem Abitur zog sie nach Berlin und begann eine Schauspielausbildung an der Schule für Bühnenkunst. Aus "Mangel an Talent und Leidenschaft", wie sie sagt, beerdigte sie nach anderthalb Jahren Studium ihren Kindheitstraum, Schauspielerin zu werden. Stattdessen arbeitete sie als Casterin für Spielfilmproduktionen wie "Muxmäuschenstill" und "Knallhart". Rosenfelds Debütroman "Adams Erbe" erschien 2011 im Diogenes Verlag und wurde von Kritikern gefeiert.

Die Roman-Geschichte: Adam Cohen ist im Jahr 1938 gerade 18 Jahre alt, Edward Cohen wird um das Jahr 2000 erwachsen. Zwei Generationen trennen die beiden Berliner Jungs - aber eine Geschichte und ein dunkles Familiengeheimnis vereinen sie. "Adams Erbe" ist ein Roman über eine jüdische Familie, die durch ihre Unkonventionalität den Wirren der Zeitläufte trotzt - und trotzdem nicht heil davonkommt. Und die Kraft der Liebe.

Die Lesung: Astrid Rosenfeld liest vom 12. bis 15. Oktober täglich auf der Frankfurter Buchmesse. Termine unter: www.diogenes.ch

Eindeutig der Stoff. Ich war ungefähr 18, als ich angefangen habe, über den Holocaust zu lesen. Das Thema hat mich nicht mehr losgelassen. Nach den Standardwerken habe ich weitergelesen, alles was ich von Antiquariaten und auf Flohmärkten bekommen konnte. Ohne die Absicht, daraus irgendetwas zu machen. Aber die Faszination fürs Geschichtenerzählen hat viel mit meinem Werdegang zu tun: Ich habe eine Schauspielausbildung abgebrochen und danach immer nach Möglichkeiten gesucht, zu erzählen, was mich bewegte.

Die Figuren, die Ihren Roman bevölkern, basieren zum Teil auf realen Vorbildern. Einige sind recht exzentrische Charaktere: ein Tierpfleger, der aussieht wie Elvis, die Großmutter, die mit ihrer Figur und flaschenweise Weinbrand einen SS-Mann betört. Woher kommen solche Figuren?

Ich habe als Casterin beim Film gearbeitet. Diese Arbeit findet zum großen Teil auf der Straße statt. Dabei habe ich die skurrilsten Menschen der Welt kennen gelernt. Seitdem glaube ich nicht, dass es etwas nicht gibt. Mein Roman lebt natürlich von der Überhöhung, weil der Erzähler ein kleiner Junge ist, durch dessen Augen man die Figuren sieht. Aus einer anderen Perspektive wären die Charaktere wohl nüchterner geraten, aber ich wollte diese Überhöhung. Anders hätte ich nicht schreiben können.

Wie funktioniert Straßencasting: Sitzt man im Café und spricht Leute an?

Man läuft tatsächlich herum und guckt nach Gesichtern, die interessant aussehen. Für den Film "Muxmäuschenstill" etwa suchten wir einen Penner. Wir wollten keinen Schauspieler in Pennerkleidung stecken, sondern suchten jemanden, der echt auf der Straße lebt und Talent hat. So kam ich mit vielen ungewöhnlichen Leuten ins Gespräch und hörte ihre Geschichten. Besonders ältere Damen hatten die absurdesten Eigenheiten. Das ist ein Fundus, von dem ich noch heute zehre. Es gibt wirklich alles auf Gottes Erde!

Wie kamen Sie zu dem Casting-Job: Wollten Sie immer zum Film?

Schon seit meiner Kindheit wollte ich Schauspielerin werden, das war immer mein Traum. Aber auf der Schauspielschule musste ich bald feststellten, dass es mir sowohl an Talent als auch an Leidenschaft für den Beruf fehlte. Ich will einfach nicht vor der Kamera stehen und nicht auf einer Bühne - da muss man sich irgendwann eingestehen, am falschen Platz zu sein. Anderthalb Jahre habe ich durchgehalten. Mit 24 stand ich da und wusste nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Eines Tages fuhr ich mit der Mitfahrzentrale nach Köln zu meinen Eltern. Meine Mitfahrgelegenheit war Jan-Hendrik Stahlberg, der Regisseur von "Muxmäuschenstill". Er schrieb gerade am Drehbuch, wir unterhielten uns und verstanden uns super. Er schickte mir das Drehbuch zum Lesen, und ich war plötzlich an der Entstehung des Films beteiligt, übernahm das Casting. Mein Ansatz war eben nicht, einen pennergeeigneten Schauspieler zu suchen, sondern einen echten anzusprechen …

was eine extrem große Kontaktfreude voraussetzt. Haben Sie bei der Schauspielschule gelernt, die Scheu vor anderen zu überwinden?

Auf Menschen zuzugehen ist wohl tatsächlich mein größeres Talent, als mich selbst in den Mittelpunkt zu rücken. Es hat mir immer Spaß gemacht, mit Leuten zu sprechen, denen ich unter normalen Umständen nie begegnet wäre.

Die Großmutter in "Adams Erbe" hat die Gabe, in Gesichtern zu lesen. Sie hat eine ganze Wand mit Bildern von NSDAP-Größen vollgehängt und hofft, so zu erkennen, was die Nazis vorhaben. Ist das eine Casting-Methode?

Ja, das ist sehr ähnlich. Man glaubt zwar nicht, aus den Gesichtszügen der Schauspieler auf ihren Charakter schließen zu können. Aber am Ende hat man da eine Wand voller Gesichter hängen. Und versucht, daraus eine Geschichte zu bauen: Könnten die als Vater und Mutter funktionieren, welcher Sohn passt dazu? Ich bilde mir nicht ein, eine besondere Menschenkenntnis zu haben. Aber an Menschen, die schon länger gelebt haben, kann man doch einiges ablesen: Hat der viel gelacht? Wie wach blicken die Augen? Wenn man jemanden neu kennen gelernt, hat man ja nur das, woran man sich halten kann. Und fällt damit manchmal richtig auf die Nase.

Ihr Roman besteht aus zwei Teilen: dem kindlichen Universum, in dem der kleine Edward aufwächst. Und dem Schicksal der Familie Cohen im Berlin der Nazijahre. In diesem Teil werden detailliert Milieus beschrieben wie das Judenghetto von Warschau oder das deutsche Generalgouvernement von Polen. Wie haben Sie dafür recherchiert?

Gelesen, gelesen und gelesen. Zeitzeugenberichte, Dokumentsammlungen von Prozessen, in denen Augenzeugen ihre Erlebnisse schildern. Dazu Biografien der Größen der damaligen Zeit. Auf mein historisches Grundwissen habe ich aufgebaut und nachrecherchiert, etwa wie 1941/42 die Verhältnisse im Warschauer Ghetto waren. Es war mir ein Anliegen, so zu schreiben, dass es theoretisch so hätte sein können. So fanden reale Ereignisse Eingang in meine fiktive Handlung. Etwa der Besuch der Kuh: Ich las, dass einmal jemand eine lebende Kuh für einen Tag ins Warschauer Ghetto brachte. Die Kinder dort flippten alle total aus, weil sie nie zuvor eine echte Kuh gesehen hatten. Das habe ich übernommen. Auch der deutsche Generalgouverneur von Polen, Hans Frank, ist real. Er war vorher bayerischer Justizminister, sein Sohn hat Bücher über das Leben seiner Eltern in Polen verfasst, die mir die Füße wegzogen: Dieser Hans Frank hat Gedichte geschrieben, Musik gemacht. Und auf der anderen Seite mit unglaublicher Grausamkeit geherrscht. Seine Frau ist tatsächlich im Warschauer Ghetto shoppen gegangen, sie hat dort für billig Geld Pelze gekauft. So etwas kann man sich gar nicht ausdenken.

Wie war das, sich vom Filmbusiness ab- und der Recherche über den Holocaust zuzuwenden: Sind Sie einsam geworden?

Nein, zwischendrin habe ich immer noch Castingjobs gemacht und hatte auch ein paar Werbejobs. Das ist ein angenehmer Rhythmus: Man arbeitet zehn Tage am Stück und kann dann zwei, drei Monate davon leben. In diesen Zeiten saß ich am Schreibtisch und las und schrieb. Ich genieße das Alleinsein durchaus, beim Film hatte man ja dauernd Menschen um sich. Das Einsame liegt mir mehr.

Das ist aber nur ein Teil des Autorenlebens. Sobald das Buch fertig und erschienen ist, wird es schnell sehr öffentlich: Lesereisen, Buchmessen …

Ja, da fand ich mich in Situationen wieder, denen ich eigentlich entgehen wollte: Scheinwerfer an, exponiert dasitzen und vorlesen. Bei meiner ersten Lesung war ich wahnsinnig nervös. Aber mittlerweile geht es. Denn anders als bei einer Schauspielerin erwartet von einer Schriftstellerin keiner die perfekte Show. Du musst den Text nur lesen, nicht verkörpern.

In Ihrem Roman stellen Sie mehrmals die Frage, warum man erzählt: weil Geschichten und Schicksale sonst verschwinden. Ist das Ihr Antrieb beim Schreiben?

Es geht darum, Geschichten und Gedanken festzuhalten - das, was einem wichtig ist an einer gehörten, gelesenen oder ausgedachten Geschichte. Ob es einem gelingt, andere anzustecken und mitzureißen, darüber mache ich mir zumindest beim Schreiben noch keine Gedanken. Mir war vor allem wichtig, dass mein Buch nicht moralisch daherkommt, so als ob ich mit meinen 34 Jahren jemanden belehren will. Ich möchte das nicht. Und auch nicht mein Publikum ermahnen. Sondern etwas festhalten, was mich nicht losgelassen hat.

Was genau hat Sie nicht losgelassen?

Das waren zwei Dinge. Zum einen die Frage, ob eine einzelne persönliche Begegnung für einen Menschen wirklich alles ändern kann. Und dann dieser völlig unoriginelle Gedanke über den Holocaust: Wie konnte das nur passieren? Das Erstaunen darüber, wozu Menschen fähig sind. Zum Glück habe ich beim Schreiben nicht an die Veröffentlichung gedacht und erst einmal für mich geschrieben. Anderthalb Jahre meines Lebens habe ich mich mit dem Stoff beschäftigt. Dass es ein Sujet mit vielen Fallstricken ist, gerade für ein Debüt, daran habe ich glücklicherweise beim Schreiben nicht gedacht. Auch wenn ich damals schon eine Agentin hatte, aber eben keinen konkreten Auftrag. Das und meine vollkommen klare Haltung zum Holocaust hat mir geholfen. Ob es mir geglückt ist, sämtliche Peinlichkeitsklippen zu umschiffen, kann ich selbst nicht beurteilen.

Zumindest die Meinung der Presse war einhellig: humorvoll, aber nicht zu leicht, warmherzig, aber nicht kitschig, zeitgeschichtlich plausibel. Es scheint, als hätten Sie sämtliche Peinlichkeiten, die bei einem Holocaust-Roman lauern, erfolgreich umschifft …

Es tauchte schon auch die Frage auf, ob man das denn darf: als 34-jährige Deutsche aus der Ich-Perspektive über das Warschauer Ghetto schreiben. Aber der Konsens war, dass es geht. Gleich bei meiner ersten Lesung - bei den Literaturtagen in Rauris - saß im Publikum Aharon Appelfeld. Ein Holocaust-Überlebender, der seine eigenen Lebensgeschichte aufgeschrieben hat. Ich hatte Angst, dass er aufsteht und sagt: "Alles Quatsch!" Aber er war wahnsinnig nett und hat mich nach Israel eingeladen. Ab da hatte ich keine Angst mehr.

Am Ende Ihres Romans wird einiges gut: Adam, den seine Familie für einen Verräter hielt, wird rehabilitiert. Hatten Sie selbst das Bedürfnis nach einem kleinen Happy End?

Ich hatte so viele Geschichten von Menschen gelesen, die nicht überlebt haben. Auch Adam überlebt ja nicht. Aber ich wollte, dass sich wenigstens ein kleiner Teil seiner Hoffnungen erfüllt.

Suchen Sie auch nach einem Sinn im Leben, sind Sie religiös?

Religiös im engeren Sinn bin ich nicht. Aber das Bedürfnis nach Sinn ist, glaube ich, etwas, das alle Menschen haben. Man hofft doch, dass manche Dinge wenigstens im Nachhinein für etwas gut sind, wenigstens ein kleines bisschen. Ich neige eher der Hoffnung zu. Daher hatte ich auch das Bedürfnis, das Traurige nicht noch mit tränenerstickter Stimme zu erzählen, sondern mit ein wenig Humor.

Könnten Sie sich als Filmfachfrau eine Verfilmung Ihres Romans vorstellen?

Schon, schließlich habe ich beim Schreiben auch einen Film vor Augen. Aber mit der Realisierung würde ich nichts zu tun haben wollen. Es wäre, bei der Kompliziertheit der Geschichte, sowieso nur eine sehr freie Interpretation möglich. Und dabei hat der Regisseur das letzte Wort.

In Ihrem Roman schafft es nur eine Kraft, die Tristesse des Alltags und das Grauen der Nazizeit zu überwinden: die Liebe. Sind Sie Romantikerin?

Romantik ist ein schreckliches Konzept. Von roten Rosen wird mir schlecht, damit darf mir keiner kommen. Aber ich glaube an die Kraft einer ersten Begegnung, den Zauber, den es auslösen kann, wenn man jemanden noch nicht gut kennt und alles möglich ist.

Wie kommt man von einem Romanstoff wie dem Holocaust wieder los: Akte zu, nächstes Thema?

Das Interesse für dieses Thema wird bei mir nicht abreißen - wenn auch die Zeit der extremen Auseinandersetzung mit dem Roman vorbei ist. Mein nächstes Buch wird eher im Hier und Heute spielen, in den 70er Jahren.

Ab wann sagt man eigentlich: Ich bin Schriftstellerin?

Ich sage immer: ich schreibe. Als Schriftstellerin sehe ich mich noch nicht. Vielleicht muss man dazu mindestens zwei Bücher geschrieben haben. Jetzt schaue ich erst mal, ob das längerfristig funktioniert, ob auch das zweite und dritte Buch läuft. Beim Casting wusste ich auch nie, ob der nächste Auftrag überhaupt kommt. Ich kenne diese Unsicherheit also. Aber komischerweise fühle ich mich jetzt sicherer als je zuvor. Es ist so, als wäre ich in der Realität angekommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!