Kot-Schwemme: Grüne fordern Gülle-Kataster
In Niedersachsens Massentierhaltung wird weit mehr Vieh gehalten als in den offiziellen Statistiken des Agrarministeriums aufgeführt, decken die Grünen auf.
HANNOVER taz | Niedersachsen Landtagsgrüne werfen Agrarminister Gert Lindemann (CDU) vor, das Ausmaß der Gülle-Problematik durch Massentierhaltung zu verschleiern. Weit höher als die Statistiken des Ministeriums seien die realen Tierzahlen, erklärte ihr Agrarpolitiker Christian Meyer am Freitag in Hannover. Entsprechend größer sei die Menge an Gülle und Mist, die anfällt.
Beim Geflügel etwa zählt die offizielle Agrarstatistik des Landes 36,5 Millionen Masthühner und gut 14 Millionen Legehennen. Meyer stellt dem die Zahlen von Niedersachsens Tierseuchenkasse gegenüber, bei der Halter ihre Tiere pflichtgemäß melden: Dort sind über 63 Millionen Masthühner und 18 Millionen Legehennen registriert. Wo der anfallende Mist verdüngt wird, sei in keiner Weise geregelt.
Nach Grünen-Schätzung sind schon mit Mist und Gülle aus Niedersachsens Viehbetrieben 65 Prozent der Ackerflächen belegt. Allein in den Landkreisen Cloppenburg und Vechta gebe es jährlich 3,3 Millionen Tonnen mehr Gülle, als die Felder vor Ort aufnehmen könnten. Hinzu kommen Klärschlamm, Kunstdünger und Gärreste aus Biogasanlagen – und eine unbekannte Menge an Gülle, die aus den Niederlanden nach Niedersachsen kommt: In dem Nachbarland ist die Ackerfläche knapp, zudem wird die Verwertung sogenannter Wirtschaftsdünger stark kontrolliert. Vermittelt wird der Mist von Betrieben mit viel Tierhaltung und kleinen Flächen an Betriebe mit großen Feldern an Güllebörsen, innerhalb Niedersachsens, aber auch grenzüberschreitend.
Ein funktionierendes Kontrollsystem dieser Gülleströme aber gibt es nicht. Davor warnt nicht nur die Arbeitsgemeinschaft Bäuerliche Landwirtschaft (taz berichtete). Auch die Landwirtschaftskammer – zuständig für die Einhaltung der Düngeverordnung – halte eine Überwachung für „kaum zu gewährleisten“, zitierte der Grünen-Politiker Meyer jetzt aus einem Schreiben an Agrar-Staatssekretär Friedrich-Otto Ripke von Januar 2011. Darin macht die Kasse auch auf die realen Viehzahlen aufmerksam. „Der Minister aber“, sagt Meyer, „reagiert nicht.“
Auf die Felder, warnt er, wird weit mehr Gülle aufgebracht, als sie aufnehmen können. Die Folge: steigende Grundwasserbelastung, wachsende Bedrohung durch multiresistente ESBL-Keime im Tierkot. Lindemann wolle diese Auswirkungen von Riesenmastställen „unter der Decke halten“, vermutet Meyer. Und fordert einen umgehenden Baustopp für Großställe sowie ein Güllekataster: flächengenau müssten Betriebe, die Dünger abgeben und aufnehmen erfasst werden – nicht nur, um Überdüngung zu verhindern, auch um nachvollziehen zu können, aus welchem Betrieb keimbelastete Gülle kommt.
Das Agrarministerium selbst bestätigte die Grünen-Zahlen auf Anfrage. Zu einer weiteren Stellungnahme war es am Freitag nicht in der Lage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Autoritäre Auswüchse beim BSW
Lenin lässt grüßen