die wahrheit: Labsal im Abo

Scheinheiligkeit: Die neuen miesen Methoden der Drückerkolonnen.

Hilde Grünspan hat sprichwörtlich Schaum vorm Mund, so wütend ist sie. "Flegel, Rüpel, Schändliche!", schimpft die 86-Jährige, die in ihrem Leben schon so manches mitgemacht hat. Aber eine solche Dreistigkeit sei ihr noch nie untergekommen. Vor etwas mehr sechs Wochen klingelte es unerwartet an der Tür ihres kleinen Einzimmerappartements in Köln-Sülz.

Als Hilde öffnete, war sie wie geblendet von einem grellen Lichtschein. Harfenklänge lullten sie ein, dann sprach eine Stimme in sanftem Ton: "Fürchte dich nicht, du bist auserwählt." Die Stimme kündete vom jüngsten Gericht und der Erlösung, die es für Hildes arme Seele bereithielte … - wenn sie nur hier unten links unterschreiben würde.

Und um die Zeit bis zum Ende der Welt etwas erträglicher zu gestalten, sei sogar noch ein Abo von "TVDings für 126,90 Euro" mit inbegriffen. Verständlich, dass die streng gläubige Hilde den Engelszungen nicht widerstehen konnte - sie unterschrieb. Doch die Enttäuschung folgte bald, die Zeitschrift wurde prompt geliefert, das jüngste Gericht blieb aber aus. Da war ihr klar, dass man sie aufs Übelste betrogen und mit ihrem Glauben aufs Kreuz gelegt hatte.

So wie Hilde ergeht es momentan unzähligen alten, zumeist tief religiösen Menschen im ganzen Bundesgebiet. Sie alle wurden Opfer der neuen scheinheiligen Methoden von Abo-Drückerkolonnen. Doch anders als früher, als zwischen Tür und Angel noch die Holzhammermethode regierte, schlägt man nun sanfte Töne an. Die Hausierer kleiden sich in Federn und Seide, um unter dem Deckmantel der himmlischen Erlösung Zeitschriftenabonnements zu verscherbeln. Nicht selten ist dabei der vermeintlich göttliche Lichtstrahl nichts anderes als ein profaner Baustellenscheinwerfer. Und die engelsgleiche Stimme kommt meist vom Band. Aber dennoch, die Tarnung funktioniert erschreckend gut.

Ein besonders eklatanter Fall ereignete sich kürzlich im ostwestfälischen Ort Hunkel. An der Wohnungstür der 89-jährigen Irmgard Hitzacker erschienen drei als Inkas verkleidete Herren im Lendenschurz und mit Federschmuck auf dem Kopf. Das in schillernden Farben bis zur Unkenntlichkeit geschminkte Trio erklärte der verdutzten ehemaligen Versicherungssachbearbeiterin, dass sie von einem fernen Kontinent, ja aus einer anderen Zeit kämen. Dort mache man sich Sorgen um das Wohlergehen der Frau Hitzacker, die offenbar noch nicht wisse, dass die Welt nach Angaben des weltberühmten Maya-Kalenders exakt am 22. Dezember 2012 untergehe.

Um aber die Reisekosten zu finanzieren, habe man ihr, Irmgard Hitzacker, ebendiesen Kalender zum unglaublich günstigen Selbstkostenpreis von 98,90 Euro mitgebracht, an dem könne sie sich bis zum Weltuntergang erfreuen. Dass der Kalender ganz sicher echt sei, zeige sich daran, dass er genau am 22. Dezember 2012 ende. Hocherfreut über die frohe Kunde erwarb Irmgard Hitzacker ein Exemplar und wartet nun daheim auf den Weltuntergang - vermutlich vergebens.

Für den Rosenheimer Kriminalkommissar Alois Grantl, selbst strenger Katholik, ist derartiges Vorgehen ein gewaltiger Dorn im Auge. Sein Revier scheint sich zur wahren Hochburg der Gauner zu entwickeln. "Es is a Sakrileg! Kreuzdonnerwetter!", erregt sich der Kommissar und holt einen dicken Aktenordner aus dem Regal. "Schaun S, des ist nur von der letztn Wochn!" Er blättert kopfschüttelnd durch die angezeigten Fälle. "Aber mir kenna nix macha, des is ja des."

Denn Grantl hat ein Problem. Keiner hat je die Gesichter der kriminellen Lichtgestalten und Maya-Abzocker gesehen und könnte sie näher beschreiben. So treiben sie also weiter ihr Unwesen und schwatzen im Namen Gottes oder wem auch immer leichtgläubigen Menschen Abos und andere nutzlose Dinge auf. Mittlerweile gehen die Kolonnen zu noch dreisteren Mitteln über und versprechen zu den Abos gleich noch elektrische Bauchwegtrainer und Vitaminpillen, damit man sich für die baldige jenseitige Auferstehung perfekt in Form bringen kann.

Der Kommissar rät allen religiösen Bürgern deshalb zur Vorsicht im Umgang mit plötzlichen Engels- und Inka-Erscheinungen an der Haustür und empfiehlt im Zweifelsfall das Tragen von Sonnenbrillen, um sich vor der grellen Gefahr zu schützen. Für Hilde Grünspan kommt dieser Tipp zu spät, der rüstigen alten Dame bleibt nichts anderes übrig, als zähneknirschend weiter TVDings zu lesen und auf das Ende der Welt zu warten. Für den Fall, dass wieder ein säuselnder Heiliger klingeln sollte, hat sie aber schon mal ihr Nudelholz neben die Tür gelegt.

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kari

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