piwik no script img

Jahrestag der Revolution in ÄgyptenDer Tahrirplatz ist wieder voll

Am Jahrestag des Beginns der Revolution gegen Mubarak herrscht gemischte Stimmung. Die einen feiern und die anderen protestieren gegen den Militärrat.

Es ist die größte Demonstration in Kairo seit dem Sturz Mubaraks. Bild: reuters

KAIRO taz | Es war deutlich die größte Demonstration auf dem Tahrirplatz in der ägyptischen Hauptstadt seit dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Husni Mubarak. Am Jahrestag des Beginns der Massenproteste gegen sein Regime waren die Teilnehmer ähnlich bunt gemischt wie damals: Alte und Junge, Männer und Frauen, Arme und Bessergestellte, zahlreiche Familien mit Kindern.

Von der islamischen Al-Azhar-Universität kommen die Scheichs Arm in Arm mit einigen Priestern, während die Menge ruft: "Christen und Muslime ziehen an einem Strang!" Auf einem kleinen Lkw kutschiert jemand einen riesigen Obelisken aus Holz über den Tahrirplatz, auf dem die Namen der 840 Opfer des 18-tägigen Aufstands stehen.

Und immer wieder erschallt der Ruf: "Stürzt die Militärherrschaft!" Es herrschen gemischte Gefühle auf dem Platz. Sind die einen gekommen, um den Sturz Mubaraks zu feiern, haben sich die anderen aus Prostest gegen den herrschenden Militärrat auf den Platz begeben.

Der Gymnasiast Yussuf Osman hält ein Schild hoch, auf dem steht: "Das Volk will immer noch, dass das Regime stürzt." Er sei nicht gekommen, um zu feiern, sondern um die Märtyrer zu ehren, die für diese Revolution gestorben sind, erklärt er seine Beweggründe. "Das Militär hat Mubarak abdanken lassen, nicht um uns Revolutionären zu helfen, sondern um das Regime erhalten zu können", klagt er. Kaum eine der Versprechungen sei erfüllt worden. Durch das Militär habe man viel Zeit verloren.

"Sie verhaften uns, verurteilen uns vor Militärgerichten, die staatlichen Medien hetzen gegen uns, und die Korruption grassiert weiter", schimpft er. Das es nun seit Montag ein Parlament gibt, findet er gut, aber feiern werde er das erst, wenn die Abgeordneten die notwenigen Entscheidungen gegen die Korruption treffen und Gesetze schaffen, nach denen die Vertreter des alten Regimes verurteilt werden können.

Jetzt gibt es zwei Optionen

Die Architektin Mariam Schaker winkt auf die Frage nach der nach der Aufhebung des Notstandgesetzes durch das Militär am Dienstag ab. "Mit dem Zusatz, das das nicht für Schlägertruppen gilt, ist das nichts wert, denn das Militär hat in den letzten Monaten immer wieder die Demonstranten auf dem Tahrirplatz oder vor dem staatlichen Fernsehen als Schläger bezeichnet", glaubt sie.

Schahir George Ishaak, Aktivist der ersten Tahrirplatz-Stunde und Sohn des Gründers der Kifaya-Bewegung George Ishaak, sagt ebenfalls, er sei nicht zum Feiern, sondern aus Protest gekommen - "mit der klaren Forderung, dass es zu einer schnellen Übergabe der Macht vom Militär an eine zivile Autorität kommen muss".

Dafür gäbe es zwei Optionen. "Entweder das Militär übergibt die Macht an den neuen Parlamentspräsidenten, der dann zu frühen Präsidentschaftswahlen aufruft. Oder diese Wahlen werden vorgezogen", sagt er. Die Verfassung könne dann im Anschluss geschrieben werden. "Sie ist zu wichtig, als das man das überstürzen sollte", sagt er.

Polizisten oder Soldaten waren am Nachmittag in der Nähe des Platzes nicht zu sehen. "Von unsere Seite", meint Ishaak, "wird es friedlich zugehen, aber wir werden auf dem Platz bleiben, bis unsere Forderungen erfüllt sind", meint er. "Wenn es Gewalt gibt", sagt er, "dann ist dafür einzig und allein der Militärrat und das Innenministerium verantwortlich."

Die Zusammenkunft auf dem Tahrirplatz war in Form eines gigantischen Sternmarschs mit fünfundzwanzig Treffpunkten organisiert, die auf Stadtplänen im Internet zu sehen waren. Die einzelnen Kolonnen umfasste tausende bis zehntausende Personen, die aus allen Himmelsrichtungen in Richtung Stadtzentrum zogen. Bis zum Nachmittag waren noch längst nicht alle Demonstranten auf dem Tahrirplatz angekommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • G
    geschichtswerkstatt

    Was soll das denn, Demokratie ist nicht gleich Lösung aller Probleme und Erfüllung aller Wünsche. Man muß immer im Hinterkopf behalten, daß Hitler auch durch Wahlen an die Macht gekommen ist, und es hätten theoretisch auch im demokratischen Sinne völlig unanfechtbare Wahlen sein können. Wenn die Zahl der Araber in der Minderheit ist, die in den Strukturen der westlichen Gesellschaft ein vorbildliches Beispiel sehen, dann muß der Westen seinen Demokratiebegriff eben um Aspekte erweitern, die den Menschen dort wichtig sind.

  • ES
    Elke Schilling

    Seit zwei Monaten lebe ich in Kairo und verfolge die Berichterstattung in Deutschland parallel zu meinen eigenen Wahrnehmungen. Was ich selbst hier erlebe und höre, deckt sich weitgehend mit euren Berichten. Und - selbst Ossie - ich fühle mich immer wieder heftig erinnert an die Zeit vor 22 Jahren, wo auch die Mehrheit konservativ wählte und Hoffnungen und Erwartungen von der Realität überholt oder ad absurdum geführt wurden. Und selbst nach so langer Zeit ist immer noch alles anders und vieles offen.

    Was ich an ägyptischer Mentalität zum Beispiel im Straßenverkehr erlebe, lässt mich hoffen - da ist sehr viel mehr Achtsamkeit und Wechselspiel mit- und füreinander und sehr viel weniger regelstarre Rechthaberei zu beobachten, als in Deutschland. Und die von den Straßenbauern gesetzten Schikanen wirken für alle Verkehrsteilnehmer.