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Vorwahlen in den USANoch nie wurde so viel gelogen

Ideologie bestimmt den US-Vorwahlkampf, neue Lösungen für Probleme hat keiner der Bewerber. Sogar das Establishment der Republikaner ist entsetzt.

Einige haben sichtlich Spaß am Vorwahlen-Spektakel in den USA: Anhängerinnen von Newt Gingrich in Atlanta. Bild: reuters

BERLIN taz | Barbara Bush, die in Republikanerkreisen verehrte alte Dame des Bush-Clans, ist entsetzt. Das seien wohl die „schlimmsten“ Vorwahlen, die sie in ihrer Partei jemals erlebt habe, gab sie jüngst Journalisten zu Protokoll. Das Gefühl teilt sie mit vielen im republikanischen Partei-Establishment.

Vorwahlen sind immer die Zeit der großen Worte, der radikalen Äußerungen, um die Basis hinter sich zu bringen, um dann, wenn die Nominierung einmal gesichert ist, sofort wieder in die Mitte zu rutschen und die moderaten Wechselwähler zu umgarnen. Aber was die Kandidaten in diesem Jahr aufführen, ist beispiellos in der Geschichte.

Noch nie zuvor war die Kritik der Opposition an einem Präsidenten so ideologisch, noch nie wurde so viel gelogen. Noch nie war parlamentarische Arbeit so kompromisslos dem Ziel gewidmet, die Wiederwahl eines Präsidenten zu verhindern, noch nie bestimmten die radikalsten Teile einer Partei so sehr den öffentlichen Diskurs wie derzeit bei den Republikanern.

Bei dem wichtigsten Themenfeld, der Wirtschaft, haben die Republikaner nichts anzubieten, was neu oder erfolgversprechend wäre. Alle Kandidaten wollen den Haushalt auf Kosten der Ärmsten und der großen Mehrheit der US-Amerikaner sanieren. Sie wollen dem reichsten „1 Prozent“ – dieser Begriff der Occupy-Bewegung ist längst in den allgemeinen Sprachgebrauch übergegangen – weitere Steuererleichterungen zukommen lassen. Jegliches staatliche Eingreifen, um das weitere Auseinanderklaffen von Arm und Reich zu verhindern, lehnen sie als „Klassenkampf“ ab.

Insofern liefert der Wahlkampf um die Präsidentschaft tatsächlich ein Aufeinandertreffen zweier Philosophien. Präsident Barack Obama hat in seinen jüngsten Schlüsselreden eine Vision beschworen: eine Regierung, die sich darum kümmert, dass alle US-Amerikaner die gleichen Bildungschancen bekommen und zu Wohlstand gelangen. Dazu fiel dem republikanischen Kandidaten Rick Santorum nichts Besseres ein, als zu erklären, Obama wolle, dass alle zum College gehen, weil sie dort von linken Professoren indoktriniert würden.

Es ist diese Bereitschaft, um des schnellen Applauses willen offenkundigen Unsinn zu erzählen, der das Partei-Establishment zur Verzweiflung treibt.

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8 Kommentare

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  • W
    Wanja

    When the lie's so big

    And the fog gets so thick

    And the facts disappear

    The Republican Trick

    Can be played out again

    People, please tell me when

    We'll be rid of these men!

     

    (Frank Zappa 1988, When The Lie's So Big)

  • R
    roby

    Und der grösste Lügner und Lump von allen dürfte wohl der jetzt amtierende President Obama sein. Nichts,aber auch gar nichts von dem was er versprochen hat wurde realisiert.

  • 0
    0177translator

    Angesichts von www.usdebtclock.org kommt keiner drauf, dem Pentagon zu sagen, daß die Party vorbei ist. Der gegen Obama unterlegene McCain forderte vor 3 Tagen, nun auch Syrien zu bombardieren, inzwischen mehren sich diese Stimmen. Und ein Newt Gingrich forderte am 11.12.2011 vor dem Kongreß allen Ernstes, Kinderarbeit wieder einzuführen. Mir ist das Lachen vergangen. Was mir die Kehle zuschnürt, ist die Hörigkeit unserer deutschen Bundesregierung den USA (inkl. Netanjahu) gegenüber.

  • KS
    Karl Sonnenschein

    @Schorsch

    Von den Amis kann man sehr viel ueber den gemeinen Europaer lernen, und umgekehrt. Manipulation oder Verbloedung der Gesellschaft laesst sich nun mal nicht auf die USA reduzieren.

     

    Allein die ausgiebige Berichterstattung in deutschen Medien zu amerikanischen Vorwahlen sollte einem zu denken geben.

  • J
    Jürgen

    "um des schnellen Applauses willen offenkundigen Unsinn zu erzählen" Und was ist daran neu? Reagan, Bush I und II und wer nicht noch alles haben Unsinn GEMACHT, das juckt schliesslich auch keinen.

     

    Von Orwell gibt es einen interessanten Essay zu Nationalismus. Im US-Nationalismus sind so viele Leute gefangen, dass man sogar für den Begriff blind ist, wikipedia sagt "Patriotismus wird heute allgemein von Nationalismus und Chauvinismus unterschieden, insofern Patrioten sich mit dem eigenen Land und Volk identifizieren, ohne dieses über andere zu stellen und andere Völker implizit abzuwerten." Trotzdem spricht man ständig von Patriotismus, obwohl die USA sich ständig als "greatest nation" bezeichnen und sich oft und arrogant über internationale Regeln stellen ...

     

    Daher sind selbstkritische Fragen ausgeschlossen, und deshalb hört der Unsinn erst auf, wenn das Land richtig abgestürzt ist. Und China wird es abstürzen lassen, sobald sie nicht mehr so stark von Exporten abhängig sind. Das wird für alle lustig, die nicht zu nahe dran sind, oder z.B. ihre Rente im US-Kasino haben.

  • ML
    Max Lewien

    Schwierigkeiten habe ich mit der Behauptung "noch n i e (Hervh.M.L.)" sei so viel gelogen worden bei Wahlkämpfen in den USA usw. Sowohl die Diagnose des Lügens in Abgrenzung zum Irrtum aus Ignoranz bis zur wahnhaften politischen Halluzination , wie deren behauptete Quantität, scheinen mir problematisch

     

    Gewiß wird in der kapitalistischen Demokratie immer auch gelogen. Mir sind die Wahlkämpfe in den USA in und während der Weltwirtschaftskrise 1929 ff. nicht bekannt, aber ich möchte wetten, daß damals mindestens ähnlich viel Goebbels-analoge Hetzpropaganda von rechts produziert wurde. Es gab ja eine richtige faschistische Bewegung, die Roosevelt via New Deal mit größter Mühe stoppen konnte. Diese Rechten dürften mit Lügen genauso gearbeitet haben wie die heutigen Republikaner.

     

    Die Art und die Ursachen der heutigen republikanischen Lügen, die oben notiert werden, wäre zu ergründen. Da gibt es vermutlich eine Skala von bewußtem Lügen, unterbewußtem Lügen, schließlich von Ignoranz infolge Täuschungen, die das kapitalistische Krisensystem "ausschwitzt"(Alfred Sohn-Rethel) bis hin zum psychotischen politischen Wahn.- Das müßte dann immer weniger ethisch denn pathologisch begriffen werden .

     

    Die US-Kapitalismuskrise zeigt sich in der Zunahme der food insecurity, der Arbeitslosigkeit,der Wohnungslosigkeit für immer mehr Amerikaner. Deren Erleben oder Angst davor dürften die Tea Party ,die militanten rechten Milizen und die republikanischen Präsidentschaftskandidaten, eine Ansammlung rechten Groß-Bürgertums,in Bewegung setzen. Hinzu kommen als Movens der Faschisierung die bizarr antiliberalen Medienfiguren . All dieses konvergiert miteinander unheilvoll in einer Art US-Präfaschismus.

     

    Der zeichnet sich polit-klinisch-psychologisch aus durch einen immer wahnhafteren Umgang mit der Krisenrealität. Die Wallstreet-Zockerei, die Loslösung der Finanzökonomie von der Realökonomie, der schockhafte vVerlust für sicher gehaltener materieller Sicherheiten(ohnen im Zeltlager statt in der Eigentumswohnung usw.)- all das förderte eine Art politisch-mentales Borderline, wo Wahn und Wirklichkeit in einem realitätsverlustigen Simulacrum(Baudrillard) verschwimmen, unterstützt von tröstendem Wunschdenken.Das manifestiert sich auch in der immer noch große Macht religiöser Phantasterei in den USA(offenkundig auch im politisch verhängnisvollen Umgang mit dem "Heiligen Land" usw.)

     

    Die Hauptignoranz der gesamten US-Rechten, tendenziell aber der gesamten politischen und wissenschaftlichen "Elite" der USA (könnte man diese Ignoranz auch Lüge nennen?) ist das Verkennen der Tiefenkausalität der globalen Kapitalismuskrise infolge irreversibler "Mehrwertmassenschrumpfung"(nachzulesen bei den Wertkritikern, bes. bei Robert Kurz)-.

     

    Dieser Ignoranz erscheint alles Krisenhafte nur Folge rein Kapitalismus -imamnenter s u b j e k t i v e r Fehler. Daß das System inzwischen selbst d e r Fehler ist, ohne dessen positive Überwindung eine Dauerkatastrophe im Sinne Benjamins ansteht, kann solche Ignoranz nicht einmal denken. Da die marxistische Analyse, die allein über die Krise aufzuklären vermöchte, blindwütig und paranoid-pathisch ausgesperrt bleibt,("weggelogen" kann man das nur bedingt nennen) ist eine sich schließende politische Sackgasse das böse Resultat. Es ergibt sich ein geschlossenes System eines naturhaft interpretierten Kapitalismus, in dem sich nur ein angeblich mögliches Zurück zu einem früheren Guten, aber kein besseres Darüberhinaus eröffnet. Popppers frohgemut gepriesene kapitalistische "offene Gesellschaft" erweist sich de facto letztendlich als selbstzerstörerisch "geschlossene".

     

     

    Gelangen die konvergierenden Rechtspotenzen bei sich verschlimmernder Krise an die Macht, kommt es innenpolitisch zu staatsterroristischen Gulags für die widerständigen Armen. Außenpolitisch aber dürften immer größere Kriege die Folge sein, Brzezinski hat schon vorgegeben wo, gegen wen und wozu: Gegen Rußland und China um der asiatischen Rohstoffe willen und um den eigenen ökonomischen und Welt-Hegemonieverfall aufzuhalten. Sogar Atomkriege mit allen Folgen für die Menschheit sind dann wahrscheinlich.

  • S
    Schorsch

    Es gehören ja immer zwei dazu: einer, der den Scheiß erzählt und die dumme Menge, die ihn glaubt bzw. sich den Unsinn gefallen läßt. Was mich immer wieder irritiert bei den Amis ist, dass sie bei dem Blödsinn nicht lauthals anfangen zu lachen.

  • C
    Chris

    Eh *räusper* "Alle Kandidaten wollen den Haushalt auf Kosten der Ärmsten und der großen Mehrheit der US-Amerikaner sanieren". Das ist so falsch. Es stimmt nur, wenn man Ron Paul auslässt, der in seiner Wirtschaftspolitik eher eine Gefahr für "Big Corperate Interest Groups" darstellt. Daher wundert es auch nicht, dass das republikanische "Partei-Establishment" direkt alle Kandidaten schwach redet, so dass man gar nicht erst überprüft, wer dort überhaupt zur Auswahl steht. Ron Paul hat parteiintern den größten Anteil an jungen Wählern, von diesen lustigerweise auch sehr viele ein Teil der "Occupy-Bewegung".