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Bildungsforscher über Abiturdauer„Es spricht nichts gegen das G8“

Viele Länder erlauben neben dem achtjährigen Weg zum Abitur auch wieder den neunjährigen. Bildungsforscher Horst Weishaupt verteidigt die Schulzeitverkürzung.

Ob 12 oder 13 (oder 14 oder 15) Jahre: Am Ende steht die Abiprüfung. Bild: dpa
Bernd Kramer
Interview von Bernd Kramer

taz: Herr Weishaupt, in Bayern dürfen Schüler, wenn sie wollen, bald wieder länger zur Schule gehen bis zum Abitur. Andere Länder machen es genauso. Ist das G8, also das auf acht Jahr verkürzte Gymnasium, gescheitert?

Horst Weishaupt: Nein. Wir haben vor einigen Jahren in Thüringen untersucht, welche Folgen die Schulzeitverkürzung hat. Auch da wurde die Frage diskutiert, ob man wieder zum neunjährigen Gymnasium wechseln sollte. Es spricht nichts dafür.

Was ist mit dem Stress durch die vollgestopften Stundenpläne?

Wir haben beobachtet, dass die Schüler durch G8 in den letzten Schuljahren weniger jobben und sich mehr auf ihr Abitur konzentrieren. Ich weiß nicht, ob das ein Grund zur Klage ist.

Mancherorts haben Teenager einen volleres Arbeitspensum als ihre Eltern. Nicht so schlimm?

Doch. Aber das ist eine Frage der Umsetzung. Die Kultusminister haben die zusätzlichen Stunden vor allem in die Mittelstufe gepackt und nicht in die Oberstufe. Andererseits: In unserer Untersuchung in Thüringen konnten wir nicht feststellen, dass die Freizeitaktivitäten der Mittelstufenschüler unter der höheren Stundenzahl gelitten hätten.

Archiv
Im Interview: Horst Weishaupt

64, ist Professor am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt und hat untersucht, ob 12 Schuljahre stressiger als 13 sind.

Lernen Schüler in acht Jahren nicht weniger als in neun?

Auch das nicht. Es ist gut belegt, dass das 13. Schuljahr den Gymnasiasten bisher nicht wirklich viel gebracht hat. Die Leistungen in Mathematik und den Fremdsprachen haben sich im letzten Schuljahr nicht mehr bedeutsam gesteigert. Rational gibt es keine Argumente gegen G8.

Rational gäbe es aber auch keine dafür.

Es gibt einen Punkt, den ich psychologisch für außerordentlich wichtig halte: Durch G8 schließen Gymnasiasten in der Regel mit ihrer Volljährigkeit die Schule ab, beides passt zusammen. Ein junger Erwachsener hat im Konfliktfall kurz vor dem Abitur Schwierigkeiten, seine Interessen gegenüber der Schule zu vertreten. Keine schöne Situation für jemanden, der doch längst mündig ist.

Warum ist das G8 so unbeliebt?

Ist es das wirklich? In den neuen Bundesländern, wo zwölf Jahre bis zum Abi in der DDR die Regel waren, hört man diese Klagen nicht.

In Bayern sind jetzt fast vier Prozent der Abiturienten durchgefallen. Vor G8 waren das ein Prozent.

Man muss sich im Detail ansehen, ob das wirklich mit G8 zusammenhängt. In der Übergangszeit sind solche Vergleiche ohnehin mit Vorsicht zu genießen. Es kann ja auch sein, dass die Lehrer in dem auslaufenden G9-Jahrgang mehr Schüler durchkommen lassen, weil diese das Jahr im G8-System nicht mehr sinnvoll wiederholen könnten.

Ist es richtig, neben dem achtjährigen Gymnasium auch das neunjährige anzubieten?

Absolut, solange man nicht grundsätzlich am G8 rüttelt. Wer seinem Kind neben der Schule mehr Zeit für Hobbys lassen möchte, soll die Möglichkeit dazu haben. So gibt es für jeden Lebensstil einen passenden Weg.

Bekommen wir so kein Zwei-Klassen-Abi: Die guten Akademikerkinder schaffen’s in acht, der Rest in neun Jahren?

Das Problem sehe ich nicht. Es kann gut sein, dass leistungsfähige Schüler das neunjährige Abitur leisten, um zum Beispiel Zeit für ein Auslandsjahr zu haben.

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6 Kommentare

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  • VG
    von Gallybee

    Meiner Meinung nach stellt sich die Frage - Warum wollen wir so viel Druck ausüben auf unsere Kinder, die im Leben noch schnell genug lernen, was es heiß Druck aushalten zu müssen!

    Ein kluger Kopf braucht auch Erholungsphasen !!

     

    Mich ärgert immer,das alle die G8 Befürworter sind aktuell keine eigenen Kinder im G8 haben.

     

    Das Auslandsjahr ist eine tolle Sache, bedarf aber einer finanzstarken Familie und meist sind die Schüler sogar zu jung!

    Früher zur Uni toll und was beklagt man da zur Zeit!!

     

    Der Bachelar und Master sind genauso überhastet eingeführt, wie das G8 und wer muss wieder drunter leiden? Die die nichts bestimmen konnten.

    Im Ausland selbst werden Stimmen hörbar, die sagen: Wo ist das gute alte Diplom ect.

     

    Man sollte zu den Themen auch Lehrer und Professoren anonym befragen, ich kenne keinen der die neuen Formen befürwortet.

  • WB
    Wolfgangn Banse

    Zum obigen Artikel hatte ich einen Kommentar verfasst.

    Versuch II.

    Zweigleisig fahren

    Das Abitur sollte nach G8 und nach 13 Schuljahren abgelegt werden konnen.

    Mit dieser Zweigleisigkeit könnten ERziehungsberechtigte,Schüler,Lehrkörper und Kultusministerien leben.

  • W
    wauz

    DDR und Gymnasium?

     

    Die Gymnasien in der DDR kann man zwar mit denen ihrer Zeit in der BRD vergleichen, man muss aber die besonderen, anderen Bedingungen sehen, unter denen sie existiert haben. Dieser fröhliche "Experte" übersieht völlig, dass in unsrer neuen, schönen Bundesrepublik das ganze System 'Gymnasium' in die Krise geraten ist. Tatsächlich macht es da keinen großen Unterschied, ob man G8 oder G9 besucht - die Schulform an sich ist nur noch unbrauchbar.

    Das ganze Schulsystem gehört überdacht. Und wenn man das tut, wird etwas herauskommen, das der Polytechnischen Oberschule sehr viel ähnlicher sieht, als einem Gymnasium heutiger Bauart.

  • WF
    wie flexibel..

    8 und 9 Jahre sind ja geradezu schwindelerregend viel Flexibilität. wer soll denn da noch den Überblick behalten, das flimmert ja nur noch so vor den Augen.

     

    Da muss es noch viel mehr Differenzierungsmöglichkeiten geben und zwar in beiden Richtungen. Hochbegabte leidern unter dem Schulsystem ja genau so wie gestresste G8ler.

     

    Da gäbe es so viele Möglichkeiten.

    Eine, für die man am bestehenden Unterrichtssystem gar nichts antasten müsste wäre zum Beispiel das Anbieten von mehr und regelmäßigeren externen Prüfungen. Wer die Abschlussprüfungen einer Klasse auch so schafft, muss sie nicht noch besuchen.

     

    Oder in seinen starken Fächern zwei Jahre weiter zu sein als in seinen schwächeren nd damit dann entsprechend früher durch zu sein... wenn man auch am Unterrichtssystem geringfügig zu modifizieren bereit wäre, könnte man da so viel machen.

  • M
    Muhkuh

    Da kann ich ja nur lachen. Zu meiner Zeit in Rheinland Pfalz hat das Abi 12,5 Jahre gedauert. Und wir hatten damals schon keine Wärmelehre, keine Relativitätstheorie, keine Kern- und Atomphysik, keine Elektronik/Festkörperphysik, keine Teilchen und Astrophysik durchnehmen können. Im letzten halben Schuljahr war nur Zeit für Quantenphysik, was beim G8 theoretisch auch wegfallen müsste.

     

    Dann fällt also im Prinzip alles weg, was irgendwie interessant sein könnte, was vielleicht jemanden dazu bewegt sich durch den Theoriescheiss durchzuquälen, einfach nur weil er dies und das verstehen möchte.

     

    Ansonsten wird unsere Welt immer komplexer und immer dynamischer. Wie will man so eine Welt in noch kürzerer Zeit verstehen. Und, wie will man gute Zukunftsprognosen machen (was für die Politik und Wirtschaft ENTSCHEIDEND wichtig ist), wenn man die Vorgänge und Zusammenhänge in der Welt nichtmal im Ansatz verstanden hat?

     

    Ja unser Bildungssystem hat Probleme. Aber was uns mit G8 als Lösung verkauft wird hat mich echt vom Stuhl.

  • JK
    Jörg Krauß

    Für sich betrachtet mag der 8er Zug durchaus Sinn haben oder auch machen. Genau gegenteilig möchte ich diese "Komprimierung" der Sinnesleistung und das massiv zu strukturierende und zu organisierende Freizeit- und Lernverhalten in den "Kernzeiten des Lebens" ausserhalb staatlicher Schulstrukturen eines Heranwachsenden als völlig daneben im Sinne der sozialen und kulturellen Komponente der Gesellschaft betrachten. Lehrer und Eltern sind diesem Prozess der "Komprimierung von Zeit- und Lebensabläufen" in Verbindung zu dessen durch Erwerbsleben zu finanzierenden Kostenrahmen zu großen Teilen wehrlos ausgeliefert. Ich kann diesem 8er Zug nur entgegenhalten, das es auch ein Recht auf kreative Pausen im Leben gibt. Und die sollten selbstbestimmt zu gestalten sein und nicht bürokratisch verordnet.