piwik no script img

Kommentar Russland nach der WahlWas tun mit diesem Land?

Kommentar von Barbara Oertel

Diejenigen, die gegen Russlands Obere aufbegehren, müssen unterstützt werden. Doch bislang war das nicht der Fall, weil die wirtschaftlichen Interessen wichtiger waren.

D ie umfangreichen Wahlfälschungen sowie der Einsatz von Polizei und Armee gegen oppositionelle Demonstranten - beides entlarvt einmal mehr den undemokratischen und menschenverachtenden Charakter der politisch Verantwortlichen in Russland.

Mindestens genauso entlarvend ist die Reaktion des Westens auf die Wahlen zum russischen Parlament, der Duma, sowie auf die innenpolitischen Nachwehen dieses pseudodemokratischen Spektakels: US-Außenministerin Hillary Clinton kritisiert, dass die Abstimmung weder frei noch fair gewesen sei.

Und ihr deutscher Amtskollege Guido Westerwelle äußert sich besorgt über die Berichte der OSZE-Wahlbeobachter und fordert mehr Transparenz von Moskau ein. Mal abgesehen davon, dass Glasnost seit dem Machtantritt von Wladimir Putin im Jahr 2000 Geschichte ist: Derartige Standardfloskeln unterstreichen lediglich die komplette Konzept- und Hilflosigkeit des Westens im Umgang mit der einstigen Supermacht.

Die Autorin

BARBARA OERTEL ist Osteuropa-Expertin der taz.

Der Gipfel jedoch ist, wenn sich die deutsche Wirtschaft nun zu der kühnen These versteigt, die jüngste Abstimmung sei die erste freie Wahl in Russland gewesen - und ein Übergang von Wladimir Putins "gelenkter Demokratie" zu einer Regierungsform, die den Namen Demokratie verdient, möglich. Was die Herren Investoren umtreibt, ist klar: die Furcht, dass es mit der vielgepriesenen Stabilität im Reiche Putins bald vorbei sein könnte. Und damit auch mit der Putinschen Garantie für den Abschluss weiterer lukrativer Verträge.

Diese Furcht ist nicht unbegründet. Nicht nur dass viele Russen dem "Lider" am vergangenen Sonntag an der Urne die Gefolgschaft verweigert haben. Die Tatsache, dass Tausende in Moskau auf die Straße gegangen sind und das auch weiter tun wollen, zeigt an, dass ein Teil der Gesellschaft sich nicht länger gängeln und bevormunden lassen will. Ob sich diese Protestbewegung verstetigt, ist derzeit genauso wenig vorhersehbar wie die Antwort des Regimes. Bisher setzt es in gewohnter Manier auf Härte.

In jedem Fall verdienen diejenigen, die aufbegehren, Unterstützung - in welcher Form auch immer. Bislang mangelte es daran erheblich, da es stets vor allem um die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen ging. Das muss sich ändern. Auf dem Spiel steht viel, nicht zuletzt auch die Glaubwürdigkeit des demokratischen Westens.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • RZ
    Ralf Zimmermann

    Hat da nicht mal einer laut geschrödert,"Putin ein lupenreiner Demokrat"?!Heute steht er auf dessen Lohnliste...:)Der große Aufschrei unserer A-Promi-Politiker dürfte ziemlich leise ausfallen,sonst dreht der"lupenreine Demokrat" mal kurz am Gashahn.

    Erst business,dann Menschenrechte...siehe China!Wenn das mal gut geht...)Es ist wiederlich mit anzusehen wie sich deutsche und EU Politiker weltweit prostituieren.Na,ja...ich heize mit Holz.

  • S
    Schoenlink

    "Auf dem Spiel steht viel, nicht zuletzt auch die Glaubwürdigkeit des demokratischen Westens".

    den letzten satz von frau oertels kommentar muss frau/man sich auf der zunge zergehen lassen. meint sie etwa den demokratischen westen wie italien u. griechenland wo bürger gar nicht mehr gefragt werden? wie demokratisch legitimiert sind beschlüsse der eu? die glaubwürdigkeit des demokratischen westens. der kommentar könnte in der blödzeitung stehen, aber in der taz? die taz entwickelt sich langsam aber stetig zu einer zeitung die die welt nicht braucht. schade.

  • AH
    an hessebub2

    Um wieviel die Renten gestiegen sind, kann ich Ihnen nicht sagen, aber die Oma meiner Freundin hat in Moskau eine Rente von ca. 200 Euro pro Monat. Das ist "normal" für jemanden, der sein Leben lang gearbeitet hat. Miete muss sie nicht zahlen, da sie eine Eigentumswohnung besitzt (ehemals staatliche Wohnung in den 90er Jahren in Privateigentum überschrieben). Andernfalls wäre ein Überleben gar nicht möglich, da schon die Miete für 1-Zimmer-Wohnungen auf das doppelte kommt. Die Preise für Lebensmittel hingegen hängen sehr davon ab, wo man sie kauft bzw. welche man kauft. Produkte aus dem Ausland kosten mindestens soviel wie in Deutschland, bis hin zum Doppelten. Russische Produkte sind teilweise sehr billig, aber durchaus nicht alle.

  • D
    D.Suchin

    Geschätzte Barbara Oertel,

    sie geben sich als Osteuropa-Expertin. Wie konnte es denn sein, daß es ihnen entging, daß Glasnost mitsamt der Perestrojka seit inzwischen schon 20 Jahren Geschichte sei? Oder war der Wunsch hier der Vater des Gedanken, schließlich ging das ihnen offensichtlich so fremdes Land darnach in die Knie?

    Weswegen ich von "fremden Land" spreche? - ihre Sachunkenntnis zwingt mich dazu.

    "Umfangreich" sollen die Wahlfälschungen - wie war denn der besagte Umfang? Sie schweigen? - das ist beizeiten doch so beredt!

    "Einsatz von Armee" - wenn sie ein Bild dessen finden, werden sie steinreich. Denn in Moskau gab es keinen.

    "menschenverachtenden Charakter" - Auseinanderreiben einer nicht genehmigten Demo mit Feststellung der Personalien ist sicherlich fürchterlicher als das Ausschießen der Augen mit den Wasserwerfern, wie in Stuttgart, oder Pfeffersprayeinsatz, wie in NY. Wie ich dazu komme? - bei keinem der beiden Fälle gab die taz dem Geschehen so ein Prädikat.

    "einstige Supermacht" - wenn sie keine wäre, gebe es für sie keine Existenzberechtigung, oder?

    "In jedem Fall verdienen diejenigen, die aufbegehren, Unterstützung - in welcher Form auch immer." - das ist nun ein Direktzitat aus Lybien und Irak. Jückt es in den Fingern, wieder mal ihre "Interessen durchzusetzen"?

    Und was die "Glaubwürdigkeit des demokratischen Westens" anbetrifft - glauben sie wirklich, daß es so eine noch gebe? Oder lesen sie nichteinmal die taz?

  • H
    hessebub2

    Hallo Hessebub,

     

    bin deiner Meinung.

    Man sollte mal Russische Rentner fragen,

    um wie viel Ihre Renten gestiegen sind.

    In den letzten 10 Jahren.

    Hallo Taz,

     

    könnte Ihr das rausbekommen ?

     

    Gruss

    hessebub2

  • H
    hto

    "Was tun mit diesem Land?"

     

    Die westliche Welt- und "Werteordnung" im "freiheitlichen" Wettbewerb um ..., ist die Wurzel aller Korruption, allen Zynismus, aller Heuchelei, aller UNwahrheit, aller Verkommenheit, usw., deshalb ist diese Frage extrem blödsinnig, weil wir zu allererst anfangen sollten uns in Richtung wirklich-wahrhaftiger Vernunft zu ändern!?

  • H
    hessebub

    "Auf dem Spiel steht viel, nicht zuletzt auch die Glaubwürdigkeit des demokratischen Westens."

     

    Wenn er denn noch irgendwelche hätte. Wie gerade letzt in der taz beschrieben, wird in der EU gerade der Rest Demokratie durch postdemokratische "Technokraten"regimes im Dienste des Finanzkapitals ersetzt. Und vom westlichen Umgang mit den Entwicklungen in der arabischen Welt brauchen wir gar nicht erst anfangen.