Die Wahrheit: Giraffen als Elektriker
Ein waberndes Netzwerk, das von Ideen überläuft. Ökonomisch lebt der Westen auf täglich dünner werdendem Zahnfleisch. Sein jahrhundertealter Optimismus ist verdampft.
Ökonomisch lebt der Westen auf täglich dünner werdendem Zahnfleisch. Sein jahrhundertealter Optimismus ist verdampft, der weiße Mann sieht in die Zukunft als einen Abgrund, der ihn aufzufressen droht. Aber pfeift der Westen auch intellektuell auf seinen letzten Löchern? Rollt der Geist des Abendlands aufs Aus zu? Die Antwort lässt sich an einem Finger abzählen: Nö!
Die alten Wege zwar sind ausgeleiert. Doch auf Kongressen von Aspen, Colorado, bis Zurich, Switzerland, treffen sich hunderte gegen den Strich gebürstete Meisterdenker, die mit bunten Theorien, Thesen und Erfindungen in die Welt von morgen leuchten; in weltweit verwurzelten Netzwerken arbeiten Idealisten, Wissenschaftler und Propheten, die von Ideen geradezu überlaufen.
Ein Beispiel ist TED, was „Technology, Entertainment, Design in English please“ geschickt abkürzt: ein pralles Nonprofitunternehmen, in dessen Konferenzen von Long Beach bis Edinburgh jeder, der einen nagelneuen Gedanken im Rucksack hat, für 7.500 Dollar Teilnahmegebühr seine Nase reinhängen darf.
Da ist der australische Ökonom, demzufolge der Hunger in Afrika weggeblasen wäre, wenn die Farmen so groß gemacht würden, dass sie von einem Ochsen bewirtschaftet werden könnten, wenn der Ochse so groß wäre wie zehn ausgewachsene Traktoren von Massey Ferguson.
Da ist der Erfinder aus USA, der mit Spucke betriebene Autos konstruiert und bereits ein Patent auf allen Speichel der Welt erworben hat.
Da ist die südafrikanische Tierpflegerin, die erkannt hat, dass es für große Wildtiere wenig Möglichkeiten in unserer Gesellschaft gibt, und deshalb dafür wirbt, dass junge, lernfähige Giraffen zu Elektrikern umgeschult werden, die bei der Instandhaltung von Straßenlaternen und Hochspannungsleitungen eingesetzt werden und so ihre Brötchen verdienen können, ohne der Allgemeinheit auf der Tasche zu liegen.
„Voraussetzung bei alledem ist immer, dass der eigene Kopf englisch tickt“, bemängelt Edmund Schlaucher, ein Mann in deutscher Strickjacke und den besten Jahren. Seine Antwort: ein eigenes, kreativ brummendes Netzwerk, das TEBiWi. „Das steht für Technik, Ernst, Bildung, Wissenschaft!“, erläutert Schlaucher und platzt vor Kritik:
„Die Angelsachsen bringen in Wahrheit null Fantasie auf die Waage. Ihnen geht es nur um die Ausschöpfung der letzten Ressourcen und die Perpetierung, nee, Perpedings, na, die Haltbarmachung des Kapitalismus bis in die Puppen. Wir aber“, schöpft Schlaucher tief Luft in sich hinein, „wollen für die wirklich großen Fragen der Menschheit die noch größeren Lösungen finden.“
Gerade fand auf dem Hohen Meißner in Nordhessen das erste von ihm angezettelte Werkstatt-Treffen deutsch gebauter Spitzenhirne statt. Schlaucher: „Wir helfen zum Beispiel der festgefahrenen Mathematik auf die Sprünge und suchen die Zahl Super-Pi. Wir gehen der Astronomie zur Hand und erforschen, ob es Menschen außerhalb des Universums gibt.“
Den Einwand, das schmecke ein wenig weltfremd, entkräftet Schlaucher wie geschmiert. Man denke durchaus praktisch: „Wir überlegen beispielsweise, wie man auf die Erde zurasende Asteroiden in Wattebäusche verwandeln kann. Oder prüfen, wie man schwarze Löcher abdichten kann. Sie wissen, im Zentrum der Milchstraße sitzt so ein Mistvieh, dass uns alle über kurz oder lang verschlingen will, allen Beteuerungen zum Trotz!“
Nichts anderes als der Mensch steht im tiefsten Fokus von TEBiWi. „In Afrika wollen wir Strom essbar machen“, serviert Schlaucher ein unmittelbar nützliches Projekt. „Wir wollen Kühe erschaffen, die Ferkel gebären und die weltweite Versorgung mit lecker Schweinefleisch sichern helfen.
Wollen sprechende Zimmerpflanzen züchten, um einsamen Alten eine Ansprache zu ermöglichen – eine konkrete Aufgabe angesichts der demografischen Entwicklung!“, schraubt Schlaucher seine Begeisterung höher: „Wir experimentieren mit einer Brille zum Hören, extra für Leute mit einer Hörgeräte-Allergie! Arbeiten an der Riechbarmachung von Rembrandt-Bildern für Blinde! Erfinden ein Handy mit Geschlechtsöffnungen!“
TEBiWi treibt also nicht nur gewöhnliche Grundlagenforschung – etwa für einen Zeitverkürzer, einen Raumverstülper oder einen Dimensionenmultiplikator –, sondern widmet sich kopfüber auch schwierigen Alltagsproblemen. „Ein Programm, mit dem Eltern das Aussehen ihres Kindes bestimmen können, ist im Ansatz fertig da“, trumpft Schlaucher dick auf: „Überhaupt die Medizin! Ich sage nur: Morbus Kafka.
Was meinen Sie, wie viel Ungeziefer wir schon zu einer menschenähnlichen Existenz in Wirtschaft und Politik verholfen haben!“ Allen Kritikern aber, die seine selbstlosen Motive anzweifeln, nimmt er den Motor aus den Segeln: „Wir arbeiten bereits an einem zweiten Urknall für eine bessere Welt!“
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