Anschlag in Italien: Im Land der Sacra Corona Unita
Ein junges Mädchen wird bei einem Anschlag in Brindisi getötet, sechs Menschen werden verletzt. Das Tatmotiv gibt Polizei und Beobachtern viele Rätsel auf.
ROM taz | Nach dem Bombenanschlag vor einer Berufsschule im süditalienischen Brindisi steht Italien unter Schock. Ein 16-jähriges Mädchen starb am Samstagmorgen bei der Explosion, sechs weitere Mädchen wurden zum Teil schwer verletzt.
Noch am gleichen Tag fanden im ganzen Land Trauer- und Protestkundgebungen statt, während vor allen öffentlichen Gebäuden die Fahnen auf Halbmast gesetzt wurden. Über Ursache und Hintergrund der Tat herrscht völlige Unklarheit.
Kurz vor Unterrichtsbeginn war wie jeden Tag eine Gruppe von Schülerinnen mit dem Bus aus der nur dreizehn Kilometer von Brindisi entfernten Kleinstadt Mesagne vor der Schule eingetroffen, als um 7.42 Uhr drei Gasflaschen detonierten.
Wie heftig die Explosion war, zeigte sich daran, dass Stücke der Gasflaschen noch in 600 Meter Entfernung gefunden wurden. Die 16-jährige Melissa Bassi war sofort tot, während sechs ihrer Gefährtinnen zum Teil schwerst verletzt wurden; ein Opfer schwebt in Lebensgefahr.
Ein mafiöser Hintergrund?
Die Modalitäten des Attentats sprechen für einen terroristischen Hintergrund, zugleich ist jedoch völlig unklar, wer die Bombe gelegt hat. In Brindisi wie auch in großen Teilen der Region Apulien ist seit Jahrzehnten die Sacra Corona Unita aktiv, die sogenannte vierte Mafia neben der sizilianischen Cosa Nostra, der kampanischen Camorra und der kalabresischen ’Ndrangheta. Deshalb schossen in Italiens Medien sofort Spekulationen über einen möglichen mafiösen Hintergrund der Bluttat ins Kraut.
Auffällig ist in der Tat, dass die Berufsschule mit Zweigen für Sozialarbeit, Tourismus und Mode, vor der die Gasflaschen explodierten, nach Francesca Laura Morvillo Falcone benannt ist, der Ehefrau des Richters Giovanni Falcone, mit dem zusammen sie durch eine Mafiabombe vor 20 Jahren getötet wurde. Und, dies ist die zweite Auffälligkeit, das Datum jenes Anschlags auf Falcone jährt sich ausgerechnet in dieser Woche, am 23. Mai.
Weitere Spekulationen ranken sich um Mesagne, die Heimatstadt der Opfer. Mesagne gilt als Hochburg der Sacra Corona Unita, und in den letzten Wochen wurden hier zahlreiche Mafiosi verhaftet, gab es zugleich einen Brandanschlag auf das Auto des Präsidenten der örtlichen Vereinigung gegen die mafiöse Schutzgelderpressung.
Spontane Trauerkundgebungen
Zugleich aber geben sich namentlich nicht genannte Fahnder aus Polizei und Geheimdiensten, die zum Beispiel in der Tageszeitung La Repubblica zu Wort kommen, überzeugt, dass die Mafia-Spur nicht trägt. Mafiöse Organisationen haben kein Interesse daran, in ihren Heimatregionen durch terroristische Aktionen ein generelles Klima der Angst zu schaffen; sie wählen ihre Opfer gezielt aus und setzen zugleich auf den Konsens derer, die sich mit den Mafiosi arrangieren.
Unterschiedsloser Terror würde einerseits die Bevölkerung gegen sie aufbringen – und andererseits für eine massive Erhöhung des Fahndungsdrucks vor Ort sorgen, an der die lokalen Mafiosi keinerlei Interesse haben können.
Als ausgeschlossen gilt auch ein politischer Hintergrund von links oder rechts außen. Keinerlei Verbindung des Attentats zu den Anschlägen der letzten Woche auf Büros der staatlichen Steuereinzugsgesellschaft oder auch zu der Aktion gegen einen Manager der Nuklearindustrie, dem anarchistische Täter vor zwei Wochen in die Beine schossen, ist erkennbar. Deshalb hält die Polizei es auch für möglich, dass sich hinter dem Anschlag ein Einzeltäter verbirgt.
Im ganzen Land gingen noch am Samstag Menschen auf die Straße, um gegen das Attentat zu protestieren. In Brindisi kamen 10.000 Personen zusammen, die ihrer Wut auch dadurch Luft machten, dass sie örtliche Politiker und den Bischof der Stadt auspfiffen. Aber auch in Rom, Mailand, Palermo, Florenz und anderen Städten fanden spontane Trauerkundgebungen statt. Die Regierung reagierte ihrerseits, indem sie die für Samstag geplante „Nacht der Museen“ im ganzen Land absagte.
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