piwik no script img

Debatte zu PflegeversicherungDie neuen Körperklassen

Barbara Dribbusch
Kommentar von Barbara Dribbusch

Mit vollen Windeln zu lange im Bett: Die Pflegefrage berührt Tabuzonen in der Leistungsgesellschaft. Der „Pflege-Bahr" verstärkt die Schieflage.

Kommt jemand, um zu helfen, wenn die Klingel gedrückt wird? Das ist die entscheidende Frage. Bild: sör alex / photocase.com

S o viel Misserfolg war selten. Vor „schwer kalkulierbaren“ Tarifen warnt die Versicherungswirtschaft. Geringverdiener blieben außen vor, rügen die Gewerkschaften. Die geplante Pflegezusatzversicherung von Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) stößt bei Wirtschaft und Sozialverbänden auf Skepsis und Ablehnung. Die staatlich geförderte Zusatzvorsorge soll die Finanzierung der Pflege verbessern, doch sie wirft erst recht ein Schlaglicht auf die ungelösten Gerechtigkeitsfragen, die sich in der Versorgung Älterer stellen.

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) möchte Policen für eine private Pflegezusatzversicherung mit monatlich 5 Euro staatlich bezuschussen, wobei ein Eigenbeitrag des Versicherten geleistet werden muss. Diese freiwillige Zusatzversicherung, auch „Pflege-Bahr“ genannt, soll im Bedarfsfall den BürgerInnen helfen, Zahlungen aus der bisher schon bestehenden allgemeinen Pflegeversicherung privat zu ergänzen.

Was gut klingt, dürfte soziale Schieflagen verstärken: zwischen denjenigen, die sich die Prämien für die Zusatzversicherung leisten können, und jenen, die einfach zu wenig Geld zur Verfügung haben. Daran ändern auch die 5 Euro staatlicher Förderung im Monat wenig. Denn Zusatzversicherungen kosten ordentlich Geld.

Eine 50-jährige Frau, die in der Pflegestufe II bei ambulanter Versorgung ergänzend monatlich 600 Euro zur Verfügung haben möchte, zahlt heute bei Neuabschluss und einer erleichterten Gesundheitsprüfung eine monatliche Prämie von 63 Euro im Monat. Die Prämien des „Pflege-Bahr“ dürften noch teurer werden, da die Versicherungen jeden Antragssteller ohne Gesundheitsprüfung aufnehmen müssen.

taz
Barbara Dribbusch

ist Redakteurin für Sozialpolitik im Inlandsressort der taz. Gegen die Altersangst schrieb sie das Unterhaltungsbuch „Älterwerden ist viel schöner, als Sie vorhin in der Umkleidekabine noch dachten“ (Mosaik 2012).

Der „Pflege-Bahr“ fördert die Privatisierung der Pflegekosten. Dabei ist schon heute bei den Betreuungsarrangements viel privates Geld nötig. Das Spektrum der „Körperklassen“ ist breit, und letztlich geht es immer um die Verteilung von „Versorgungszeit“.

Premiumheime mit hoher Eigenbeteiligung

Den besten Personalschlüssel bieten hotelähnliche 5-Sterne-Residenzen wie etwa die „Tertianum“-Kette. In diesen Premiumheimen werden aber Eigenbeteiligungen zwischen 3.000 und 5.000 Euro im Monat fällig. Dann gibt es die Zukunftshoffnung „Demenz-Wohngemeinschaften“, die durch die Pflegereform der Bundesregierung zusätzliches Personal erhalten.

Auch hier ist der finanzielle Eigenbeitrag der Bewohner meist etwas höher als im herkömmlichen Heim. Der Begriff „Wohngemeinschaft“ beschönigt jedoch: In den Pflegeeinheiten kommt es wie in den großen Heimen auch vor allem darauf an, dass genug Personal zum Toilettengang, Waschen und Beruhigen zur Verfügung steht.

Die Betreuungszeit zählt. Das zeigt sich erst recht im halblegalen Privatmodell mit osteuropäischen Pflegekräften, die im Haushalt mitwohnen. Ungefähr 1.500 Euro im Monat sind dafür an Eigenmitteln aufzubringen.

Die Leistungen aus der allgemeinen Pflegeversicherung decken dabei niemals den Bedarf. Für zwei Einsätze am Tag, morgens und mittags, mit einem Zeitaufwand von insgesamt 105 Minuten verlangt etwa eine Sozialstation in Rheinland-Pfalz 2.000 Euro im Monat, die Pflegekasse zahlt davon nur 1.100 Euro, es bleiben 900 Euro privat aufzubringen.

Würde und Kränkung

Und dann ist immer noch ungeklärt, wer der alzheimerkranken Mutter am Abend die Windeln wechselt, sie wäscht und zu Bett bringt. Der Anteil der Eigenmittel an den Pflegemodellen ist hoch. In einem Wochenbericht stellte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) fest, dass Deutschland etwa im Vergleich zu den Niederlanden wenig öffentliches Geld für die Pflege ausgibt.

Die Pflege ist so teuer, weil der Zeitaufwand für einen Pflegebedürftigen hoch sein kann, und das jahrelang. Das wird umso deutlicher in einer Erwerbsgesellschaft, in der nicht mehr unbegrenzt Haus- und Ehefrauen zur Verfügung stehen, um die private Pflege von Verwandten zu leisten.

Der Pflegebereich ist der Lackmustest für die Ethik einer Leistungsgesellschaft, die nicht wahrhaben will, dass nun ausgerechnet für verwirrte, inkontinente Menschen Milliarden von Euro ausgegeben werden sollen, auch wenn diese BürgerInnen keinen sichtbaren Beitrag mehr für die Allgemeinheit leisten. Es geht nur um die Würde. Die Würde ist eben doch schwerer zu bewahren, als man dachte. Auch dies ist eine Kränkung, der sich die alternde Gesellschaft stellen muss.

Wie weit soll die Allgemeinheit das Recht auf Würde im Alter finanzieren oder dem persönlichen Schicksal und Bankkonto überlassen? Die schwarz-gelbe Pflegereform, die am heutigen Freitag im Bundestag verabschiedet werden soll, bietet dazu nur kleine Verbesserungen. So gibt es etwa ein bisschen mehr Geld für Demenzkranke, der Pflegebeitrag soll auf 2,05 Prozent vom Bruttolohn steigen.

Am grundsätzlichen Problem, dass zu viele gebrechliche Menschen zu viel Zeit im Bett verbringen, und dies mit vollen Windeln, und dass deren Zahl steigen wird, ändert das wenig.

Mit 5 Euro staatlicher Förderung im Monat für eine Privatversicherung kann sich der Gesundheitsminister nicht freikaufen von den Versorgungsmängeln. Eine Gesellschaft, die möglichst alle Frauen in die Erwerbstätigkeit schicken will, sollte auch nicht mehr allzu sehr die Pflege durch die Familie beschwören, um sich vor den Verteilungsfragen zu drücken.

SPD hat etwas begriffen

Die oft angekündigte Einführung eines neuen „Pflegebedürftigkeitsbegriffs“ könnte dazu führen, dass die Betreuungsschlüssel in Pflegeheimen und die Leistungen der Pflegeversicherung verbessert werden. Pflegezeit ist gekaufte Versorgungszeit. Jede Pflegereform braucht dazu mehr Geld im System. Es ist mutig, wenn der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel ankündigt, den Pflegeversicherungsbeitrag auf 2,5 Prozent vom Einkommen erhöhen zu wollen, sollten die Sozialdemokraten an die Macht kommen.

Die Frage lautet: Sind die Mittelschichten überhaupt bereit, einen höheren Beitrag zur allgemeinen Pflegeversicherung zu zahlen, damit auch die ärmeren Milieus akzeptabel versorgt sind? Oder entwickelt sich eine Körperklassengesellschaft wie in früheren Zeiten: Die einen werden umsorgt, die anderen nicht?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Barbara Dribbusch
Redakteurin für Soziales
Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).
Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • T
    tabu

    Man könnte dabei auch erwähnen, dass die Verlängerung der Lebenserwartung in den Medien häufig als etwas positives, als eine Errungenschaft dargestellt wird.

    Unter welchen Umständen dann 90-jährige vor sich hinvegetieren und mit welchen Mitteln (z.B. perkutane Magensonde zur Versorgung mit Flüssignahrung)und Medikamenten sie am Leben erhalten werden, wird dabei nicht erwähnt.

    Von der Bezahlung abgesehen, könnte man sich auch fragen, wer eigentlich bereit ist, die Pflegearbeit zu leisten, für wen sie eine sinnvolle Arbeit darstellt und nicht nur eine Tätigkeit, zu deren Ausführung man vom Arbeitsamt und mangels anderer Qualifikation verplfichtet wird.

    Die Konsequenz daraus ist, dass wir aufhören müssen, vor der Frage wegzulaufen, inwieweit das "um jeden Preis am Leben erhalten" sinnvoll und möglich ist. Und das ist keine Frage, die sich nur mit der "Würde" der Menschen beiseite schieben lässt. Lebensverlängerung um jeden Preis hat sehr wenig mit Würde zu tun.

  • A
    Anita

    Wenn jemand alt und krank ist, sollte es doch egal sein, ob er es sich leisten kann oder nicht? Er muss gut versorgt werden!

    Wenn die Leute sich privat zusatzversichern sollen, werden die ohne Zusatzversicherung dann nicht ausreichend versorgt?

  • C
    Celsus

    Das Geld kommt immer und ausschließlich von den Bürger_innen, deren Pflegerisiko abgesichert werden soll. Und am Ende wird es verwendet für Pflegeausgaben.

     

    Und bei der Frage, ob das über die gesetzliche Privatversicherung oder über private Versicherungen abgesichert werden soll, gibt es nur 2 Unterschiede:

     

    1. Die private Versicherung müssen sich die Betroffenen leisten können. Wer hier nicht abgesichert wird, bekommt es am Ende über steuerfinanzierte Versorgung.

     

    2. Die Anlage von Geld statt einer Umlagefinazierung bringt das Risiko eines Vermögesnverlustes bei Insolvenzen der Anlage oder bei Finanzkrisen mit sich. Gerade heutzutage eine gefährliche Art mit fremden Geld umzugehen, dass es mal wieder in private Versicherungen gehen soll.

     

    Wer trotz der beiden obigen Punkte versichert, nur an das Wohl der Allgemeinheit frei von Korruption gehandelt zu haben, fehlt sicherlich das entsprechende Fachwissen. Was mich angesichts so viel promovierter Intelligenz dort auch wieder wundert.

  • AA
    Axel Arend

    Ich finde das richtig, wer soll das denn sonst bezahlen? Die Mittelschicht sind schließlich diejenigen, die soviel haben, dass es etwas zu holen ist und gleichzeitig nicht genug, dass sie sich dagegen sträuben können. Das vermeidet unnötige Unruhe in der Bevölkerung und Reibungsverluste.

     

    Schließlich streicht auch die Mittelschicht die Dividende der Industrialisierung ein. Zwar fallen immer mehr Jobs für weniger qualifizierte Menschen weg. Aber schließlich ist eine stark industrialisierte Produktion so effizient, dass die daraus entstehenden Lasten über Sozialabgaben auf den Teil der Bevölkerung umgelegt werden kann, der Arbeit hat.

  • R
    rot

    Hoch lebe die "Pflege-Bahre"...

  • J
    Jason

    Wir sind schon lange auf dem Weg zurück in den Feudalismus vergangener Zeiten. Das ist doch sicher jedem hier klar. Die Tagelöhner (auch wenn Sie jetzt anders bezeichnet werden)gibt es doch auch schon wieder. Ebenso Armenspeisungen, was noch fehlt (was aber kommen wird) sind Armenhäuser, für Bedürftige die sich keine Wohnung mehr leisten können.

     

    Ich hätte nie geglaubt das ich so etwas noch erleben muß und das mit Zustimmung der SPD. Es ist wohl wirklich so, die Zeitgeschichte wiederholt sich.