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FankulturDas war die goldene Hertha-Ära

Von Schlachtenbummlern auf Holztribünen: Christian Wolter hat die Geschichte des Berliner Fußballs aufgeschrieben.

Hertha-Trainer Otto Rehhagel im Olympiastadion: Denkt er an die goldene Ära des Klubs vor 70 Jahren? Bild: dapd
Jens Uthoff
Jens Uthoff
Interview von Jens Uthoff und Jens Uthoff

taz: Herr Wolter, auf dem Tempelhofer Feld wird wieder Fußball gespielt – dort, wo alles begann.

Christian Wolter: Ja, ich habe davon gehört. Ein Bekannter erzählte mir, dass sie dort sogar wieder mit Torstangen aufs Feld gehen. Das hat mich natürlich gefreut, denn genau so sahen vor 130 Jahren die Anfänge des Berliner Fußballs aus. Dort auf dem Tempelhofer Feld fanden die ersten Spiele statt, mit herbeigeschleppten Torstangen.

Ihr Buch bildet das gesamte Berliner Fußballgeschehen von 1880 bis heute ab. Haben Sie in den letzten Jahren noch etwas anderes gemacht, außer für Ihr Stadionbuch in Archiven zu kramen?

Nein, denn das Buch sollte ja auch mal irgendwann fertig werden. Dieses Buch gab es aber noch nicht – also musste ich es wohl selbst schreiben.

Wie kam das Projekt zustande?

Angefangen hat es als reines Freizeitvergnügen. Später war ich dann beim Berliner Fan-Projekt angestellt.

Wie geht man bei der Suche nach Quellen vor, gerade bei Stadien oder Plätzen, die es schon seit Jahrzehnten nicht mehr gibt?

Ich habe erst mal alle Vereine mit interessanten Archiven, alle Berliner Heimatmuseen und die Zeitungsarchive abgeklappert. Wichtige Quellen waren frühe Sportblätter wie Sport und Spiel, Rasensport und natürlich die Fußball-Woche, die es seit 1923 gibt. Anfang der 1920er Jahre hatte Berlin drei Fußball-Wochenzeitungen, alle waren enorm hilfreich für mich.

War es schwer, an alte Dokumente heranzukommen?

Schwierig war es manchmal mit den Vereinsarchiven: Nicht allzu viele Vereine haben eins. Zum Glück haben mir auch Privatpersonen, Sammler, ehemalige Spieler und Fans geholfen, an Informationen zu kommen.

Christian Wolter

39, hat an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur in Leipzig Museologie studiert und seine Abschlussarbeit über ein Fußballstadion geschrieben.

Wie kamen Sie ausgerechnet zu Ihrem Interesse für Stadien?

Mich haben Stadien und die dortige Atmosphäre schon immer fasziniert. Über die Stadien in Berlin wollte ich forschen, weil hier die meisten Plätze sind. Außerdem hatte ich von manchen Stadien – etwa dem Preussenstadion auf dem Tempelhofer Feld oder dem Avus-Stadion – nur Vages gehört und wollte mehr darüber wissen. Vor fünf Jahren bin ich dann nach Berlin gekommen, in den letzten zweieinhalb Jahren konnte ich die Stadionchronik realisieren und mir damit einen Traum erfüllen.

Die Stadionsammlung folgt der Fußballgeschichte chronologisch?

Ja, die Plätze sind nach ihrer Eröffnung geordnet. Am Anfang des Bandes gibt es noch hauptsächlich Fotos aus der Kaiserzeit, im Mittelteil aus der Zwischenkriegszeit und zum Ende die verhältnismäßig wenigen Stadien, die nach 1945 erbaut wurden. Ein Großteil der im Buch vorgestellten Plätze, nämlich 22, entstand zu Kaiserzeiten, und 27 in der Weimarer Zeit.

Wie viele Stadien sind es insgesamt im Buch?

Die wichtigsten 66 Plätze haben eigene Kapitel, darunter etliche bereits verblichene Spielstätten. Erwähnung fanden noch ein paar mehr, und im Anhang sind alle Fußballplätze aufgeführt, die es derzeit in Berlin gibt – über 200.

Was war die spannendste Geschichte, auf die Sie während der Recherche gestoßen sind?

Am Spannendsten finde ich die Geschichte des einstigen Hertha-Platzes an der „Plumpe“. Dort konnte man nach der Erhöhung der Tribünen auch auf das benachbarte Spielfeld von Norden-Nordwest blicken. So sah man für sein Geld manchmal gleich zwei Spiele. Am 29. August 1931 gab es zwei besondere Matches: Auf dem Hertha-Platz spielte Tennis Borussia gegen Real Madrid, das ging 2:4 aus. Es hatte schon fast den Eventcharakter von heute, bei Real spielte Ricardo Zamora, der damals berühmteste Torwart der Welt. Etwa 30.000 Zuschauer waren bei diesem Spiel, während ein paar Meter weiter, gleich auf der anderen Straßenseite, die Arbeiterfußballer vom Dresdner SV und Sparta Lichtenberg (3:2) um die kommunistische Fußballmeisterschaft spielten. Die 15.000 Zuschauer dort sangen vor dem Anpfiff die Internationale und lauschten politischen Reden, in denen natürlich auch die Auswüchse des kapitalistischen Sports angeprangert wurden. Faszinierende Gegensätze.

Und von der Architektur her? Welches Stadion war da am interessantesten?

Auch hier war die „Plumpe“ mit ihren pyramidenartigen Zuschauerbergen für mich am Eindrucksvollsten. Die ersten Berliner Vereinsplätze mit Tribünen aus Holz fand ich auch toll, ebenso die antiken Radrennbahnen, in deren Innenräumen um die Jahrhundertwende Fußball gespielt wurde. Die Zuschauer strömten damals in Massen zum Radsport und ermöglichten so den Bau der Zementovale. Manche hatten im Innenraum auch ein Fußballfeld, wie der 1897 eröffnete Sportpark Friedenau, der damit das erste Berliner Fußballstadion war. Davon abgesehen fanden die meisten Spiele in Berlin damals aber noch auf Exerzierplätzen statt.

Welche Momente waren aus Ihrer Sicht prägend für die Berliner Fußballgeschichte?

Da kann ich keine einzelnen Momente aufzählen, es gab zu viele. Die goldene Ära der Hertha um 1930 war großartig, und die Derbys mit Tennis Borussia natürlich. Insgesamt finde ich die Zeit vor der Einführung der Bundesliga spannender. Da war die Berliner Oberliga noch die höchste Spielklasse, und es konnten auch mal Außenseiter Meister werden – etwa Vorwärts 90 und Alemannia 90 mit dem späteren Hertha-Star Hanne Sobek. Außerdem gefällt mir an den alten Fußballzeiten, dass sich das Zuschaueraufkommen noch auf viele Vereine verteilte. Aber die meisten gingen natürlich auch damals schon zu Hertha.

Haben Sie viel über die Geschichte der Fankulturen erfahren?

Ja, etwa, dass es Fankultur schon so lange wie Fußball und Zuschauer gibt. Nur statt „Fan“ sagte man früher Anhänger oder Schlachtenbummler. Immerhin gab es hierzulande schon in den frühen 1920er Jahren Sonderzüge zu Fußballspielen. Es gab auch schon Stofffahnen in den Vereinsfarben und mit Emblem drauf, wie man auch auf alten Aufnahmen von DFB-Endspielen sehen kann.

Welchen Teil der Sportgeschichte erforschen Sie als Nächstes?

Ich forsche gerade zum Arbeiterfußball in Berlin. Ebenfalls ein lohnendes Thema, zu dem noch nicht viel veröffentlicht wurde.

Gibt es dazu ein Buch?

Ich hoffe doch – dieses Thema ist genauso spannend wie die Geschichte der Berliner Fußballplätze!

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