piwik no script img

AKW-Ausbau im tschechischen TemelinBürgerbeteiligung als Pseudoverfahren

Gegen den Reaktorneubau in Tschechien legen auch Deutsche Einspruch ein. Es gibt etwa 30.000 Einwendungen. Das deutsche Umweltministerium hält sich derweil raus.

Streit um Strom: Das Atomkraftwerk Temelin liegt 60 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Bild: dapd

BERLIN taz | Auf dem Papier sind die Rechte klar: Gegen den Plan, im tschechischen Temelín neben die zwei bestehenden Atomreaktoren bis zum Jahr 2025 zwei weitere zu bauen, können sich auch deutsche Bürger formal wehren – denn im Fall eines Unglücks würde die Radioaktivität die nur rund 60 Kilometer entfernte Grenze natürlich überschreiten.

Geregelt ist das im Rahmen der „grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung“ der Vereinten Nationen: Demnach müssen schriftliche Einwendungen auch von Bürgern aus betroffenen Nachbarstaaten berücksichtigt werden, und diese haben das Recht, ihren Standpunkt bei Anhörungen persönlich vorzutragen.

Das laufende Verfahren zu Temelín – die Frist für schriftliche Einwendungen ist am Montag abgelaufen, die zentrale Anhörung findet an diesem Freitag im tschechischen Budweis statt – hat jedoch nach Ansicht von Umweltverbänden und Grünen die Schwächen des Verfahrens gezeigt.

Zum einen seien die Fristen viel zu kurz. „Wie soll denn der Inhalt der Einwendungen bei der Anhörung berücksichtigt werden, wenn dazwischen nur wenige Tage liegen?“, fragt Christa Hacker vom Umweltinstitut München. Zudem soll die Anhörung mit Beteiligten aus Tschechien und vier Nachbarstaaten nur an einem Tag stattfinden. „Das kann doch nur eine Pseudo-Veranstaltung werden“, fürchtet Hacker, die vor Ort sein wird.

Unterstützung nur von Bayern und Sachsen

Wie viele Deutsche nach Budweis fahren werden, ist nicht bekannt. Die Zahl der schriftlichen Einwendungen dürfte bei etwa 30.000 liegen – 26.000 sind allein über das Umweltinstitut gelaufen; andere Verbände haben in kleinerem Ausmaß mobilisiert.

Unterstützung durch deutsche Behörden gab es dabei nur sehr begrenzt: Nur in Bayern und Sachsen haben die Landesregierungen die 2000-seitigen Verfahrensunterlagen ausgelegt und Einwendungen entgegengenommen, um sie nach Tschechien weiterzuleiten. Und Bayerns Umweltminister Marcel Huber (CSU) warb in dieser Woche für eine Teilnahme bayerischer Bürger an der Anhörung.

Das von Peter Altmaier (CDU) geführte Bundesumweltministerium (BMU) bringt sich in den Prozess hingegen überhaupt nicht ein: Zum Thema Temelín gab es dort keine einzige Pressemitteilung; auch auf der Webseite findet sich keinerlei Information über Einspruchsmöglichkeiten.

Das Ministerium sieht darin kein Problem: Für grenzüberschreitende Umweltverträglichkeitsprüfungen sei „diejenige deutsche Behörde zuständig, die für ein gleichartiges Vorhaben auf deutscher Seite zuständig wäre“, erklärt Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser in der Antwort auf eine Anfrage der Grünen, die der taz vorliegt. Diese „dezentrale Verteilung der Zuständigkeiten“ sei „konsequent und sachgerecht“.

„Atomunglück könnte gesamte Bundesrepublik treffen“

Diese Argumentation hält die Grünen-Abgeordnete Sylvia Kotting-Uhl für absurd. Zum einen gebe es in jenen Bundesländern, die keine eigenen AKWs betreiben, überhaupt keine Atomabteilungen und damit nicht das nötige Fachwissen, argumentiert sie.

„Zudem könnte im Fall eines Atomunglücks in Temelín die gesamte Bundesrepublik betroffen sein.“ Darum müssten auch alle Bürgerinnen und Bürger die gleichen Beteiligungsrechte haben, so Kotting Uhl: „Die Bundesregierung darf sich hier nicht aus der Verantwortung stehlen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • I
    Ichzahlimmernnochnichtfürdietaz

    Zum Glück lässt sich der Nachkomme des braven Soldaten Schwejks nicht so leicht vor den Karren einer Angstmacherei spannen. Wenigsten bleibt dank dieser Kraftwerke die Stromversorgung für Süddeutschland gesichert.

    Danke Tschechien, freut mich dass in Mähren und Böhmen die Menschen wenigsten noch etwas Grips im Kopf haben und nicht wie Lemminge der Antiatomkraftdemagogen verfallen.

     

    Liebe Mitkommentatoren, Wieviel Tote gab es eigentlich auf Grund von Verstrahlung in Fukushima?

     

    Danke

  • D
    dete

    1. Die Tschechen dürfen selbst über Ihre Energiepolitik entscheiden. Wenn das Resultat neue Kernkraftwerke sind, dann ist dies zu akzeptieren.

     

    2.) Die Bayern haben in weiser Vorraussicht bereits die Übergabestationen nach Tschechien in Ihrer Kapazität ausgebohrt, so dass der Strom aus Tschechien nach Deutschland geliefert werden kann, wenn die nächsten KKWs in Bayern abgeschaltet werden.

     

    3.) Sind eben nicht alle von erneuerbaren Energien überzeugt, wie dies viele in D sind. Ich würde einfach mal sagen, dass die Tschechen einfach nicht das Geld haben, um die überteuerte PV zu fördern.

  • BN
    Bernd Neumann-Henneberg

    Das wichtigste wird in dieser Frage sein, dass die deutschen Energieriesen sich nicht an dem Blödsinn beteiligen! Außerdem darf keine KfW oder ähnliche Bankster-Organisation sich an diesem AKW in Form von Krediten beteiligen. Schlussendlich darf kein Strom aus diesem AKW nach Deutschland exportiert, oder durch das deutsche Netz verteilt werden.

  • G
    gerda

    Und schon hätte man doch sehr gern Röttgen wieder zurück

    und die neue Flasche im Turbogang zum Mond geschossen.