Kolumne Teilnehmende Beobachtung: Eine Rettungsinsel im Betongold

Rasterfassaden, Schießschartenfenster: Unsere Autorin bedauert, dass viele Gebäude, die zuletzt in bester Citylage gebaut wurden, Arschglatt und einfallslos sind.

Blick auf die Fassade des Bundesnachrichtendienstes in Mitte

Mutter der Schießschartenarchitektur: der Bundesnachrichtendienst in der Invalidenstraße. Foto: dpa

Kürzlich war ich zu einer Preisverleihung im Palais am Funkturm eingeladen. Also zog ich eine schöne Bluse an und fuhr mit der Ringbahn zum ICC. Feierlich verliehen wurde neben dem Berliner Architekturpreis der Julius-Berger-Preis für unternehmerische Initiativen zur Stadtentwicklung.

Im Publikum saßen Architekten und Bauherren, Bausenator Andreas Geisel und in der letzten Klappstuhlreihe wir, eine Gruppe befreundeter Mieter, die jetzt kräftig die Daumen drückte. Nominiert waren nämlich auch unsere Vermieter, die Gesellschafter von ExRotaprint, einem aufs Gemeinwohl orientierten Mieterprojekt in einem sogenannten Weddinger Brennpunktkiez, in dem ich ein paar Jahre lang mein Büro hatte.

Auf der Bühne sprach Bausenator Geisel ein Grußwort. „Nur Mut, trauen Sie sich“, forderte er die Architekten und Bauherren zum kreativen Bauen heraus. Berlin sei schließlich wild und spannend, sagte er. Auch müsse die Stadt aufpassen, dass sie nicht zu glatt werde. Glatt, sagte Geisel. Arschglatt hätte er eigentlich sagen müssen, denn was zuletzt vielerorts in Berlin gebaut wurde, ist so faltenfrei, so eindimensional und so poliert, dass man beim bloßen Anblick auf die Fresse fällt.

Auf meinem Radweg zur taz fahre ich, aus Wedding kommend, ein Stück durch die neue „Europacity“. Dort bebauen Investoren wie die Groth Gruppe oder die CA Immo die schönen Brachen mit Bürotowern und exklusiven Eigentumswohnungen. Auf den Freiflächen rund um den Hauptbahnhof sind Hotels, Bürogebäude und Ministerien entstanden.

Betonblabla statt schöpferischer Architektur

Ein schönes Experimentierfeld für visionäres Bauen, könnte man denken, noch dazu in bester Citylage. Doch erschöpft sich der Einfallsreichtum der Architekten und Bauherren fast ausschließlich in hochgeschossigem Betonblabla mit sandsteinfarbener Rasterfassade und unzähligen Schießschartenfenstern. Individuelle Bauwerke, etwa mit skulpturaler Architektur oder begrünten Dachgärten, sieht man nicht, auch keine Cafés oder Kioske im Parterre – stattdessen Jalousien, Kameras und Poller.

Ein befreundeter Architekt erzählt mir, dass die Rasterbauweise mit Betonfertigteilen bei Architekten gerade voll im Trend liege. So könnten die Häuser derart optimiert werden, dass sie später für alles Mögliche nutzbar sind.

Womit wir bei der Frage der Nutzung wären. Denn wer soll in diesen Glas- und Betonklötzen wohnen, arbeiten oder Urlaub machen? Geringverdiener, Rentner, Studenten oder Flüchtlinge wohl eher nicht. Wie aber passt das zur Arm-aber-sexy-Hauptstadt mit Wohnungskrise und derzeit 80.000 Neuberlinern jährlich?

Die Stadtentwicklungspioniere von ExRotaprint haben auf diese Fragen mutige Antworten gefunden.

Ihre denkmalgeschützte Industriebrache richtet sich gegen den Profit durch Eigentum an Grund und Boden und ist offen für alle gesellschaftlichen Gruppen, seien es Künstler, Unternehmer, Schulabbrecher oder deutschlernende Migranten aus der Nachbarschaft. Eine Rettungsinsel im Betongold also.

Im Palais des ICC wird dieser Mut belohnt: ExRotaprint gewinnt den Julius-Berger-Preis. Die letzte Klappstuhlreihe jubelt vor Freude.

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Jahrgang 1980. Seit August 2014 in der taz. Leitet zusammen mit Klaus Hillenbrand das Ressort taz.eins, das die ersten fünf Seiten der Tageszeitung verantwortet. War vorher als Autorin für verschiedene Tageszeitungen und Magazine tätig, entwickelte Konzepte für diverse Publikationen und war Chefredakteurin des unabhängigen Magazins für Alltagskultur "Der Wedding". Schreibt gern über Ostdeutschland, Postkolonialismus und Alltagskultur. Aufgewachsen auf der Insel Rügen.

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