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„Hive Mind“ von ItalDilettant auf dem Dancefloor

Noise, Dub, Disco und die repetitiven Strukturen elektronischer Tanzmusik fließen bei Ital selbstverständlich zusammen: Mit „Hive Mind“ ist sein Debütalbum erschienen.

Platz eins beim Wettbewerb „multiple Künstlerpersönlichkeit“: Ital. Bild: Planet Mu

Daniel Martin-McCormick legt sich nicht gerne fest. Als Gitarrist spielte der US-Amerikaner in der Hardcore-Band Black Eyes, ist Frontmann des Noisepop-Duos Mi Ami und solo unter dem Namen Sex Worker auf psychedelischen Trips zwischen Wave und Ambient unterwegs.

Als ob all das nicht schon ausreichen würde, beim Wettbewerb „multiple Künstlerpersönlichkeit“ Platz eins zu belegen, produziert McCormick unter dem Alias Ital seit einem Jahr Clubmusik, die allen Funktionalitätsdogmen des Dancefloors selbstbewusst eine Absage erteilt.

Mit „Hive Mind“ ist nun sein Debütalbum als Ital auf dem traditionsreichen britischen Label Planet Mu erschienen. Die Allianz des Washingtoners McCormick mit den Londonern ist mehr als passend: Planet Mu ist seit jeher offen für die Experimente der Außenseiter von der anderen Seite des großen Teichs – von den brachialen Breakcore-Orgien eines Venetian Snare, bis hin zu den ultraschnellen zerhäckselten Juke-Beats aus Chicago.

DancemusikproduzentInnen mit Bandhintergrund sind heute keine Seltenheit mehr. Das Besondere an Ital ist aber, dass beides für ihn keine gegensätzlichen Welten darstellen. Noise, Dub, Disco und die repetitiven Strukturen elektronischer Tanzmusik fließen bei ihm selbstverständlich zusammen. Viel ist momentan von einer Rückbesinnung auf dreckige Klangästhetiken im House die Rede. Gemeint ist damit die Abkehr von kühl und steril klingenden digitalen Produktionsweisen hin zu analogen Drummaschinen und Synthesizern, wie sie in den Achtzigern und Neunzigern en vogue waren.

Dieses neue Geschichtsbewusstsein mündet allzu oft in lähmendem Traditionalismus, der die Ursprungsmythen von House und Techno in Detroit und Chicago aufs immer Neue beschwört. Frische Impulse durch Außenseiter wie McCormick sind dringend nötig. Die ersten Ital-Produktionen auf dem tollen Label 100 % Silk aus Los Angeles entstanden mit der Gratis-Software „Audacity“ – ein Programm, über das seine technikbesessenen Kollegen nur müde lächeln würden.

Subtilität und Understatement - Fehlanzeige

Für sein Debütalbum ist Ital auf avanciertere Tools umgestiegen. Seine naive Verspieltheit ist einem düsteren Stimmungsbild gewichen, die rotzige Punk-Attitüde hat „Hive Mind“ aber keineswegs eingebüßt. Ital verzichtet auf mixfreundliche Dramaturgien und bedächtigen Aufbau, lässt seine Tracks immer wieder aus der Spur laufen, schafft Raum für störende Nebengeräusche. Statt als flüchtige Episode in einem DJ-Set könnte man sich die Musik viel eher auf einer Bühne vorstellen – live performt von einer Band.

Ein Track wie „Israel“ mit seinen blechernen Drums und der Länge von über zehn Minuten ist mehr Krautrock als House. Ein durchgängiger, tanzbarer Beat findet sich auf „Hive Mind“ selten – und wenn, dann ist er wie in „Floridian Void“ unter dicken Schichten glitzernder Synthesizer kaum noch wahrnehmbar.

Subtilität und Understatement sind McCormick fremd. Während viele ProduzentInnen elektronischer Musik noch immer auf Anonymität bedacht sind, sich bei Auftritten hinter Masken verstecken und möglichst keine Fotos an die Öffentlichkeit geben, tanzt Ital als blutverschmierter Zombie im trashigen Video zur Single „Only For Tonight“ oder lässt einen Track wie „Privacy Settings“ einfach in mehrstimmigem Wolfsgeheul ausklingen. Sein affirmativer Dilettantismus und sein Mut zur Offensichtlichkeit provozieren.

Passend, dass „Hive Mind“ mit einem Lady-Gaga-Sample beginnt – „It doesn’t matter if you love him“ ist aus ihrem Hit „Born this way“. Das Gaga-Zitat wäre auch auf McCormick selbst anwendbar – denn: ob er von der internationalen House- und Technoszene geliebt wird, scheint ihm herzlich egal. Solange dabei Musik wie auf „Hive Mind“ entsteht, darf das gerne so bleiben.

Ital: "Hive Mind" (Planet Mu/Cargo)

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