DIE WAHRHEIT: Drängeln mit Engeln
Auf dem Sofa mit himmlischen Besuchern von ganz oben.
Durch Zufall – oder war es ein Wink des Himmels? – stieß ich neulich beim Durchstöbern des Internets auf der Suche nach etwas ganz anderem auf den irisierenden Begriff „Wanderengel“. Meine darauf folgende wissenschaftliche Recherche bei Google ergab, dass es sich bei diesen Wanderengeln um fünf Engel handelt, die man zu sich nach Hause einladen kann, wo sie dann fünf Tage bleiben und dem Gastgeber anschließend drei Wünsche erfüllen.
Nach einer kurzen Rücksprache mit meiner Freundin Johanna war klar, dass wir diese Engel haben wollten.
Um sie korrekt einzuladen, hielten wir uns genau an eine Anleitung aus dem Internet: Ich segnete eine weiße Kerze, als Gastgeschenk legten wir einen schönen Apfel bereit. Neben den Apfel und die brennende Kerze stellten wir eine weiße Orchidee. Dann formulierten wir die drei uns zustehenden Wünsche, die wir auf einen Zettel schrieben, in einen Umschlag steckten und zu den anderen Dingen legten. Johanna meinte, wir müssten uns „Geld, Geld und Geld“ wünschen, ich aber sagte, dass die Engel womöglich eher mit den Wünschen „Weltfrieden, kein Hunger mehr nirgends und dass die Welt am 21. Dezember nicht untergeht“ rechnen würden. Worauf Johanna mich aber mit dem Argument überzeugte, dass, wenn man schon drei Wünsche angeboten bekäme, man die sich ja wohl gefälligst auch selbst aussuchen dürfe.
Nun wurde die Wohnung geschrubbt, denn Engel hat man ja nicht jeden Tag zu Hause. Zum Schluss kauften wir noch ausreichend Sekt und Chips.
Als wir mit allem fertig waren, öffneten Johanna und ich weit die Wohnungstüre. Da die Engel aber unsichtbar sind, hielten wir die Türe sehr lange weit geöffnet, bis wir uns gegenseitig versicherten, dass jetzt eigentlich alle fünf drin sein müssten. Johanna, die vorher schon gemutmaßt hatte, dass die Engel sicherlich auf dem Kanapee Platz hätten, ein Kanapee sei ja schließlich keine Nadelspitze, wies den himmlischen Gästen mit einer ausladenden Armgeste das Sofa zu. Wir selbst setzten uns auf zwei Klappstühle. Selbstverständlich trat jetzt zunächst das verlegene Schweigen ein, das immer eintritt, wenn man fünf unsichtbare Engel zu Besuch hat. Hin und wieder nickten wir mit schiefem Grinsen Richtung Sofa und stammelten Worte wie „Hallo“, „Halleluja“ oder „Schön, dass ihr gekommen seid“.
Wir spürten zwar schon irgendwie eine heilige Atmosphäre, aber Johanna fragte nach 15 Minuten: „Und jetzt?“ Ich wusste auch nicht genau. „Die machen ja gar nichts“, beschwerte sich Johanna. „Ja, hast du denn erwartet, dass sie hier Zaubertricks aufführen?“ – „Nein, das natürlich nicht, aber wenn die wirklich so gar nichts machen, dann wäre es doch sicher nicht unhöflich, wenn wir uns nebenbei eine DVD ansähen?“ Ratlos blickten wir wieder zum Sofa. Wir hatten halt beide wenig Erfahrung mit himmlischer Etikette.
Wir führten nun ein belangloses Gespräch übers Wandern und versuchten, die Engel mit einzubeziehen, aber auch das verlief erfolglos im Sande. Brisantere Themen wollten wir nicht ansprechen, bis wir einander besser kennengelernt hätten.
„Vielleicht wollen sie, dass wir beten, oder so was?“, schlug nun wieder Johanna vor. Beten war natürlich eine tolle Idee! Ich kannte aber nur unser altes Tischgebet und betete: „Oh, Herr, von dem wir alles haben, wir preisen Dich für Deine Gaben, Du speisest uns, weil Du uns liebst, drum segne auch, was Du uns gibst!“
Guten Gewissens nach diesem Gebet stürzten wir uns auf Chips und Sekt, warfen den Film „Vier Fäuste für ein Halleluja“ in den DVD-Schacht, drängelten uns zu den fünf Engeln aufs Sofa, und so wurde es doch noch ein wundervoller, sehr lustiger und langer Abend, an dem zu späterer Stunde sogar das Lied „Das Wandern ist des Engels Lust“ angestimmt wurde – bei dem wir endlich vermeinten, die Wanderengel leise mitsingen zu hören. Auch in den folgenden fünf Tagen, die unsere Besucher noch da waren, sind sie zu keinem Zeitpunkt unangenehm aufgefallen. Jederzeit würden wir sie wieder einladen. Sehr höfliche Wesen.
Den Engeln scheint die Stippvisite auch gut gefallen zu haben. Denn kurz nachdem sie weiter gewandert waren, habe ich tatsächlich dreimal hintereinander beim Glücksspiel gewonnen.
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