AUSLÄNDERPOLITIK : Brachial gegen Flüchtlingskinder
Verstöße gegen die UN-Kinderrechtskonvention monieren Flüchtlingsinitiativen in Niedersachsen. Der Fall Salame könnte Thema der UN werden.
HANNOVER taz | Verletzungen der UN-Kinderrechtskonvention werfen Flüchtlingsinitiativen Niedersachsens Landesregierung vor. Mit einer „brachialen Abschiebungspolitik“ würden die Rechte von Flüchtlingskindern „häufig mit den Füßen getreten“, erklärte der Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsens, Kai Weber, am Mittwoch in Hannover. Pro-Asyl-Vorstand Heiko Kauffmann kritisierte, Niedersachsen stelle ausländerrechtliche Maßnahmen über das Kindeswohl.
Durch Abschiebung getrennte Familien, Kinder, die in Deutschland mit nur einem Elternteil aufwachsen müssen, all das komme in Niedersachsen immer wieder vor, führen Flüchtlingsrat und Pro Asyl an. Auch Lothar Krappmann, langjähriges Mitglied des Ausschusses der Vereinten Nationen für die Rechte der Kinder, spricht von „besonders krassen Fällen“, die sich in Niedersachsen ereignen. Der Schutz, den die UN-Kinderrechtskonvention bieten soll, sei hier nicht immer geboten.
Als konkrete Beispiele verweisen die Initiativen auf Fälle wie den der kurdisch-yezidischen Familie Naso: Mitten in der Nacht waren der damals 16-jährige Anuar und sein Vater Anfang 2011 in ihrer Wohnung im Landkreis Hildesheim festgenommen worden. Mutter und Schwester blieben zurück. Noch in der selben Nacht wurden Vater und Sohn nach Syrien abgeschoben – und in Damaskus sogleich verhaftet. Nach einem Monat in Haft samt Misshandlungen kam Anuar frei. Laut Flüchtlingsrat flohen die beiden erneut und sitzen heute in Bulgarien fest.
Und auch der Fall Gazale Salame bleibt unvergessen: Erst im Februar demonstrierten in Hildesheim rund 100 Menschen für die Rückkehr der Kurdin, einen entsprechenden Appell an Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) haben neben anderen Ex-Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) und der Vorsitzende des Bundestags-Menschenrechtsausschusses, Tom Koenigs (Grüne) unterschrieben.
Die UN-Kinderrechtskonvention, die Standards zum Schutz von Kindern weltweit festlegt, wurde schon 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen ratifiziert und trat 1992 in Deutschland in Kraft.
Rechte wie das auf Gesundheit, Bildung, gewaltfreie Erziehung oder das Spielen sind in der Konvention festgelegt.
Im Ausländerrecht galt die Konvention zunächst nur unter Vorbehalt, erst 2010 akzeptierte sie die schwarz-gelbe Bundesregierung auch dort.
Seitdem gilt: Das Kindeswohl ist stets zu beachten - bei allen Maßnahmen, die "Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichte, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorgane" treffen.
2005 war Salame nach 17 Jahren in Deutschland schwanger mit ihrer jüngsten Tochter aus Hildesheim in die Türkei abgeschoben worden – während ihr Mann die beiden älteren Kinder zur Schule brachte. Ihre Mutter wisse weder, wie sie aufgewachsen sei noch was ihre Lieblingsfarbe ist, sagt Salames heute 15-jährige Tochter am Mittwoch in Hannover. Und dass ihre Familie nicht mehr verlange „als ein glückliches Zusammenleben“. Lothar Krappmann kündigte an, den Fall Salame im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens vor dem UN-Ausschuss für Kinderrechte vorzutragen.
In Niedersachsens Innenministerium verweist man zu den einzelnen Fällen an die zuständigen Ausländerbehörden. Die UN-Kinderrechtskonvention aber, erklärt eine Sprecherin von Innenminister Uwe Schünemann (CDU), sei eine „völkerrechtliche Vereinbarung“ ohne „unmittelbare Rechtswirkung“. Die Unterzeichnerstaaten müssten ihre Rechtsordnung lediglich den Anforderungen der Konvention anpassen. Und auch bei den Entscheidungen der Ausländerbehörden, beteuert sie, sei das Kindeswohl stets ein „besonders gewichtiger Gesichtspunkt“.
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