Die Eigentumsfrage: ExRotaprint: Bis das Eigentum verschwindet
Das Weddinger Fabrikgelände die Mutter aller Stadtprojekte, weil Daniela Brahm und Les Schließer so beharrlich waren.
„Wenn wir ein Kunstprojekt wären, wäre das hier eine Galerie.“ Les Schließer führt durch einen hellen Raum mit zahlreichen Oberlichtern. „Wir sind aber kein Kunstprojekt – deswegen gibt es in diesen Räumen eine Schule, die sich um Schulschwänzer kümmert.“
Das mit dem Kunstprojekt ExRotaprint hören Schließer und seine Kollegin Daniela Brahm immer wieder. Offenbar gibt es da die Vorstellung, dass ein Verein, der sich in einem zähen Kampf gegen den Liegenschaftsfonds durchgesetzt hat, nur aus Künstlern bestehen kann. Dabei gilt in der Weddinger Gottschedstraße die Drittelregelung, wie Schließer es formuliert: „Ein Drittel der Mieter sind soziale Projekte, ein Drittel normale Gewerbetreibende, und nur das letzte Drittel sind Künstler und Ateliers.“
Vor fünf Jahren gab es im Wedding ein Happy End. „Kunst schlägt Kapital“, titelte die taz, zuvor hatte der Liegenschaftsfonds klein beigegeben. Das Gelände der ehemaligen Druckerei mit der markanten Architektur der 50er Jahre wurde nicht an einen dänischen Investor verkauft, sondern an die Stiftungen Trias und Edith Maryon. Die wiederum vergaben das 36.000 Quadratmeter große Gelände in Erbpacht an den gemeinnützigen Verein ExRotaprint. „So haben wir dieses Stück Wedding dem Immobilienmarkt entzogen“, freut sich Daniela Brahm noch immer. ExRotaprint ist seitdem so etwas wie die Urmutter aller „Die Stadt gehört uns“-Projekte.
Wie geht es weiter, wenn man gewonnen hat? „Dann geht die Arbeit erst richtig los“, sagt Brahm. Nur jeder zweite Gewerberaum war 2007 vermietet, inzwischen steht nichts mehr leer. 1,8 Millionen Euro hat der gemeinnützige Verein, den die Künstler Schliesser und Brahm zusammen mit den Architekten Benjamin Hummel und Oliver Clemens führen, seitdem in die Sanierung gesteckt. „Dennoch halten wir unser Mietniveau“, sagt Brahm. „Wir liegen zwischen drei Euro und 4,50 Euro pro Quadratmeter Nettokaltmiete.“
Wenn Brahm und Schließer über ExRotaprint reden, wimmelt es nur so von Zahlen, Bilanzen und Projektideen. Gerne würden sie auf den Brachflächen zwischen der Gottsched- und der Wiesenstraße sozialen Mietwohnungsbau realisieren. Ein Grundstück haben sie schon gekauft – vom Liegenschaftsfonds. Es war ein Ladenhüter, weil es keinen Zugang zur Straße hat.
Die Projektarbeit hat aber auch ihren Preis. „Die Zeit, die wir im Atelier verbringen, ist selten geworden“, sagt Daniela Brahm und lächelt. Längst habe sie es sich abgewöhnt, Kunst und Projekt voneinander zu trennen. „Meine Kunst entsteht nun nicht mehr im Atelier – das Projekt ist die Kunst.“ Schließer ergänzt: „ExRoptaprint ist eine soziale Plastik.“ Er sagt es mit der Betonung auf sozial, nicht auf Plastik.
Gegenüber der Kantine trinken die Mitarbeiter einer Schreinerei ihr Feierabendbier, einen Hof weiter hängen Jugendliche herum. Im sozialen Brennpunkt Wedding ist ExRotaprint keine Insel der Glückseligkeit, vielmehr hat es sein Gelände dem Kiez geöffnet. „Das bedeutet aber auch, dass wir, wenn es Bambule gibt, die Polizei rufen“, sagt Brahm. Ihr Kollege ergänzt: „Das ist oft die einzige Sprache, die die Jugendlichen verstehen.“ Dennoch fühlen sie sich wohl im Wedding. „Dass es hier immer mehr Kunstprojekte wie die Gerichtsstraßenhöfe gibt, macht uns Sorge“, sagt Brahm.
Es gibt sie also doch noch, die Berliner Mischung. Doch wie geht das zusammen, Künstler, Jugendliche aus dem Kiez und Gewerbetreibende? „Für die sozialen Projekte und die Gewerbetreibenden sind wir oft ganz normal der Vermieter“, sagt Daniela Brahm. „Einer Genossenschaft wären die gar nicht beigetreten.“ Les Schließer ergänzt: „Selbstverwaltung führt oft zur Homogenisierung. Wir wollen aber die Heterogenität stärken.“
Das macht ExRotaprint auch für andere Projekte interessant. „Die Führungen über das Gelände werden immer mehr“, freut sich Daniela Brahm. Vor allem Architekturstudenten aus ganz Europa kommen immer wieder in den Wedding, aber auch Interessierte, die selbst ein Projekt starten wollen. Denen sagt Brahm dann: „Das, was die Stiftungen für uns gemacht haben, ist eigentlich Job des Senats.“
Der Erbpacht, glauben die Macher von ExRoptaprint nach fünf Jahren, gehört die Zukunft. Les Schließer hat dazu eine griffige Parole geprägt: „Hier wird der Begriff von Eigentum so lange abstrahiert, bis er verschwindet.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!