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Hertha siegt unter RehagelClevere Ansagen

Der Mann schwebt in anderen Spähren: Otto Rehhagels Sinn fürs Atmosphärische ermöglicht Hertha BSC den ersten Sieg in der Rückrunde.

„Ein lustiger Trainer“: Otto Rehagel. Bild: dpa

BERLIN taz | „Er hat heute sein erstes Bundesligaspiel gemacht“, behauptete Otto Rehhagel forsch, um sich dann zu vergewissern: „Stimmt doch, oder?“ Die Rede war von Fanol Perdedaj. Aber der Name des 20-Jährigen, den er wegen seines beherzten Debüts hervorhob, war für den 73-jährigen Trainer von Hertha BSC ein nicht gesichertes Detail, an dem er sich nicht festbeißen wollte. Er habe ihn schon im Training nicht aussprechen können, bekannte er. So verfügte er nach dem 1:0-Sieg gegen Werder Bremen, dem ersten Rückrundenerfolg der Berliner: „Ab heute heißt er Paradise, so hat er auch gespielt.“

Mit Details hat sich Rehhagel noch nie sonderlich genau befasst. Jetzt aber bei seinem befristeten Engagement als Fußballgelehrter, für das er aufgrund seiner alten Verdienste – egal was geschehe – eine Art präsidiale Immunität gegen Misserfolg in Anspruch nimmt, scheint er mehr denn je in anderen Sphären zu schweben. Den Fragesteller, der die ungewöhnliche Kritik des Grünen-Politikers Jürgen Trittin am Missmanagement der Hertha thematisieren wollte, ließ er gar nicht erst ausreden. Er winkte ab und verkündete: „Ich bin am Sonntagabend mit meiner Frau Beate beim Außenminister zum Abendessen eingeladen. Darauf freue ich mich.“

An diesem Wochenende wurde deutlich, weshalb Hertha BSC für einen Trainer wie Rehhagel gar kein so unattraktiver Standort ist. Im Olympiastadion wärmen ihn der Applaus und die Sprechchöre der Hertha- und der Werder-Fans, die ihm in alter Dankbarkeit verbunden sind. Und außerhalb der Arena bietet ihm diese Stadt auch noch andere große Bühnen.

Wer mit Westerwelle vespert und zudem bald im Reichtagsgebäude den nächsten Bundespräsidenten mitbestimmt, der sieht entsprechend gelassen möglicherweise frisch gewachsenen Ansprüchen eines Bundesliga-Neulings entgegen: „Ich werd ihm sagen: Paradise, du kannst dich bedanken, dass ich dich einmal aufgestellt habe.“ Natürlich war das ein Scherz, mit dem Rehhagel praktischerweise noch einmal auf den Spiritus Rector des Erfolgs verweisen konnte: auf sich selbst. Denn Perdedaj war mit seiner Kampfkraft im defensiven Mittelfeld fraglos einer der Garanten dafür, dass Werder nur zu wenigen Torchancen kam. Ein völlig unbeschriebenes Blatt ist das aus dem Kosovo stammende Hertha-Talent zwar nicht. Für die U21-Nationalmannschaft ist er bereits aufgelaufen und in Berlin nennen ihn seine Mitspieler Gattuso.

Willenskraft schlägt spielerische Unterlegenheit

Rehhagel hat sich aufgrund vieler Ausfälle getraut, ihn aufs Feld zu schicken. Zudem stellte er das Team nach dem desaströsen Auftritt in Augsburg auf verschiedenen anderen Positionen um. Auch Nikita Rukavytsya, der das Tor des Tages erzielte, hatte Rehhagel in die Startelf beordert. Er hatte elf Profis auserwählt, die dank ihrer Willenskraft ihre spielerische Unterlegenheit gegen Werder kompensieren konnten. Christian Lell lobte: „Er hat ein gutes Gefühl bewiesen.“

Das scheint nach wie vor eine seiner großen Stärken zu sein. Rehhagel hat einen Sinn fürs Atmosphärische. Entsprechend fiel auch Fanol Perdedajs Trainer-Lob wenig fachbezogen aus: „Er ist sehr lustig als Trainer. Er macht Stimmung und bringt uns viel zum Lachen.“ Und auch die Einblicke, die Tunay Torun über die Kabinenansprache von Rehhagel gewährte, sind nicht dazu angetan, diesen noch nachträglich in später Reue in die Riege der Taktiktüftler aufzunehmen. „Er hat gesagt, dass wir keine unnötigen Fouls spielen sollen und clever sein müssen. Clever – das ist sein Lieblingswort.“

Natürlich war es auch die Erleichterung, die Rehhagel nach dem Sieg so erblühen ließ. „Wenn wir heute verloren hätten, dann hätte man gesagt: Mensch, das geht nicht mehr.“ Zumal das Verhältnis zwischen den Hertha-Profis und den Fans angespannt ist. Vor dem Spiel prangte auf einem gut 60 Meter langen Banner Schwarz auf Weiß der Schriftzug über der Ostkurve: „Ihr habt euer Versprechen gebrochen!“ Welches Versprechen gemeint war, darüber will Lell, wie er sagte, noch Erkundigungen bei seinen Mitspielern einziehen. Er vermutete, dass es in seiner Abwesenheit bei einem Besuch der Anhänger auf dem Trainingsgelände gegeben worden ist. Vielleicht ist das nun nicht mehr nötig. Das Versprechen für die Zukunft heißt bei Hertha mehr denn je: Otto Rehhagel.

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1 Kommentar

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  • J
    JoHnny

    werter johannes kopp,

     

    grüßen sie herrn trittin, der einerseits den schweinejournalismus der taz kritisiert und

    andererseits der hertha suizidale veranlagung

    unterstellt; sicherlich schöpft er aus dem

    grünen erfahrunspotential, vgl. u.a.

    künast (alles oder nichts) bzw.

    ratzmann (A 100)!...

     

    mfg