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ParteitagGrüne wollen sich wieder grün sein

Der Landesverband beschließt fast einstimmig den Leitantrag, der eine inhaltliche Auseinandersetzung fordert. Die führenden Köpfe der beiden Flügel, Dirk Behrendt und Volker Ratzmann, leisten Abbitte

Dirk Behrendt (l.) und Volker Ratzmann (r.) waren die Protagonisten des harten grünen Flügelstreits im Herbst. Beim Grünen-Landesparteitag am Samstag waren von beiden versöhnliche Töne zu hören. Bild: DPA

Ein Tagungsort im Hinterhof, Papierfetzen im Durchgang, Kälte im Saal. Was für ein Unterschied zu Ende 2010, als die Grünen in einem ehrwürdigen Museum in Mitte Renate Künast zur Spitzenkandidaten kürten, mehr oder minder eine Krönungsmesse zelebrierten. Der eher herbe Charme im "Ballhaus Rixdorf" in Neukölln passt zur zentralen Botschaft des jüngsten Parteitags am Samstag: Asche über diverse Häupter wegen der offenen Flügelkämpfe im Herbst, Buße wegen des von oben und oft an der Basis vorbei geführten missratenenen Wahlkampfs.

Zur Erinnerung: Die Grünen, das ist die Partei, die vier Monate vor der Abgeordnetenhauswahl in Umfragen bei 30 Prozent lag, Künast zur Regierenden Bürgermeisterin machen wollte, doch nun erneut zusehen muss, wie SPD und CDU im Senat sitzen. Es ist die Partei, bei der sich die Abgeordnetenhausfraktion zerlegte, weil der linke Flügel die Vorstandswahl nicht akzeptierte, bei der die Linken knapp am angestrebten Chefposten vorbei schrammten. Bei der Fraktionschef Volker Ratzmann schließlich Mitte November zurücktrat. Bei der tags darauf ein sogenannter kleiner Parteitag mit großem Besucherandrang tumultartig ausuferte und einen großen Graben offenbarte.

Dieser Samstag in Neukölln verläuft anders. Zwischenrufe gibt es kaum, persönliche Anfeindungen gar nicht. Es wird so ganz der Parteitag, den sich die beiden Landesvorsitzenden Bettina Jarasch und Daniel Wesener gewünscht haben: noch mal kurz zurück schauen, Fehler eingestehen, Besserung geloben, aber nun bitte nach vorne gucken.

Streit darf es schon geben, aber nur inhaltlich. Gut ein Jahr soll die Partei nun über zwei Themenfelder - "Soziale Stadt im Klimawandel" und "Green New Deal"- debattieren. Ihr Leitantrag, der das so beschreibt, wird fast einstimmig angenommen.

Was in der Fraktion passiert sei, sagt Jarasch, "hat der ganzen Partei geschadet, und es darf sich nicht wiederholen." Sie, die mal Literatur studierte, findet aber noch Hoffnungsvolles und setzt auf ein Hölderlin-Zitat: "Versöhnung liegt mitten im Streit"

Und tatsächlich wird das kühle Ballhaus wenig später zur Bühne eines doppelten Canossa-Gangs, eines Abbitte-Leistens in zwei Akten. Darin steht erst Ratzmann am Mikro, lobt den Leitantrag und wird dann persönlich: "Da ich mich kenne, weiß ich, dass es nicht immer leicht war mit mir" - und dafür bittet er um Verzeihung. Weiter machen will er, "vielleicht in anderer Funktion. Ob das ab 2013 ein Bundestagsmandat ist, lässt er offen.

Diese plötzlichen Abbitte folgt über eine halbe Stunde später des Dramas zweiter Teil. Dirk Behrendt tritt nach vorne, seit Jahren großer Gegenspieler Ratzmanns. "Ich möchte mich entschuldigen bei denen, denen ich Wunden geschlagen habe", sagte er. Sein Fraktionskollege Thomas Birk hatte ihm beim vorigen Parteitag vorgeworfen, er führe einen "Vernichtungsfeldzug".

Nach solchen versöhnlichen Worten der zuvor schier Unversöhnlichen scheint wenig Platz für große Kritik. Sibyll Klotz, die frühere Fraktionschefin und jetzige Stadträtin, mag sich dennoch nicht einlullen lassen. "Es kann, es kann ein neuer Anfang sein", sagt Klotz. Das geht aber für sie nur, "wenn man den Respekt vor anderen nicht nur im Mund führt, sondern auch lebt."

Es ist nicht nur der Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Worte. Es sind auch einzelne Töne, die zweifeln lassen. Die linke Neuköllner Abgeordnete Susanna Kahlefeld etwa begrüßt zwar den nach vorne blickenden Leitantrag, sieht darin aber nur "einen ersten Schritt" - und "viele Konsensformulierungen, die mir persönlich nicht gefallen". Das nervt ihren Realo-Fraktionskollegen Jochen Esser. Kahlefeld wolle sich mit ihrer "Ja, aber"-Formulierung ein Hintertürchen offen halten, sagt er. Das dürfe nicht sein, Beschlüsse müssten gelten, auch bei Kahlefelds Thema Integration. "Ich möchte nicht mehr darüber diskutieren, ob es da Probleme gibt", sagte Esser, "sondern wie wir die lösen."

Die Abgeordnete Marianne Burkert-Eulitz wiederum unterscheidet zwischen der Haltung, ein Wahlergebnis zu akzeptieren, und sich von den Gewählten repräsentiert zu fühlen. Sie akzeptiere Ergebnisse, sagt sie, "aber ich halte nicht meinen Mund."

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6 Kommentare

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  • M
    m3t4b0m4n

    @Für ökosoziale Politik

     

    Ihren Eindruck kann ich bestätigen, es geht bei dem grünen establishement nur noch um Macht und Posten, deshalb koalieren sie auch wahlweise überall mit jedem.

     

    Neulich hat mir ein Grüner erklärt, wie stolz er doch sei, einer kaderschmiede anzugehören. Wie macht man am besten Karriere in einer Kaderschmiede? Man plappert nach, was von Oben kommt. Die jungen Grünen finde ich gruselig, genauso wie die jungen Liberalen, nur anders angezogen.

  • S
    Schattenfels

    Das Ausmaß des unkritischen Wohlwollens, mit dem die taz seit jeher über die Grünen berichtet, ist mit einer journalistischen "Überparteilichkeit" nicht in Einklang zu bringen. Anstatt mal zu überprüfen, was "Soziale Stadt im Klimawandel" und "Green New Deal", immerhin eine Anspielung auf die massiven Staatsausgaben in den USA nach der Wirtschaftskrise ab 1929/30, tatsächlih bedeuten, wird vorgebetet, wie bescheiden und friedfertig die Grünen in Berlin auf einmal sind bzw. vorgeben zu sein.. Dass die Unvereinbarkeit von "Realo"- und "Fundi"- Ansichten nun unter den Teppich gekehrt werden soll, um gute Presse (z.B. in der willfährigen taz) zu erlangen, ist offensichtlich. Aber all das darf in diesem Schönwetter-Artikel nicht interessieren, denn die Partei, die Partei, die hat immer recht... Ich warte auf den Tag, an dem die taz die Umverteilung von unten nach oben über die Stromrechnung kritisiert (oder wenigstens thematisiert), von der zur Zeit (Groß-)Grundbesitzer und Solar-Kapitalisten profitieren. Wär doch mal ein Themenvorschlag für die nächste Redaktionssitzung. Darf aber nicht sein, wetten?

  • F
    Frank

    Ich war mal Fan von den Grünen. Anscheinend korrumpieren die Parteien/ Struktur/ Organisation ihr Führungspersonal (Führung ist schonmal falsch, meines Erachtens). Die besten Ideal gehen irgendwann dahin. Bei den Grünen fing es an, als diese mit Ämterrotation aufhörten. Macht ist anscheinend toll, wichtig, auch toll mit einem tollen Auto rumgefahren zu werden. Die gleiche Sache mit der SPD damals. 1914 Kriegskredite, dann dass größte Unheil hervorgerufen und dann wieder 1918/ 19 die Freikorps Verbände von der Leine gelassen, Ebert, Noske und Co.

  • M
    Mocaer

    Was an den Berliner Grünen ist eigentlich grün?

     

    Dass sie links sind und viele ihre Altväter- und NochväterInnen strategisch vor 20-30 Jahren aus den linken Parteien mal rübergenmacht haben, das wissen wir zur Genüge und müssen es nicht immer wieder bestätigt bekommen. Dass zunehmend ehrgeizige Jüngelchen und Mädachen nach vorne drängen, Seiteneinsteiger gar keine Chancen mehr haben und zukünftig sowieso davor zurückschrecken werden, sich vor diesen lahmen, farblosen LehrerInnen und SozialarbeiterInnen-Karren spannen zu lassen, auch das ist keine Rede wert?

     

    Wo setzen sie um, statt zu appellieren? Wo sind die Strukturen gesund und kommen die Besten und integersten nach oben?

     

    Und wann begreift auch ein altlinker Juristenpolitiker wie C. Ströbele endlich, dass das viele Getöse um seinen engagierten Einsatz gegen das Unrecht auf höchster und entferntester Ebene zwar redlich aber wenig zielführend ist solange man vor der eigenen Haustür soviel Mist und institutionali-sierte Ungerechtigkeit der eigenen Amts- und damit "Würden"-Träger zulässt?

  • M
    m3t4b0m4n

    Hallo Herr Alberti,

     

    Sie sind sicherlich Praktikant, oder?

     

    Sollten Sie nochmal einen Kommentar über einen Landesparteitag schreiben dürfen, nennen Sie doch bitte den Namen des Landesverbandes.

    Schon klar, Berlin ist der Nabel der Welt und der Rest des Planeten nur Unkraut, wenn es nach den Berlinern geht.

    Anyway, es gibt auch noch Taz-Leser, die weder Mitglied der Grünen sind, noch die Namen aller Berliner Stadtteile kennen.

     

    Sollte die Taz auch Mitarbeiter haben, die nicht Grüne sind, eventuell könnten die ja mal was über Grüne schreiben. Dann würden auch die Leute verstehen worum es geht, die nicht selber auch den Grünen angehören, bzw in der Hunde-Scheisse-Hauptstadt leben.

  • FP
    Für ökosoziale Politik

    Mit dem Inhalte liefern sollten die Grünen endlich auch mal auf ihrer sogenannten "Mitsprache"- online-Plattform weitermachen.

     

    Unter anderem hier warten Leute bereits seit dem Wahlkampf 2011 (!) auf Antworten:

     

    www.gruene-berlin.de/da-m%C3%BCssen-wir-ran/alle?page=4

    www.gruene-berlin.de/da-m%C3%BCssen-wir-ran/alle?page=5&;;

     

    Bei dieser unglaublichen Ignoranz den BürgerInnen gegenüber sollte die grüne Partei das Wort Bürgerbeteiligung besser nicht mehr in den Mund nehmen.

     

    Sie haben keine Angebote zur Lösung der vorhandenen gigantischen sozialen Probleme.

    Es fehlen überzeugende Inhalte in jeder Hinsicht: Die 800.000 Armen in Berlin sind den Grünen weiterhin vollkommen egal. Und die Grünen sind noch nicht mal für einen Mindestlohn von 10 Euro die Stunde, bei dem man nach über 40 Arbeitsjahren (die kaum jemand mehr hat) wenigstens geringfügig über eine Grundrente von 670 Euro kommen würde.

     

    Auch die lächerlich geringe Vermögensabgabe erst ab einem Freibetrag von 1 Million Euro pro Person, die die Grünen kürzlich beschlossen haben, zeigt, auf welcher Seite die seit ihrer Regierungszeit 1998-2005 (Einführung der Agenda 2010: Leiharbeit, Minijobs, Hartz IV etc. bei gleichzeitiger Deregulierung der Finanzmärkte plus der Einführung von Hedgefonds etc.) neoliberale grüne Partei leider immernoch steht.

     

    Sie bieten angesichts der schwarz-gelben hunderte Milliarden Euro Steuergelder teuren unendlichen Bankenrettung keine alternativen Vorschläge zur Lösung der Finanzkrise.

     

    Und sie hatten auf Bundesebene unnötig für den Atomausstieg erst 2022 statt 2017 gestimmt (letzteres, den Ausstieg 2017, hatte sogar das Umweltbundesamt für realistisch erklärt). Jetzt schließen die Grünen auch noch Gorleben als Endlager nicht konsequent aus.

     

    Eine Partei, der es nur um die eigenen Posten und Macht geht, statt um echte sozial - ökologische Inhalte, ist komplett überflüssig.