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Affäre um VerfassungsschutzAkten-Schredderer angezeigt

Ein Anwalt von NSU-Opferangehörigen erstattet Anzeige wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt. Er fordert, dass die Aktenaffäre von der Justiz aufgeklärt wird.

Hat keine überzeugende Erklärung: Der scheidende Verfassungsschutzchef Heinz Fromm vor dem NSU-Untersuchungsauschuss. Bild: dapd

BERLIN taz | Der Berliner Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler hat wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt Anzeige gegen die für die Vernichtung brisanter Akten zuständigen Beamten im Bundesamt für Verfassungsschutz erstattet.

Daimagüler vertritt zwei Familien der Opfer des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU). „Ziel ist es, sicherzustellen, dass es nicht bei einer behördeninternen Aufklärung bleibt“, sagte er der taz. „Offenkundig haben sich Teile des Apparats der Kontrolle durch die Behördenleitung entzogen.“

In der an die zuständige Staatsanwaltschaft in Köln gerichteten Anzeige wird der Verdacht der Strafvereitelung mit dem Zeitpunkt begründet, zu dem die Akten im Reißwolf landeten: dem 11. November 2011. An jenem Tag wurde bekannt, dass es den NSU gibt; der Generalbundesanwalt übernahm die Ermittlungen.

„Der enge zeitliche Zusammenhang ergibt einen Anfangsverdacht, wonach Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gezielt verhindert werden sollten“, heißt es in der Anzeige. Zuvor hatten bereits Hinterbliebene eines Hamburger NSU-Opfers Anzeige wegen Urkundenunterdrückung erstattet.

Verfassungsschutz-Chef fühlt sich „hinters Licht geführt“

Vergangene Woche kam heraus, dass ein Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln Akten über V-Leute im „Thüringer Heimatschutz“ vernichten ließ; aus dieser Kameradschaftstruppe stammte auch das spätere NSU-Trio. Am Montag trat deshalb Behördenchef Heinz Fromm zurück.

Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags sagte Fromm am Donnerstag, er sei von seinen eigenen Mitarbeitern „hinters Licht geführt worden“. Der für die Schredderei zuständige Referatsleiter habe ihm vorgegaukelt, die Akten seien bereits lange vor Auffliegen des NSU und nicht erst danach vernichtet worden.

Zur Frage nach dem Motivs des Mannes sagte Fromm: „Ich weiß nicht, ob es dafür irgendwann eine überzeugende Erklärung geben wird.“ Der Referatsleiter selbst wollte sich gegenüber dem NSU-Ausschuss nicht zu seinen Beweggründen äußern. Gegen ihn läuft ein Disziplinarverfahren.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat einen Sondermittler damit beauftragt, die Affäre aufzuklären: den Unterabteilungsleiter für Verfassungsschutz in seinem Ministerium, Hans-Georg Engelke, der lange Jahre im Bundesamt die Islamismus-Abteilung geleitet hatte.

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6 Kommentare

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  • AD
    Ahmet der Doische

    Löblich von Herrn Daimagüler. Wird zwar nix bringen, weil sehr wahrscheinlich alles unter den Teppich gekehrt werden wird - erst recht unter dem neuen VS-Präsidenten - aber wenigstens gibt es noch vereinzelt Widerstand.

     

    Es fragt sich ja heute keiner mehr, warum sich Terroristen mit über 10 Jahren Erfolg in ihrer Branche plötzlich und unerklärlich selbst erschießen und ihre Stute permanent von den Behörden auf ihrem Handy angerufen wurde ( http://www.stern.de/panorama/die-nsu-und-der-verfassungsschutz-ruf-doch-mal-beim-nazi-an-1838271.html ).

     

    Selbst die taz scheint ja alles zu schlucken, was ihr von dieser Regierung zum Fressen hingeworfen wird.

    Brav dpa-Meldungen abdrucken ist ja angesagt. Selbst recherchieren ist viel zu kostpielig, vor allem aber: anstrengend.

  • D
    drehmstz

    Ist man in den diversen Ausschüssen der Parlamente oder bei der Bundesanwaltschaft mal der Frage nachgegangen, wie die NSU-Terroristen auf die Idee kamen, so grundsätzlich "klammheimlich" ohne Propaganda-Verlautbarungen zu morden und zu rauben? Sind sie selber drauf gekommen oder gab es Ratschlaggeber, die bisher im Dunkeln geblieben sind?

    Der Bildungshintergrund der Killer-Typen lässt es eigentlich nicht als wahrscheinlich erscheinen, dass sie von selbst darauf kamen. Welche Mentoren hatten sie?

  • A
    Arne

    Ein sturer Bürokrat wie Fromm, der als JVA-Leiter jeden Mitarbeiter denunziert hat, der sich wagte, ein halbwegs normales Verhalten zu den Insassen aufzubauen (Z.B., wenn die Gefangenen es sich erlaubten, mit Mitarbeitern, mit denen sie seit Jahren zusammenlebten, diese zu duzen und der Mitarbeiter dies nicht sofort unterbunden hat.), hätte selber auf die Idee kommen müssen anstatt nun zurückzutreten und möglichst schnell seine Pension anzutreten, den verantwortlichen Mitarbeiter zu maßregeln.

    Dass er dies nicht tut, sondern lieber seine Pension verjuxen will, zeigt, dass auch bei ihm noch einiges an schmutziger Wäsche rumliegt, die er mit seinem Rücktritt nicht aufgearbeitet haben will.

    Ich wünsche dem Untersuchungsausschuss vollen Erfolg beim weiteren ermitteln in Sachen Fromm und NSD.

  • CW
    Christian Wulff

    Deja vu

    Es gibt keinen Skandal. Es ist die Fortsetzung einer Praxis, die Tradition hat. Wahrscheinlich ist der schreddernde Beamte zu tiefst erstaunt, warum seine Tat solche hohe Welle der Empörung erzeugte. ER tat doch nur, was man in der Behörde sonst auch tut seit Jahrzehnten...

    "Am 22. August 1980 notiert der damals 52jährige Manfred Roeder gutgelaunt in seinem Tagebuch: "Festessen mit Syb. und Raym." Anlaß für die Feier des ehemaligen Rechtsanwalts mit der 25jährigen Radiologie-Assistentin Sibylle Vorderbrügge und dem doppelt so alten Werkmeister Raymund Hörnle war der am selben Tag verübte Mord an zwei Vietnamesen. Die beiden starben beim Brand eines Hamburger AsylwerberInnenheims, nachdem Vorderbrügge und Hörnle drei Molotowcocktails durch ein Fenster geschleudert hatten. Seit mehreren Monaten "zündelten und bombten die beiden", wie der "Spiegel" damals schrieb, im Auftrag Roeders "quer durch die Republik". Zehn Tage später wird er zusammen mit seiner Lebensgefährtin Vorderbrügge verhaftet und schließlich auch verurteilt. 1990 wird er aber vorzeitig entlassen und neuerlich aktiv." http://www.hagalil.com/ar...

  • H
    Halunke

    Der Anwalt hat Recht.Das ist Strafvereitelung im Amt,und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.Jeder andere würde schon lange in U-Haft sitzen,Haftgrund Verdunklungsgefahr...)

  • E
    eksom

    Die Anzeige wird nicht viel bringen!

    Scheinermittlungen werden folgen, aber es werden keine konkreten Ergebnisse geliefert! Denn, eine seit Jahrzehnten längst fällige Entnazifizierung der Behörden und der Justiz hat noch nicht stattgefunden,

    d.h. die getarnten Braunen mit der Maske der Demokraten in diesem Segment werden schön lächelnd weiterarbeiten!