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TarifstreitStrafarbeit für Streikende

Die Oldenburger Nordwest-Zeitung beschäftigt 80 ihrer 400 Mitarbeiter in einem Leiharbeitsverhältnis. Die Mitarbeiter kämpfen für gleiche Gehälter. Jetzt eskaliert der Konflikt.

Protest gegen Leiharbeit: Journalisten der Nordwest-Zeitung vor dem Verlagsgebäude. Bild: Maik Nolte

OLDENBURG taz | Als die Oldenburger Nordwest-Zeitung neulich über die heiße Phase der Metall-Tarifverhandlungen berichtete, schrieb sie: Die „seit langem heftig umstrittene Leiharbeit“ entwickle sich „zum entscheidenden Knackpunkt“. Richtig erkannt – aber die Transferleistung lässt auf sich warten. Denn im eigenen Haus ist die Leiharbeit ebenso heftig umstritten, längst ist sie Knackpunkt dort, aber die Geschäftsführung des Verlages, der auch Anzeigenblätter und Zeitungsmäntel herausgibt und an Radio- und TV-Sendern beteiligt ist, will auf ihre Vorzüge nicht verzichten. Weil sie den auf Rendite bedachten Managern so ungemein lukrativ erscheinen: gleiche Arbeit, weniger Lohn.

Zur Zeit tobt – so kann man es angesichts der jüngsten Eskalation sagen – ein heftiger Streit um die Leiharbeit im Hause NWZ. Seit Jahren schon hält der Verlag 80 seiner insgesamt 400 Mitarbeiter in einem Leiharbeitsverhältnis, dafür hat er sogar eine eigene Firma gegründet – die Nordwest Personaldienstleistungsgesellschaft, kurz NWP. Der Effekt: NWPler machen die genau gleiche Arbeit wie NWZler, bekommen dafür aber laut Gewerkschaft Ver.di bis zu 2.000 Euro weniger Bruttolohn.

Im August 2011 hatte sich die Nordwest-Zeitung aus dem Flächentarifvertrag für Tageszeitungen verabschiedet, weil sich der Verlegerverband mit seiner Forderung nach geringeren Löhnen für Berufseinsteiger nicht hatte durchsetzen können. Seither ist der Verlag ohne Tarifbindung – und möchte im eigenen Hause durchsetzen, was der Tarifvertrag nicht gestattet.

Zwar wolle man, so vermeldete es das Blatt, den „Umweg“ Leiharbeit beenden, doch das wurde von Gewerkschaftern schnell als „Etikettenschwindel“ identifiziert. Hausintern wolle die Geschäftsführung die niedrigeren Löhne der Leiharbeiter auch ohne ihre Leiharbeitsfirma erhalten – was die Journalistengewerkschaften Ver.di und DJV verhindern möchten. Sie fordern einen Haustarifvertrag, der alle NWZler nach dem Tarifvertrag bezahlt.

Dafür streiken die Mitarbeiter seit Wochen immer mal wieder; dann stehen einige Dutzend von ihnen vor dem betongrauen Pressehaus in der Oldenburger Innenstadt und fordern den „Haustarif jetzt!“, weil: „Qualität gibt’s nicht zum Nulltarif!“ In den Büros wird derweil verhandelt, wobei sich die NWZ-Geschäftsführer als Adjutanten jenen Münchner Rechtsanwalt geholt haben, der die Absenkung des Tarifniveaus mit Hilfe von Leiharbeitern in einem Aufsatz „als alternative oder flankierende Maßnahme zum Personalabbau“ beschrieben hatte.

Derzeit stocken die Verhandlungen, weil die Geschäftsführer erst dann weiter mit den Gewerkschaften reden wollen, wenn die eine dauerhafte Absenkung der Gehälter akzeptieren. Für die unerfüllbar.

Die Nordwest-Zeitung

Das Blatt: Die Oldenburger Nordwest-Zeitung ist mit 119.337 verkauften Exemplaren die größte Tageszeitung im nordwestlichen Niedersachsen. Sie vertreibt auch diverse Anzeigenblätter und produziert für mehrere Zeitungen überregionale Mantelseiten, außerdem ist sie an Radio- und Fernsehsendern beteiligt.

Der Streit: Im Sommer 2011 ist die Nordwest-Zeitung aus dem Flächentarifvertrag für Tageszeitungen ausgeschieden. Seither möchte der Verlag schlechtere Bedingungen hausintern durchsetzen. Dazu zählen geringere Gehälter für die Mitarbeiter, die bislang als Leiharbeiter über eine hauseigene Leiharbeitsfirma angestellt sind. Gewerkschaften wollen das durch einen Haustarifvertrag verhindern. Sie fordern gleiche Löhne.

Am vergangenen Freitag teilte die Gewerkschaft Ver.di mit, der Konflikt eskaliere, die NWP-Leiharbeiter im Hause NWZ seien „zur Strafarbeit verdonnert“ worden. Noch während einige von ihnen mit den fest angestellten Kollegen auf einem Streik-Spaziergang in der Oldenburger Innenstadt weilten, um den Menschen dort ihre Lage publik zu machen, erhielten sie per Mail und SMS Nachricht von ihrem Arbeitgeber, der Leiharbeitsfirma NWP: Sie hätten sich am Tag darauf, Pfingstsamstag, bei anderen Einsatzbetrieben zu melden – auf ausdrücklichen Wunsch des „Kunden NWZ“, wie Ver.di erfuhr.

Kein freier Tag also für die Leiharbeiter, stattdessen Dienst bei Anzeigenblättern wie dem Oldenburger Hunte-Report und dem Sonntags-Report im ostfriesischen Leer, die beide zur NWZ gehören. Eventuell müssten sie dort klingeln, damit sie auch eingelassen würden. Laut ihrem Leiharbeitsvertrag ist dieser Umgang erlaubt: „Jederzeit“, heißt es dort, könnten sie anderswo eingesetzt werden – weshalb sie dem Arbeitsauftrag auch folgten.

Ver.di-Tarifsekretär Matthias von Fintel spricht von „verächtlichen Mitteln“, mit denen der Verlag hantiere. Um nicht als Streikbrecher eingesetzt werden zu können, genießen Leiharbeiter nämlich ein Leistungsverweigerungsrecht. Fraglich auch, wie „Strafarbeit“ mit den NWZ-Unternehmensgrundsätzen vereinbar sei, in denen vom „wertschätzendem Umgang“ die Rede ist.

Die Verlagsgeschäftsführer der Nordwest-Zeitung ließen eine Mail mit Fragen zu dem Fall unbeantwortet. Streikende Leiharbeiter allerdings wurden zum Gespräch einbestellt.

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3 Kommentare

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  • D
    duder

    Den Artikel gibt es sogar im Netz:

    http://pastehtml.com/view/bzx05c3c6.html

     

    Interessant, was da steht:

    > Die Reformen des AÜG haben einerseits die

    > Einsatzmöglichkeiten für Leiharbeit flexibilisiert,

    > andererseits durch die Einführung des

    > Gleichbehandlungsgebots zwischen Leiharbeitnehmern

    > und der Stammbelegschaft im Entleiherbetrieb

    > ("equal pay") auf den ersten Blick starre Regeln

    > für die Nutzung von Leiharbeit festgelegt.

    > Allerdings ist das Gleichbehandlungsgebot

    > tarifdispositiv. Inzwischen existieren einschlägige

    > Branchentarifverträge, so dass auch diesbezüglich

    > die notwendige Flexibilität wieder hergestellt

    > scheint. Vor diesem Hintergrund stellt der folgende

    > Beitrag das Modell vor, nach dem Unternehmen eigene

    > Arbeitnehmerüberlassungsgesellschaften gründen, von

    > denen sie Arbeitnehmer entleihen, um sie im

    > internen Produktionsprozess einzusetzen. Dieses

    > Modell dient auch dazu, auf wirtschaftliche

    > Schwierigkeiten nicht (allein) mit Personalabbau zu

    > reagieren, sondern setzt den Hebel an den hohen,

    > meist in besseren Zeiten vereinbarten

    > Flächentarifleistungen an. Die Autoren erläutern

    > die rechtlichen Zulässigkeitskriterien für dieses

    > Modell.

     

    Ich finde es sehr verantwortungsbewusst und vorbildlich, dass die Autoren versuchen, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden…

  • D
    duder

    @wauz

     

    Melms, Christopher/Lipinski, Wolfgang (2004): Absenkung des Tarifniveaus durch die Gründung von AÜG-Gesellschaften als alternative oder flankierende Maßnahme zum Personalabbau. In: Betriebs-Berater, Jg. 59, H. 44. S. 2409-2417.

     

    http://www.bblaw.com/de/lawyers-offices/lawyers-detail/Christopher_Melms/?no_cache=1

     

    http://www.bblaw.com/de/lawyers-offices/lawyers-detail/Wolfgang_Lipinski/?no_cache=1

  • W
    wauz

    Der Münchener Rechtsanwalt - er hat einen Namen. Wenn er schon Aufsätze veröffentlicht, braucht er sich auch nicht zu scheuen, den in der Zeitung lesen zu müssen. Jeder handelt auf eigene Verantwortung - auch Anwälte...