Berlins neue Bildungssenatorin: "Ich nehme Kritik ernst"
19.000 neue Kitaplätze will Bildungsenatorin Sandra Scheeres (SPD) schaffen und über Inklusion neu diskutieren. Beim Oberschulzugang fordert sie Besonnenheit.
Taz: Frau Scheeres, wie oft haben Sie den Tag schon verflucht, an dem Sie Klaus Wowereit zugesagt haben, Bildungssenatorin zu werden?
Sandra Scheeres: Noch gar nicht. Es macht mir Spaß! Natürlich gibt es immer anstrengende Phasen, aber auch schöne: Gerade habe ich eine neue Fachschule für Erzieherinnen und Erzieher eröffnet. Da sieht man, dass man auch vorankommt.
Viele in der Stadt hatten gehofft, dass bei Ihnen den Themen Jugend und auch Kita wieder mehr Raum als unter Ihrem Vorgänger Jürgen Zöllner eingeräumt wird.
Sandra Scheeres,
41, Sozialdemokratin, ist seit November 2011 Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft.
Was ja auch passiert: Wir bauen die Kitaplätze aus, ebenso die Ausbildungskapazitäten für Erzieherinnen und Erzieher, Familienzentren werden wir künftig durch das Land finanzieren. Das sind neue Akzente, die ich setze.
Wie viele neue Kitaplätze soll es geben?
Der Plan ist, bis 2015 19.000 neue Plätze zu schaffen. 8.000 davon finanzieren wir über Bundesprogramme, 11.000 über Landesmittel. Dafür stehen jetzt im Haushalt im ersten Jahr 4 Millionen, im nächsten Jahr dann 16 Millionen Euro zur Verfügung. Die Konzepte dafür entwickeln wir derzeit und diskutieren sie mit den Bezirken und Trägern.
Werden das Kitaplätze für alle Altersstufen?
Ja, denn ab 2013 haben wir den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz ab dem 1. Lebensjahr. Wir sind in Berlin zwar weit mit dem Ausbau - der Bund fordert von den Ländern, dass sie für 35 Prozent der Altersgruppe von ein bis drei Jahren Plätze vorhalten müssen, und wir sind bereits bei 43 Prozent - aber wir haben da natürlich auch einen besonderen Anspruch. Weil es uns wichtig ist, dass viele Kinder in die Kita gehen. Wir wissen, was es für die Sprachentwicklung als Bildungsgrundlage bedeutet.
Trotzdem müssen Sie sich jetzt erstmal wieder um das Thema Schule kümmern, denn im Moment wird recht hysterisch über eine Zahl von 1.000 SchülerInnen diskutiert, die angeblich das Probejahr der Gymnasien nicht schaffen werden.
Meine Verantwortung besteht darin, sachlich und mit der nötigen Ruhe an diese Fragen heranzugehen. Ich kann mich nicht zu hektischen Aktionen verleiten lassen. Dazu ist das Thema viel zu wichtig. Und wenn punktuell Probleme zu sehen sind, heißt das nicht, dass das ein Problem für die ganze Stadt ist. Ich trage die Verantwortung für alle Schulen, für alle Schülerinnen und Schüler und nicht nur für einzelne Schulen. Natürlich sorgen wir dafür, dass für diese Schüler genügend Sekundarschulplätze vorhanden sind.
Verstehen Sie die Angst der Eltern, die zu solcher Hysterie führt? Sie haben selbst zwei Kinder.
Ich sehe aufseiten der Eltern keine Hysterie. Als wir vor zwei Jahren über die Ausgestaltung der Reform nachgedacht haben, habe ich Sorgen gespürt. Die größte war, dass es einen Run auf die Gymnasien geben werde und zur Sekundarschule keiner will. Aber das ist nicht passiert, sondern viele Eltern haben in der Sekundarschule eine positive Alternative gesehen. Auch die prognostizierte Klagewelle gegen das neue Aufnahmeverfahren für die Oberschulen blieb aus.
Woher kommt denn dann derzeit der Aufschrei, dass viele SchülerInnen das Probejahr am Gymnasium nicht schaffen?
Wir sind jetzt im ersten Schuljahr, in dem das Probejahr das Probehalbjahr abgelöst hat. Wir haben noch keine Zahlen darüber, wie viele SchülerInnen es nicht schaffen werden, denn das Probejahr ist noch nicht vorbei! Es gibt offenbar an einzelnen Gymnasien das Problem, dass derzeit einige Siebtklässler versetzungsgefährdet erscheinen. Aber erstens ist das kein flächendeckendes Problem. Und zweitens wissen wir, dass sich junge Menschen in einem halben Jahr noch entwickeln können - deshalb haben wir die Probezeit ja auf ein ganzes Schuljahr verlängert. In dieser Zeit kann ein junger Mensch wirklich noch den Dreh kriegen und seine Leistungen verbessern. Dabei muss er unterstützt und gefördert werden. Und die Lehrerinnen und Lehrer müssen dafür sorgen, dass das gesamte Probejahr für diese Unterstützung genutzt wird. Bereits nach einem halben Jahr Schlussfolgerungen für das Kind zu ziehen, ist falsch. Ich werde nicht das Probejahr infrage stellen, weil es in einzelnen Schulen Probleme gibt. Wir müssen uns ganz in Ruhe ansehen, wie das nach dem Probejahr an den Schulen aussieht, und dementsprechend handeln.
Ein wichtiges Thema der nächsten Zeit ist die Inklusion von Kindern mit Behinderungen ins Regelschulsystem. Wie geht es da weiter - auch auf der Finanzierungsebene?
Der Senat hat in der vergangenen Legislaturperiode ein Inklusionskonzept beschlossen, das ich noch als Abgeordnete mit diskutiert habe. Deshalb weiß ich, dass das in vielen Teilen gute Konzept an manchen Stellen überarbeitet werden muss, da auch noch manches fehlt. Denn das ist ein sensibles Thema, das alle Eltern und Pädagogen betrifft. Viele betroffene Gruppen wurden an der Entwicklung des Konzeptes nicht beteiligt. Daran ist viel Kritik geäußert worden, die ich ernst nehme. Wir planen deshalb ein Gremium einzurichten, das das Konzept noch einmal diskutiert und den Prozess begleitet. Ein Kritikpunkt war die geplante Kostenneutralität der Inklusionsmaßnahmen, die man sich noch einmal ansehen muss - etwa, wie der Personalschlüssel in der Realität funktionieren soll. Wir können nicht mit der Gießkanne Geld verteilen, das ist klar. Aber Inklusion darf keine Verschlechterung für die Kinder bedeuten, sie soll für alle eine Verbesserung sein.
Das klingt, als wollten Sie das noch mal von vorne aufrollen?
Stimmt. Im jetzigen Haushalt haben wir zunächst eine Million Euro für bauliche Voraussetzungen eingeplant. Aber das Inklusionskonzept wird später umgesetzt. Wir diskutieren es neu und müssen dann sehen, was das finanziell bedeutet. Dann geht es um andere Beträge. Das wird ein Thema für die nächsten Haushaltsberatungen.
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