Der Stofftiersoap-Intendant: "Wir machen nur Blümchensex"
In Andreas Walters Wohnung steht eine kleine Bühne mit Dutzenden Kuscheltieren. Hier probt der Künstler für seine Kneipen-Stoffttiersoap "Humana Leben in Berlin".
taz: Herr Walter, können Sie Stofftiere nicht leiden?
Andreas Walter: Wie kommen Sie denn darauf?
Statt sie friedlich in Kinderbetten schlummern zu lassen, zerren Sie sie spät abends auf die Bühne und beuten sie aus.
Das ist ja nicht richtig. Ich gebe ihnen eine neue Chance, ein zweites Leben. Die meisten Menschen haben eine Phase, in der sie ein Stofftier brauchen, mit dem sie rumschmusen, das sie mit ins Bett nehmen können. Aber irgendwann landet es hinterm Schrank oder auf der Fensterbank, wo es den Durchzug verhindern soll. Bei mir kann es etwas Neues machen.
Sie sind Regisseur und Schauspieler. Früher haben Sie Menschen diese Chance gegeben. Wieso jetzt Kuscheltieren?
Theater ist teuer und aufwendig. Man muss aufpassen, dass man sich nicht ständig selbst subventioniert. Sonst bekommt man Depressionen. Anfang der 90er hatte ich in einer leerstehenden Schlachthofetage das Theaterdock aufgezogen. Aber irgendwann ging es nur noch darum, wofür man erfolgversprechend Anträge stellen kann: Aha, Frauen geht. Machen wir was mit Frauen. Das schränkt ein – und dann dauert es noch ewig, bis der Antrag durch ist, das Geld da, man loslegen kann. Ich wollte immer einen ganz kurzen Weg von der Idee zur Aufführung. Bei einem Auftritt wurden wir auf der Bühne mit Plüschtieren beworfen, und da fiel mir der Ralf vor die Füße, dieses Schwein hier. Da dachte ich, mit dem kann man doch was machen.
Der Mensch: Andreas Walter wurde 1966 in Oldenburg geboren. Nach einer Ausbildung zum Verlagsbuchhändler studierte er Theaterwissenschaft und Neue Deutsche Literatur an der FU Berlin. 1991 gründete er den Schlagerchor "Liedertafel Bianca Castafiore", dann das "Theaterdock". Jahre als Geschäftsführer der Kulturfabrik Lehrter Straße folgten. 2001 gründete er das Theaterprojekt "interpicnic", zu dem die Stofftiersoap gehört.
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Die Soap: Ralf, Maike, Wiebke, Dr. Hetzer und Frau Künast - sie alle haben verrückte Zeiten als Kuscheltiere hinter sich. Nun erobern sie die Bretter der Welt: "Humana Leben in Berlin" heißt Walters Stoffttiersoap. Gezeigt werden jeweils zwei 30-minütige Einblicke ins Alltagsleben von Stoffschwein Ralf, seinen Freunden und Feinden. Die Themen: Beziehung, Konflikt, Arbeitslosigkeit, Gentrifizierung. Es gibt Sex, Gewalt, Lieder, rührende Szenen.
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Das Casting: Zum Schluss wirds spannend: Viele Zuschauer bringen ihre auftrittsgeilen Plüschtiere mit. Entschieden wird - u. a. per Scharr-o-Meter -, welches eine Rolle in der nächsten Folge erhält.
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Mehr unter: www.interpicnic.de
Was erzählen Sie Ihren Eltern, was Sie machen?
Die wissen ja, dass ich Künstler bin. Das liefert mir eine Ausrede, mit über 40 noch mit Kuscheltieren zu spielen. Aber wenn mein Vater gefragt wird, was ich so mache, sagt er lieber, dass meine Frau Ärztin ist. Dabei war er selber bei meiner Geburt nicht dabei, weil er gerade seine Theater-AG gemacht hat.
Theater ist bei Ihnen eine Familientradition?
Ja, aber weniger Bildungsbürger als Tingeltangel. Mein Urgroßvater ist schon mit meinem Großvater über die Dörfer gefahren, hat Teppiche verkauft und dabei Kinovorführungen veranstaltet. Mein Vater war Diakon und hat in Oldenburg sehr expressives Theater gemacht.
Kirche und Theater? Passt das zusammen?
Und wie. Mein Vater liebte Inszenierungen: Die Leute saßen in einem Kreis auf dem Boden, dann ging die Tür auf, und auf großen Tabletts brachten Leute Essen hinein – eine Interpretation des Abendmahls. Alles wurde sehr pompös zelebriert.
In Ihrer Stofftiersoap kommt die Kirche auch schon mal vor. Da bombt, just als sich Demi Moore und Ashton Kutcher im verflixten siebten Jahr erneut das Jawort geben, Tom Cruise die Gedächtniskirche ein …
… was ja auch nicht viel nützt.
Sind Gewalt und Zerstörung Ihre Reaktion auf Ihre christliche Erziehung?
Das war manchmal schon ganz schön hart. Einmal hatte mein Vater auf einem Kirchentag eine Halle der Stille. Wir trugen alle eine Art Kutte, und die Menschen, die kamen, erzählten mir wie bei einer Beichte ihre schrecklichen Geschichten. Aber ich hatte auch andere Erlebnisse: Mein erstes Fummeln fand auf dem Kirchentag in Düsseldorf statt. In einer Massenunterkunft.
Klingt schon viel besser.
Ja, man merkt, dass wichtige Ereignisse im Leben durchaus mit Religion zu tun haben können. Ich hab wohl nur ein bisschen zu viel des Guten mitgekriegt.
Aber Gott gibt es?
Na, immerhin ist er schon mal in der Stofftiersoap aufgetreten: Er ist eine rosa Kugel, die von innen leuchtet, wenn man sie wirft – und sie sieht dem rosa Flauschwesen Wiebke, einem meiner zentralen Charaktere, unglaublich ähnlich. Deshalb sagt er zu ihr: „Ich habe dich nach meinem Ebenbild geschaffen.“ Das gibt der mal wieder manisch panischen Wiebke neue Hoffnung.
Wiebke ist unsere Lieblingsfigur! Haben Sie auch einen Favoriten?
Alle meine Charaktere haben etwas Liebenswertes. So doof sich manche geben – man versteht, warum sie sind, wie sie sind. Der Blödeste ist Guido, der Freund von Ralf, der einfach nicht in der Lage ist, über was anderes als Biertrinken und Titten zu reden.
Stimmt.
Aber er tritt eigentlich nur in der Kombi mit Ralf auf und verstärkt so die unterirdischen Wesenszüge, die der ja auch hat. Und das Berliner Publikum mag ihn.
Klar. Weil es dann immer Trinksprüche gibt: Nicht lang schnacken, Kopf in’ Nacken …
Und ich kann selbst komponierte Trinklieder singen (macht genau das): Hau weg den Scheiß, schluck’s ru-hu-nter / Dann wird das Leben wieder mu-hu-nter. / Ein schnelles Helles, lieber Freund / Das ist besser als ein Joint / Und das Leben wieder munter. / Trinken, saufen, kübeln la-la-laha / la-la-la …
Danke! Woher haben Sie die Stofftiere eigentlich?
Anfangs von Humana am Boxhagener Platz, dem Secondhandladen. Jetzt stammen sie vom Casting. Wir lassen die Zuschauer Kuscheltiere mitbringen. Wer gewinnt, bekommt eine Gastrolle. Und ich habe dann für die nächsten Folgen gleich ein paar Stützpfeiler, die ich einbauen muss.
Und die Ideen für die Skripte? Robbie Williams wird in der Hasenheide von als Teletubbies verkleideten Schrebergarten-Nazis entführt, Stadtbärin Schnute reißt aus, um am Avon-Marathon teilzunehmen, und wird am Ziel mit der Siegerin, Ralfs Freundin Maike, von Aliens in ein Raumschiff gesaugt. Wie kommen Sie auf so was?
Die Folge war zuerst ganz anders. Normal läuft es so: Die Charaktere geben mir eine Grundidee, hinzu kommt der Zeitgeist, wenn gerade EM ist oder Wahlen sind oder ein Freund was in der Bunten gelesen hat. Dann setze ich mich zwei Tage hin und schreibe das runter. Die erste Fassung ist sehr experimentell. Da weiß man noch gar nicht so recht, wo das Publikum steht und was funktioniert. Richtig gut sind wir oft erst beim vierten Mal – und dann ist es auch vorbei.
Welche Figur ist Ihnen selbst am ähnlichsten?
In mir ist eine ganze Menge Ralf: Der ist ein bisschen träge und muss sich oft selbst einen Tritt in den Arsch geben.
Hm. Nimmt ihm das nicht meistens seine Liebste, die Maike, ab?
Die braucht ihn, damit sie sich selbst erfolgreich fühlen kann. Einen Loser, der sich dann abends ihren Bürokram anhört.
Und das spielt sich auch bei Ihnen zu Hause ab?
Ein bisschen schon. Mein zweiter Beruf ist ja Mutti von Zwillingen, das frisst ganz schön viel Zeit. Man merkt, dass man oft nicht mehr so richtig hochkommt, Dinge nicht mehr macht, die man gern machen würde. Ich hab früher noch einen Chor gehabt, eine Lesebühne, mit meinem Bruder das Barockprojekt Satyros, eine Talkshow. Ich würde da gern aktiver sein, aber ich hab das Gefühl, die Zeit lassen mir die Kinder nicht.
Aber mit der Stofftiersoap lässt sich die Familie vereinbaren.
Mehr noch: Ich bin dankbar, dass sie mir den Monat strukturiert, sodass ich nicht nur Hausmann bin. Ich kann zu Hause arbeiten, ich kann hier proben, die Kinder gucken zu. Und an den letzten beiden Wochenenden treten wir auf. Das ist für mich und meine Mitspielerin Ulrike Dittrich der einzige Tag, an dem wir rauskommen, Freunde treffen, Kontakte pflegen. Ich bin mit der Soap für die Miete zuständig, den Rest verdient meine Frau.
Klingt, ehrlich gesagt, etwas fatalistisch.
Nach Ralf eben … Aber nein, jetzt kommen die Kinder ja auch in die Schule, da ändert sich das vielleicht wieder.
Bekommen wir dann etwas Neues zu sehen?
Ich will mein „Green Card“-Projekt auf jeden Fall wieder aufleben lassen – das ist eine Talkshow mit acht Kandidaten, die mir Fotos aus ihrem Leben geben und wie in einem Bewerbungsgespräch Katalogfragen beantworten. Sie müssen sich überlegen, was ihnen eigentlich wichtig ist, wie sie sich präsentieren wollen. Es ist spannend, wie manche ihre nicht vorhandenen Möglichkeiten zu nutzen versuchen, andere gar nicht wissen, was sie wollen. Oder zumachen und nichts mehr sagen.
In der Stofftiersoap sind Sie der Superstar – neben der kongenialen Ulrike Dittrich, die die 37 Rollen übernimmt, die Sie nicht spielen. Bei der „Green Card“ müsste es auch mal um andere gehen.
Ich muss nicht immer selbst vorn stehen. Wichtig ist mir, dass ich dabei bin – in welcher Form auch immer, ob als Tänzer oder nur als Türsteher.
Im Publikum sitzen manchmal Kinder. Bringt Sie das schon mal in die Bredouille?
Warum?
Nicht alle Themen sind jugendfrei. Es gibt auch Sex und Gewalt. Na ja, vor allem Sex.
Unsere Sachen sind FSK 18, das sag ich vorher. Und wenn wir Sex machen: natürlich Blümchensex. Mein Sohn freute sich mal sehr über die Szene, wo ich einer Puppe den Schinkenschlüpfer mit den Zähnen runterreiße …
… als Berlusconi war das, oder?
Genau. Wenn jemand Kinder mitbringt, sage ich denen vorher, dass sie eventuell hinterher etwas erklären müssen. Einmal fragte dann auch ein Zehnjähriger: „Mama, was ist onanieren?“ Kinder sind ja nicht blöde.
Für uns ist das okay. Aber hat sich noch niemand beschwert?
Es ist eine Soap, es ist Trash. Da gehören Sex und Gewalt natürlich mit dazu. Aber wir versuchen, ironisch zu spiegeln, wie diese Themen in den Medien oder im Alltag auftauchen. Ich habe eine Puppe, die ich auf dem Steindamm in Hamburg gekauft habe, die hat einen Riesenpimmel. Aber wenn die auftaucht, hat das schon einen Sinn, der über einen reinen Schenkelklopfer hinausgeht. Das ist nicht nur „Höhö, Pimmel“, sondern gehört zur Geschichte.
Tiere mit interessanten Körperöffnungen und -ausstülpungen haben Sie ja einige in dieser Riesenkiste. Was ist sonst noch dabei? Das müssen Hunderte sein!
120, schätze ich. Die Kernmannschaft besteht eigentlich aus Gegensatzpaaren. Wie den trägen Ralf und die emsige Maike. Wiebke und Petra – die eine rosa-plüschig, manisch gut gelaunt, in ständigem Euphoriezustand. Die andere ein oller Hund in Regenmontur, immer nölig und depressiv. Oder Wolfgang und Vera: der Sozialarbeiter und die Psychologin auf ihrem Esotrip. Wir haben auch Einzelcharaktere wie Dr. Hetzer von der Charité. Ein Arzt, der alle Fachrichtungen beherrscht und zu allem was sagen kann, ist immer gut.
Und Promis. Nicht zuletzt Klaus Wowereit. Warum als Hase?
Ist er das? Ich hab die Ähnlichkeit in der Knubbelnase gesehen.
Apropos Effekte: Traditionell bleiben Puppenspieler hinter der Bühne. Aber Sie spielen mit. Wenn ein Stofftier baden geht, haben Sie eine Badehose an.
Nein, eine Badekappe – und jeder weiß, dass ich auch eine Badehose trage. Aber dass man uns sieht, zieht einfach eine zweite Ebene ein, mit der wir das Geschehen auf der Bühne brechen können.
Klingt ziemlich theoretisch.
Es ist doch auf Dauer etwas langweilig, nur die Viecher zu sehen. Die haben ja weder eine ausgefeilte Mimik, noch können sie sich besonders gut bewegen. Den Solimarsch der Gewerkschaften, das Haareschütteln im Heavy-Metal-Konzert oder den Strip – das machen wir dann.
Die Aufführung braucht ein gewisses Ambiente. Im Keller des „Ä“ wirkt sie anders als in der „Zeitzone“. Wie finden Sie Orte?
Tatsächlich ist das, was wir machen, schwer zu bewerben. Zum Glück sprechen uns die Leute inzwischen an. Erstaunlicherweise bekommen die oft gar nicht mit, dass eine Stofftiersoap ein sensibles Medium ist – obwohl sie uns vorher gesehen haben. Wir brauchen einen kleinen Raum, der am besten nichts kostet. Wir brauchen Leute, die bereit sind, eine halbe Stunde zuzuhören, keine Partyhopser, die gleich wieder weghibbeln. Und eigentlich auch einen Ort in Prenzlauer Berg, wo die Reichen sind.
Womit wir wieder beim Geld wären. Sie nehmen keinen Eintritt, gehen aber nach jeder Folge mit dem Klingelbeutel rum.
Es ist interessant, wie sich bei den Zuschauern ein Denkprozess in Gang setzt: „Was gebe ich denn da?“ Das fordert sie.
Sie haben von der Tränendrüse bis zu sozialer Kontrolle schon alles ausprobiert, um möglichst viel Geld rauszupressen. Was funktioniert am besten?
Es ist ganz schwer, den Leuten zu vermitteln, dass das Arbeit ist, was wir machen, dass die einen Wert hat. Wir können ja nicht argumentieren, dass das besonders bio sei oder handgemacht. Wir müssen also charmant betteln. Jetzt haben wir Scheinomaten, bei denen es klingelt, wenn ein Schein reingesteckt wird. Damit machen wir klar, dass sich der Betrag nicht unbedingt im Centbereich bewegen sollte.
Haben Sie mal daran gedacht, mit dem Zoo oder dem RBB zusammenzuarbeiten? Das könnte vielleicht bei der Zukunftssicherung helfen.
Nein, aber ich war schon mal kurz vor einer Kooperation mit Zapf-Umzüge, weil wir erst in Umzugskartons gespielt haben. Aber die gingen zu schnell kaputt, sodass wir auf ein Holzmodell umgestellt haben. Da gab’s dann keinen Bezug mehr zu Zapf. Zur Zukunft: Dieser Retrokram begeistert die Leute. Und das Kindchenschema funktioniert immer. Wobei – bei manchen Stofftieren wundere ich mich schon, was man den Kindern da ins Bett legt. Es ist erschreckend, wie ähnlich Stofftiere etwa Menschen aus der Politik sehen.
Zum Beispiel?
Da hinten hängt Frau Merkel.
Das gelbe Nilpferd? Mit dem kurzen Hals und dem missmutigen Blick?
Und daneben der dürre Maiskolben ist Renate Künast.
Wer sonst! Haben Sie eigentlich auch Haustiere?
Nein. Auf so was reagiere ich hoch allergisch.
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