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Kommentar Zeit für FamilieDas Leben entzerren

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Bei einer Lebenserwartung von 80 Jahren macht eine "Kinderphase" von 15 Jahren einen Bruchteil der Lebenszeit aus. "Karriere ab 40" wäre ein Schlagwort mit Perspektive.

E s ist schon irre, was man heutzutage zwischen 28 und 38 Jahren alles leisten soll: Berufseinstieg schaffen, Partner oder Partnerin finden. Kinder bekommen. Job und Familie vereinbaren, und zwar so, dass sich niemand zu kurz gekommen fühlt. Die Karrierechancen nicht verpassen, solange man noch den Bonus der jungen Nachwuchskraft in der Firma hat.

Es wird mehr und mehr an Anforderungen hineingepackt in diesen Abschnitt zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr. Dabei leben wir viel länger.

Zu wenig Zeit für die Kinder zu haben, das bedauert die Mehrheit der Väter und ein gutes Drittel der Mütter, zeigt sich im neuen Familienbericht. Der Bericht fordert erwartungsgemäß eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch flexible Arbeitszeiten und erweiterte Öffnungszeiten der Kitas. Das ist richtig, aber es erweckt den Eindruck, als wäre alles nur eine Frage der Organisation.

BARBARA DRIBBUSCH

ist Redakteurin für Soziales im taz-Inland-Ressort.

Das ist ein Irrtum. Die Familienzeit läuft ab, die Zeit mit dem Nachwuchs ist unwiederbringlich vorbei, wenn die Kinder groß sind. Und man kann definitiv nicht an mehreren Orten gleichzeitig sein, obwohl es immer so klingt, wenn von den Individuen verlangt wird, Familie, Partnerschaft, Erwerbsarbeit zu "vereinbaren".

Anstatt die Anforderungen in einer Dekade des Lebens aufeinanderzustapeln, sollte man sie zeitlich entzerren können. Bei einer Lebenserwartung von 80 Jahren macht eine "Kinderphase" von 15 Jahren nicht mal ein Fünftel der Lebenszeit aus. Diese Phase kann man auch genießen. Und danach wieder mit Ehrgeiz einsteigen in den Job.

Die Forderung der SPD, dass Eltern nach langer familienbedingter Teilzeitphase eine Rechtsanspruch auf Vollzeit bekommen, ist daher richtig. "Karriere ab 40" wäre ein politisches Schlagwort mit Perspektive. Erst recht in einer Gesellschaft der Langlebigen.

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Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
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6 Kommentare

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  • IW
    Inge Wienert

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    Hallo Frau Dribbusch,

    ich bin einverstanden mit ihrem Vorschlag, wenn er auch für Männer gilt. Gleichzeitig müssten Unternehmen nicht nur eine Quote für Frauen und Behinderte, sondern auch für Menschen mit Kindern einführen.

  • AR
    Almut Rosebrock

    Ich stimme dem Vorschlag von Frau Dribbusch zu und lebe selbst derzeit in der Familienphase. Früher war das so selbstverständlich und anerkannt - wenn auch nicht finanziell. Für die Kinder ist es definitiv das Beste, eine engagierte und verantwortliche Mutter bzw. Vater verlässlich an der Seite zu haben. Heutzutage wird die Bedeutung dessen offiziell geleugnet. Die Emanzipation schlägt gegen die Frauen zurück, indem deren Familienarbeit sozusagen verleugnet und voller Berufseinsatz gefordert wird. Freiheitlichkeit und Vernunft bleiben dabei auf der Strecke. Was die Zukunft wohl bringen wird - ich bin skeptisch.

  • BF
    Bärbel Fischer

    Seit mehr als 20 Jahren fordern Familienverbände und Elterninitiativen, statt Vereinbarung von Kind und Karriere, ein zeitliches Nacheinander. Vereinbarung ist eine Lüge. Es handelt sich immer um die Addition der Belastungen, und dies in der Gewissheit, den Kindern, dem Partner oder der Karriere nicht zu genügen. Die Autorin vermeidet das hässliche Wort "Sklaverei". Doch genauso ausgebeutet fühlen sich heute viele Mütter. http://www.familiengerechtigkeit-rv.de

     

    Werte Frau Dribbusch, danke für Ihren erfreulichen Beitrag, doch Frauenwünsche werden ein Traum bleiben. Denn Politik und Wirtschaft haben mit uns Frauen wenig Erbarmen. Wir müssen funktionieren bis zum Umfallen.

  • X
    x-sib

    Liebe Barbara Dribbusch,

    selten sprach mir ein Kommentar so aus dem Herzen wie der ihre. Ich habe mein Kind mit Mitte 30 bekommen. Als es 14 Monate alt war, brachte ich es halbtags in eine Krippe und fing an in Teilzeit von zuhause aus wieder zu arbeiten. Beide waren wir glücklich. Mit der Zeit steigerte ich meine Arbeitspensum auf 25 und jetzt (mein Kind ist 8) sogar auf 30 Wochenstunden. Nur versuchten seitdem sowohl Medien als auch Arbeitgeber mir einzureden, dass ich doch einen Vollzeitarbeitsplatz brauche, um ein vollwertiger Mitarbeiter/Mensch zu sein. Von jeglichen Karriereaussichten war ich fortan sowieso ausgeschlossen.

    Mal überlegen: Vollzeit, das sind 40 Stunden, plus 1 Stunde Mittagspause (tariflich so vorgegeben) plus 30 min. hin und 30 min zurück, macht also tgl. 10 Stunden außer Haus. Da würde ich mein Kind dann nur noch zum sehr frühen Frühstück und abends zum Abendessen sehen. Alles in Eile und Hetze - ganz abgesehen von Einkaufen, Freunde treffen oder Freizeitaktivitäten (das Kind, nicht ich).

    Ich weiß, dass es viele Menschen berufstätige Paare gibt, die das so handhaben, ich kenne allerdings niemanden, der dabei nicht ein Vermögen an Babysitter bezahlt oder sich dabei nicht komplett verausgabt zum Leidwesen der Familie.

    Qualifiziert Teilzeitjobs (25 - 30 Stunden, Überstunden kommen ja eh noch dazu) und Karriere ab 40, das wäre eine echte Perspektive!

  • B
    bobinbrooks

    Als ich aufwuchs, war die folgende aberwitzige Idee als Zukunftsperspektive verbreitet:

     

    Da die Automatisierung der Produktion unaufhaltsam voranschreitet, brauchen Menschen immer weniger Zeit um die Waren des Bedarfs herzustellen.

     

    Auch die Dienstleistungen werrden mehr und mehr automatisiert bis hin zum papierfreien Büro.

     

    Daher - so waren wir fest überzeugt - wird sich die Arbeitszeit bis auf eine Zwei-Tage-Woche verringern.

     

    Die übrige Zeit, die wertvolle Zeit der Muße, würden Menschen - wie in der Antike erträumt - ihrer Familie, der Kunst, Philosophie und anderen von der Notwendigkeit befreiten Tätigkeiten widmen können.

     

    Nun sind wir an diesem Punkt - und was ist die Arbeitsrealität? Die einen arbeiten sich zu Tode und die anderen werden ausgesondert.

     

    Wenn die Ideologie der Arbeitswelt für ihre "jungen, frischen Teams" ausschließlich "junge kreative Köpfe" mit "Erfolgshunger" und "Biss" fordert - dann kann die Realität noch so sehr vor Verzweiflung irre werden, es nutzt ihr nix.

     

    Wir Menschen bauen uns unsere Realität immer nach dem Zeitgeist.

     

    Aber danke, dass Sie es versucht haben.

  • PD
    Peter Djordjevic

    Theorie diese Aussage und das wissen Sie auch Frau Dribbusch...

    "Bei einer Lebenserwartung von 80 Jahren macht eine "Kinderphase" von 15 Jahren nicht mal ein Fünftel der Lebenszeit aus."

    ... oder benutzen Sie reinzufällig "eine ähnliche Glaskugel" wie Frau Merkel.