Geschichte der Olympischen Spiele: „Friedensbewegung war ein Impuls"
Sportwissenschaftler Wolfgang Decker erklärt, weshalb die Entstehung der Spiele nicht allein Gründer Coubertin zu verdanken ist. Und was sie mit dem Oktoberfest zu tun haben.
taz: Herr Decker, haben wir Pierre de Coubertin die Olympischen Spiele der Neuzeit zu verdanken?
Wolfgang Decker: Nein, nicht nur. Wir sollten Coubertin von seinem Sockel herunterholen.
Die Wiederaufnahme der Spiele im Jahre 1896 verbindet man aber mit dem Namen Coubertin.
Man tut zu sehr so, als hätte es zwischen der Antike und dem 19. Jahrhundert nichts gegeben. Ich sehe die Spiele von 1890 als Endpunkt einer Kette, die bereits mit dem Wiederentdecken griechischer Ideale in der Renaissance begann. Es gab immer wieder Versuche, die Olympischen Spiele wiederzubeleben, in England, Schweden, Frankreich. Aber die direkten Vorläufer gab es dann in Griechenland selbst.
Sie meinen die Olympien?
Ja, die auch, das waren die nationalen Olympischen Spiele unter der Schirmherrschaft von Evangelos Zappas. Die wurden seit 1859 viermal in Athen ausgetragen. Ihnen wurde nie der Stellenwert zuerkannt, den sie hatten.
Wie sahen diese Olympien damals aus?
Sie waren eher Messen als Sportveranstaltungen. Zappas gründete eine Stiftung namens „Zukunft olympischer Spiele“, daraus entstanden die Olympien. Sie haben sich auch an den Weltausstellungen orientiert. Es ging um die nationale Identität der Griechen. Aber ein Sonntag gehörte ganz dem Sport: Laufdisziplinen, Speer- und Diskuswurf, das antike Programm.
71, aufgewachsen in Trier, Diplom-Sportwissenschaftler, studierte klassische Philologie und Ägyptologie. Experte für Sport in der Antike und Hobbyläufer.
Die Olympien sollen sich angeblich auch am frühen Münchner Oktoberfest orientiert haben. Stimmt das?
Ja, da ist eine gewisse Beziehung, auch beim Oktoberfest gab es ja zwischenzeitlich sportlich-spielerische Wettkämpfe wie Pferderennen, Kegeln oder Klettern. Für noch wichtiger als die Olympien halte ich aber die früheren Pläne Griechenlands von 1835.
Welche waren das?
Zur Gründung des modernen griechischen Staates unter König Otto gab es einen Entwurf für olympische Spiele, ein Memorandum. Wie die antiken Nationalfeste sollten die aussehen, es lag ein völlig ausgearbeiteter Plan vor, der dann aber in der Schublade verschwunden ist. Es gab lediglich eine Generalprobe in Athen 1835. Jährlich sollten Wettkämpfe stattfinden, mit den Schwerpunkten Wagenrennen, Pferderennen und Laufen. Auch für die besten Leistungen in Philosophie, Literatur und Malerei sollten Preise vergeben werden.
Da hätte man also den stärkeren kulturellen Bezug aus der Antike.
Ja, später gab es bei den Olympischen Spielen ja auch Kunstwettbewerbe, zwischen 1912 und 1948. In den fünf Bereichen Architektur, Literatur, Musik, Malerei und Bildhauerei wurden Werke ausgezeichnet, die in Zusammenhang mit dem Sport standen.
Auch das eine Idee Coubertins.
Ja, nach antikem Vorbild, das sich in diesem Fall jedoch nicht auf Olympia bezieht. Grundsätzlich kann man die Einführung der Olympischen Spiele nicht auf eine Person beschränken. Fraglos ist Coubertin der Gründer. Die geniale Idee war es einfach, das zu internationalisieren.
Welches Motiv stand bei Coubertin im Vordergrund bei der Neugründung der Spiele? War es wirklich die angestrebte Völkerverständigung oder stand, wie oft behauptet, das Motiv der Ertüchtigung der französischen Wehrkräfte dahinter?
Beides spielte eine Rolle. Nachdem die Franzosen aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 als Verlierer hervorgegangen waren, sprach auch Coubertin davon, man müsse nun Frankreich in neuem Glanz erstrahlen lassen. Seine nationale Idee ging aber Hand in Hand mit einer Idee der Völkerverständigung. Coubertin war ein intellektueller Freigeist. Mit 31 Jahren, im Jahr 1894, hat er bereits das Internationale Olympische Komitee (IOC) gegründet.
Hat Coubertin denn später überhaupt noch eine große Rolle gespielt?
Man darf nicht vergessen, dass er von 1896 bis 1925 ununterbrochen Präsident des IOC war. Das ist die längste Amtszeit bisher. Wenn er das nicht so lange in der Hand gehabt hätte, wäre die olympische Bewegung meiner Meinung nach wieder im Sande verlaufen.
Gibt es ein auslösendes Moment für die Gründung der Olympischen Spiele?
Ein Moment vielleicht nicht – die Friedensbewegung war ein Impuls zur Gründung der Spiele. Der Sport sollte die Völker zusammenbringen.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es eine erstarkende Frauensportbewegung. Warum waren Frauen 1896 noch nicht dabei, sondern erst 1900 in Paris?
Coubertin begründete das mit dem historischen Vorbild, wo ja auch keine Frauen dabei waren – nur als Pferdezüchterinnen konnten sie damals passiv Olympiasiegerinnen werden. Andererseits war die Frauensportbewegung Ende des 19. Jahrhunderts noch ein zartes Pflänzchen, das nahm man noch nicht ernst. Die Kernsportart Leichtathletik kam prägnanterweise für Frauen auch erst 1928, nach Coubertins Zeit, ins Programm.
Was für ein Mensch war Coubertin?
Er war Humanist, ein gebildeter Kosmopolit. Und er war ein großer Reformer, wenn nicht Utopist. Er hat sportpädagogische Gesellschaften, er hat sogar Arbeiteruniversitäten gegründet, die nicht so sehr erfolgreich waren. Er hat über den Sport pädagogische Ziele anvisiert, über seinen Einsatz für den Schulsport, den Leistungssport und natürlich den Olympismus.
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