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Aufgewachsen im „Hotel Nirgendwo“Subtile Schmerzen

Aufwachsen als Teenager inmitten der Lügen des Jugoslawienkrieges: Der Debütroman der kroatischen Schriftstellerin Ivana Bodrozic.

War vielleicht Nirvana drauf. Die Leiden der Teenager gab es auch im jugoslawischen Bürgerkrieg. Bild: Rike. / photocase.com

Stramme kroatische Vaterlandsverteidiger müssen schon ganz schön nach Luft schnappen, wenn sie von einer aus Vukovar vertriebenen Teenagerin lesen, die während des Krieges die Schulterpolster der älteren Mädchen bewundert und Nirvana-Kassetten hinterherjagt, während ihr Vater wahrscheinlich Opfer der serbischen Paramilitärs wird.

Jene hatten Vukovar 1991 gemeinsam mit der jugoslawischen Volksarmee zerstört und kroatische Einwohner vertrieben und ermordet. Vukovar wurde offiziell zur „Heldenstadt“ ernannt, da die Einwohner – so der Mythos – dank ihrer aufopferungsvollen Verteidigung andere kroatische Städte vor einem ähnlichen Schicksal bewahrt hätten.

Doch die 1982 in Vukovar geborene Ivana Bodrozic beschreibt in ihrem Roman „Hotel Nirgendwo“ die Welt einer Teenagerin, in der nun mal echte Doc Martens und Levi’s-Jeans mehr bewundert werden als Kriegshelden. Ihre junge Protagonistin, deren Biografie an die der Autorin angelehnt ist, flieht mit ihrer Mutter und ihrem Bruder noch vor der Belagerung aus der Stadt. Wie viele andere wird sie in Hotels und Ferienanlagen, die wegen des Krieges leer standen, untergebracht.

Werden sie anfangs noch mit offenen Armen mitleidig oder bewundernd von den neuen Nachbarn empfangen, gelten sie irgendwann nur noch als Schnorrer. Sie verbringt ihre Teenie-Jahre im Hotel Zagorje im Hinterland Zagrebs. Nichts Sehnlicheres wünscht sie sich, als zwei Sätze zu hören: „Wir haben eine eigene Wohnung in der Stadt bekommen“ und „Papa ist am Leben“.

Der Roman „Hotel Zagorje“, so der Originaltitel, ist in Kroatien ein Bestseller. Sicher liegt der Erfolg auch daran, dass die Autorin als unverstellte Stimme der jungen Generation wahrgenommen wird, deren Jugend von serbischen Gräueltaten überschattet ist. Dabei ist Bodrozic subtiler. Sie stellt die Protagonistin nicht als bemitleidenswertes junges Opfer dar, ihr Schmerz wegen des in Vukovar gebliebenen und verschwundenen Vaters ist kein mit Ethnokitsch aufgeladener Erinnerungsballast.

Urban arroganter Humor

Ihre Protagonistin bewahrt urban arroganten Humor. Und immer mehr erkennt sie in der Sprache der Behörden, ihrer Lehrer und Mitschüler und in dem Verhalten ihrer Familie, dass sich hinter all den patriotischen Bekenntnissen – ihr Vater wird inzwischen offiziell zum „Helden“ geadelt – dicke Lügen türmen.

Die Autorin hat nach dem Erfolg ihres Romans immer wieder öffentlich Aufklärung über die Wahrheit des Krieges gefordert. Doch die Kroaten kämpfen weiterhin mit der offiziellen Version der „Schlacht von Vukovar“. Kürzlich veröffentlichten kroatische Medien die Aufzeichnung eines Telefonats zwischen dem damaligen Staatspräsidenten Franjo Tudjman und dem Kommandeur der Verteidigung Vukovars, Mile Dedakovic.

Dieser hatte gebeten, die Zivilisten, darunter 2.000 Kinder, aus dem Krankenhaus evakuieren zu dürfen. Doch der Präsident lehnte ab. Dedakovic wirft Tudjman vor, ein Symbol für seinen Opfermythos gebraucht zu haben. Der Vater von Ivana Bodrozic könnte eines dieser benötigten Opfer gewesen sein.

Ivana Bodrozic: „Hotel Nirgendwo“. Aus dem Kroatischen von Marica Bodrozic. Paul Zsolnay Verlag Wien 2012, 224 Seiten, 18,90 Euro.

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2 Kommentare

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  • D
    Danijel

    Sehr geehrte Frau Akrap,

    Das Buch ist gut, es ist aber eher die Suche nach der eigenen Vergangenheit und einem Sinn in der Gegenwart dieser Generation (zu der ich auch gehöre) als "aufräumen mit Mythen". Sie haben, wollen, oder können weder das Buch noch die Intention dahinter verstanden/verstehen. Es gibt keinen "Mythos" um Vukovar, diese Stadt war nicht zu halten, und sie vergessen, dass Kroatien zur gleichen Zeit nicht nur in Vukovar verteidigt wurde. Das Telefongespräch fand zu einem Zeitpunkt statt, in dem die Stadt kurz vor dem Fall, seit 40 Tagen in völliger Umkreisung war. Dass Dedakovic inmitten dieser Hölle die Weitsicht fehlte um zu erkennen, dass es weder möglich, noch verantwortlich wäre, Zivilisten aus der Stadt zu evakuieren, ignorieren sie. Die Jugoslawische Volksarmee hatte einen Monat vorher den Konvoi der Ärzte ohne Grenzen beschossen beim Versuch, Verletzte aus der Stadt zu evakuieren. Eine "Evakuation" sämtlicher Zivilisten hätte zu dem Zeitpunkt des Telefonats deren sicheren Tod bedeutet. Betrachten sie das Buch als das, was es ist, der Versuch einer Jungen Dame, mit ihrer Vergangenheit ins Reine zu kommen, dies ist, angesicht der Gräuel, welche sie erleben musste, weder einfach noch jemals vollständig möglich. Leider.

  • G
    Gast

    Der Autor greift Fälschungen auf und versucht damit natürliches Rechtsbewußtsein durch eine eigene Meinung bei den Lesern einzunehmen. Die sog. Telefongespräche sind aus dem Kontext gezogen und bei diesem Telefonat ging es überhaupt nicht um Vukovar und zu einem ganz anderen Zeitpunkt wie der Fall Vukovars. Es ist bewießen, dass die sog. Telefongespräche ein Aktion des serbischen Geheimdienstes sind um die Schuld des Krieges von Serbien zu weisen bzw. zu verringern. Der Agressor auf Vukovar waren serbische Paramilitärs unterstützt von der ganzen Militäraparatur Serbiens. Mehr gibts da nicht zu sagen außer, dass Hr. Sljivancan der für die Massaker in Vukovar zuständig war lediglich fünf Jahre Haft bekommen hat und der kroatische General Gotovina der Kroatien und die Enklave Bihac in Bosnien vor weiteren Massakern bewahrt hat 24 Jahre Haft bekommen hat. Anscheinend waren einige darüber verärgert in Europa, dass er Kroatien, Bihac und weite Teile Bosniens vor weiteren Massakern befreit hat.