: Das Geschäft mit dem sauberen Strom
KARTELL Die großen Anbieter von Ökostrom bleiben lieber unter sich. Ein junges Start-up hat keine Chance
Greenpeace auf die Frage, warum sie bei Atomausstieg-selber-machen ausgetreten sind
VON STEPHANIE DE LA BARRA
Über Ökostrom habe ich nie groß nachgedacht. Bis ich die Parabel vom Stromsee hörte: Man stelle sich einen großen See mit vielen Zuflüssen vor. Je sauberer sie sind, desto sauberer ist auch der See. Jede der Flussadern steht für eine andere Stromgewinnung: fossile Brennstoffe, Atomkraft und erneuerbare Energien. Aus der Steckdose kommt dann ein Strommix aus dem großen See. Die Frage ist: Welchen Fluss will man erweitern?
Die großen Vier
Wen will ich eigentlich unterstützen? Ich starre meine Heizung an, den Wasserkocher, den Laptop. Sie starren zurück. Sicher nicht die Atomstrom-Lobby! Die Parabel hat meine Gutmenschen-Ader getroffen. Ich muss den Stromanbieter wechseln. Ich tippe „Ökostrom“ und „Wechsel“ bei Google ein. Der erste Treffer ist die Webseite „Atomausstieg-selber-machen“. Sie empfehlen mir die großen vier: Greenpeace Energy, Naturstrom, LichtBlick und EWS Schönau. Für ein zweites Urteil besuche ich die Webseite oekostrom-vergleich.com. Dort finde ich neben Naturstrom und Greenpeace Energy noch „Polarstern“. Nie gehört.„Ein Fischer, ein Papa und ein Koch“ steht auf der Polarstern-Homepage. Drei junge Münchner Akademiker haben Polarstern gegründet: „um die Welt zu verbessern“. Sie haben eine Sonnenterasse, schreiben sie auf ihrer Homepage, und Besuch ist willkommen. „Wir freuen uns immer über kulinarische Schmankerl oder eine Topfpflanze.“
Polarstern bietet 100 Prozent Ökostrom aus österreichischen Wasserkraftwerken und 100 Prozent Ökogas aus den Zuckerrübenabfällen einer ungarischen Zuckerfabrik. Klick. Ökogas aus Reststoffen, das bedeutet: Biomasse muss nicht extra angebaut werden. Keine Monokulturen. Das macht keiner der anderen Ökostromanbieter. Klick. Klingt gut. Klingt fast zu gut. Wo ist der Haken? Bei Atomausstieg-selber-machen, der Referenzseite für Ökostrom schlechthin, von 23 Umweltschutzgruppen unterstützt, steht zu Polarstern: nichts.
Ich fahre nach München. Am Kreuzpätzchen Nummer 5, nahe der Isar, steht mitten in einem Wohnviertel ein kleines Haus mit Glasfront und Garten. Florian Henle, „der Papa“, begrüßt mich. „Im Sommer wachsen hier Rosen.“ Und im Winter schaut ihr zum Polarstern? „Wir gehen gerne in die Berge, und wer das macht, weiß, dass der Polarstern zur Orientierung dient. Richtungsweisend, hell und voller Energie.“ Das junge Unternehmen wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert, aber es könnte noch besser laufen. Da würde es schon helfen, bei Atomausstieg-selber-machen empfohlen zu werden. „Wir haben Schwierigkeiten“, gibt Henle zu. „Wir dachten, dass die vier etablierten Ökostromanbieter kooperativer sind.“
An alle 23 Trägerverbände hatten sie im Juli 2012 Anfragen geschickt. Florian Henle zeigt mir die Korrespondenz. „Auf unsere E-Mail von Ende Juli erhielten wir von einigen Trägerverbänden die Antwort, dass unser Anliegen bei Atomausstieg-selber-machen diskutiert würde und einer Aufnahme nichts im Wege stünde“, schreibt er Ende Oktober an Atomausstieg-selber-machen. „Seither haben wir nichts mehr gehört.“ Am 5. November kommt dann die Absage: „Die Träger haben sich entschieden, bei der Empfehlung der bisherigen vier Anbieter zu bleiben, aber zu erwähnen, dass es mittlerweile auch andere echte Ökostromanbieter gibt.“ Informieren müssen sich die Kunden aber selbst bei der Umweltorganisation Robin Wood, die einen Recherchebericht zu Ökostromanbietern herausgegeben hat. Atomausstieg-selber-machen verlinkt auf die Homepage. Seltsam. Wenn die Trägerverbände, Atomausstieg-selber-machen und Robin Wood Polarstern gut finden – warum werden sie dann nicht empfohlen?
Zurück in Berlin entdecke ich eine Pressemitteilung von Greenpeace aus dem Jahr 2011. „Wir können nicht in Bündnissen mitarbeiten, in denen Spenden von Unternehmen eine Rolle spielen. Nun wurde im Jahr 2011 die Arbeit von Atomausstieg-selber-machen dadurch gesichert, dass einzelne Trägerverbände Spenden von Ökostromanbietern erhielten.“ Ein Gefälligkeitskreislauf?
Ich rufe bei Greenpeace an. „Es gab ein Finanzierungsmodell von Atomausstieg-selber-machen, bei dem Geld von Unternehmen fließen sollte. Dies ist mit unserem Prinzip der Unabhängigkeit nicht zu vereinbaren, darum sind wir ausgetreten“, sagt ein Sprecher.
Greenpeace Energy bestätigt: Es habe 2011, nach Fukushima, bei Atomausstieg-selber-machen einen erhöhten Verwaltungsaufwand gegeben, weil plötzlich viele Menschen Ökostrom haben wollten. So kam es zu finanziellen Engpässen: Ein „Sockelbetrag von 5.000 Euro ging an Atomausstieg-selber-machen, c/o NaturFreunde Deutschlands e. V. mit dem Verwendungszweck ,Aktivitäten und Sachkosten‘“, schreibt die Pressesprecherin von Greenpeace Energy auf Anfrage. Zusätzlich seien 25 Euro Provision pro Vertragsabschluss gezahlt worden, „an den Naturfreunde-Verlag und an den ehemaligen Geschäftsführer von ASM“. Naturstrom allerdings dementiert: „Naturstrom zahlt keine Provisionen an ASM und hat auch keine Provisionen gezahlt.“ Die Sprecherin von Atomausstieg-selber-machen schließt einen Zusammenhang zwischen der finanziellen Unterstützung und den Empfehlungen auf ihrer Webseite aus. Und aus welchen Gründen wurde Polarstern dann abgelehnt?
„Wir haben nicht den Anspruch, alle guten Anbieter zu empfehlen. Im Trägerkreis wurde beschlossen, dass wir bei den vier bleiben wollen.“ Die Sprecherin nennt Stiftung Warentest als Vergleich, die würden auch nur ausgewählte Produkte testen. Sie könnten es nicht leisten, die neu hinzukommenden Ökostromanbieter laufend zu überprüfen. Und sie wollen die Verbraucher nicht zu sehr verwirren. Ich denke an Shampoo. Ob sie denn Shampoo-Bewertungen im Supermarktregal verwirren?
Es geht um Kunden
Tatsächlich konnte mir niemand schlüssig begründen, warum Polarstern abgelehnt wurde. Aber mehr Ökostromanbieter bedeuten natürlich weniger Kunden für die einzelnen Unternehmen. Was sagt das über die Ökostrombranche? Die Konkurrenz wird härter. Es geht längst nicht nur um die Energiewende, sondern auch um Umsatz. Nicht anders als bei herkömmlichen Stromanbietern auch. „Wir von Polarstern haben gehofft, dass wir ein gemeinsames Ziel verfolgen. Wenn selbst bei Atomausstieg-selber-machen ein Lobby-Geschmäckchen aufkommt, finde ich das schade“, sagt Florian Henle. Er erinnert sich an eine Unterhaltung mit Naturstrom. Sollte sich Polarstern nicht halten können, dann sollten sie ruhig ihre Kunden an Naturstrom abgeben – die würden das schon übernehmen.
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