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Kommentar LettlandIdiom der Besatzer

Kommentar von Barbara Oertel

Lettland hat Russisch als Amtsprache abgelehnt. An einer Integration der Russen führt aber kein Weg vorbei. Eine Spaltung der Gesellschaft ist gefährlich.

D ie Ablehnung durch drei Viertel der Abstimmungsberechtigten, Russisch in Lettland als zweite Amtssprache einzuführen, überrascht nicht. Die Sprachenfrage ist, wie in anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion mit einem großen russischen Bevölkerungsanteil auch, seit der Unabhängigkeit 1991 ein Politikum.

Für die überwiegende Mehrheit der Letten war und ist Russisch das Idiom der ehemaligen Besatzer. Diese Sprache zu stärken ruft historische Ressentiments wach und lässt viele um die Souveränität des Landes fürchten. Ohnehin hat die Minderheit den Ruf einer "fünften Kolonne Moskaus", deren Einfluss es zu begrenzen gilt.

Demgegenüber fühlen sich viele Russen diskriminiert und wie Bürger zweiter Klasse behandelt. Aus ihrer Sicht zu Recht - besitzen doch 15 Prozent beziehungsweise 300.000 Angehörige der Minderheit wegen einer nicht bestandenen Sprachprüfung keine Staatsbürgerschaft. Sie sind von Wahlen sowie der Ausübung bestimmter Ämter im Staatsdienst ausgeschlossen und damit in ihrer Teilhabe am politischen Leben stark eingeschränkt. Dieser Umstand ändert jedoch nichts daran, dass viele Russen sich weigern, zumindest Grundkenntnisse im Lettischen zu erwerben.

BARBARA OERTEL

ist Co-Leitern des Auslandsressorts der taz.

Dennoch: die Regierung wäre schlecht beraten, sich nach dem Volksentscheid als Siegerin zu fühlen. Denn an einer Integration der Russen führt kein Weg vorbei. Eine Chance dafür wurde nach den Parlamentswahlen im September vertan, als der Partei der russischen Minderheit eine Regierungsbeteiligung verwehrt wurde. Das Referendum sollten beide Seiten jetzt für einen Dialog nutzen, um alte Feindbilder zu überwinden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass sich die Spaltung der Gesellschaft weiter vertieft. Für Lettland wäre das alles andere als zukunftsweisend.

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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4 Kommentare

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  • M
    Michel

    Die Bringschuld liegt hier eindeutig bei den Russen.

     

    Sie wissen das sie in einem Land leben das nicht russisch ist, sondern lettisch.

     

    Selbst in Deutschland fordern wir ja unsere ausländischen Mitbürger auf deutsch zu lernen, damit eine Integration möglich ist.

     

    Wenn einige Russen die Realität weiterhin verneinen wollen, sollten sie sich wirklich überlegen, ob sie nicht doch ihre Koffer packen und zurück zu Mütterchen Russlang gehen wollen. Ansonsten werden sie NIE richtig heimisch werden in Lettland.

  • JC
    Johnny Cynic

    Die baltischen Staaten wurden von Stalin besetzt und die Bevölkerung unterdrückt.

    Noch in den 90ern schickte der Friedensnobelpreisträger Gorbatschow Truppen um die Freiheitsbewegungen blutig niederzuschlagen.

    Weder die Russische Föderation noch der russische Bevölkerunksanteil des Baltikums hat je Bedauern darüber geäußert.

    Die die nicht eimal bereit sind die Spache ihres Gastlandes zu lernen sind doch gar nicht interessiert an einer Integration.

  • A
    Anno

    Zwei Punkte gilt es dabei zu beachten.

    1. Die Lettischprüfung, die notwendig ist, um die Staatsbürgerschaft zu erlangen ist EINFACH. Ich kenne viele westliche Ausländer in Riga, die sie zum Spaß gemacht und in der Regel auch bestanden haben, auch wenn sie erst ein paar Jahre dort leben.

    2. Das Problem wird sich auch biologisch erledigen. Die jungen Russen haben fast ausnahmslos die lettische Staatsbürgerschaft und sind in die Gesellschaft gut integriert.

  • B
    Bernd

    Ja, das man die Staatsangehörigkeit eines Staates nicht bekommt, dessen Sprache man sich weigert, zu lernen, ist natürlich mal wieder Rassismus pur, Faschismus pur, Hitler lebt in diesen Leuten weiter...

     

    Am Ende muss man noch Englisch können, um die US-Staatsangehörigkeit zu bekommen!