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Ein Meer voller Energie

Vor der britischen Atlantikküste wird mit deutscher Unterstützung versucht, die Meeresströmung zur Energiegewinnung zu nutzen. Das Unterwasserkraftwerk Seaflow, das vor zwei Jahren in Betrieb ging, funktioniert ähnlich wie eine Windkraftanlage

VON NICK REIMER

Windräder, Biogasanlagen, Wasserkraftwerke – knapp 11 Prozent des in Deutschland verbrauchten Stroms werden heute aus regenerativen Quellen gewonnen. Erneuerbare Energien sparen jährlich mittlerweile über 70 Millionen Tonnen Kohlendioxid ein – deutlich mehr, als die 10 Millionen Tonnen, die die deutsche Industrie im Rahmen ihrer Kioto-Verpflichtung noch bis 2012 einsparen muss. Neben der Strategie, etwa mehr Windräder aufzustellen und so die Windkraftindustrie auszubauen, gibt es Versuche, neue Technologien zu etablieren, mit der regenerative – also kohlendioxidfreie – Energie gewonnen werden kann. So arbeiten derzeit mehrere Institute daran, Energie aus dem Meer zu gewinnen. Theoretisch könnten die Meeresströmungen bis zu 10 Prozent des derzeitigen Weltstrombedarfs decken.

Meeresströmungsturbinen funktionieren praktisch wie eine Windkraftanlage – nur unter Wasser. Tatsächlich sieht die Turbine auch wie ein umgedrehtes Windrad aus: „Rohstoff“ ist nicht der Wind, sondern die Strömung des Meeres.

Die weltweit erste Meeresströmungsturbine ging im Juni 2003 wenige Kilometer vor der britischen Westküste in Nord Devons in Betrieb. Sie läuft und läuft und läuft – auch mit deutscher Unterstützung: Forscher des Kasseler Instituts für Solare Energieversorgungstechnik (ISET) hatten, gefördert durch das Bundesumweltministerium (BMU), ihre jahrelangen Erfahrungen mit Windkraftanlagen auf die Wasserkraft übertragen.

„Seaflow“ heißt das Projekt, das von der Britischen Marine Current Turbine Ltd als Hoffnungsträger einer neuen Branche betrieben wird. Der Rotor der Anlage mit einem Durchmesser von 11 Metern – angetrieben durch starke Gezeitenströmungen von 2,7 Meter je Sekunde – hat eine Leistung von 300 Kilowatt. Der Turm der Seaflow-Anlage ist etwa 15 Meter tief in den Meeresboden einbetoniert. Je nach Tidenhub und Seegang ragt die schwarz-rot lackierte Spitze der Anlage 5 bis 10 Meter aus der Wasseroberfläche hervor.

Im Unterschied zum Arbeitsmedium Luft ist das Antriebmedium Wasser dichter. Ein gleich großer Rotor erzeugt deshalb unter Wasser fünfmal mehr Energie als über Wasser. Um ein Megawatt elektrische Leistung erzeugen zu können, müsste eine Windkraftanlage einen Rotor von 55 Metern im Durchmesser haben. Unter Wasser könnte eine Seaflow-Anlage mit nur 20 Meter Rotordurchmesser die gleiche Leistung erzielen.

Der zweiflüglige Rotor dreht sich 15-mal in der Minute. Seine Blätter sind um 180 Grad verstellbar, um die Strömung sowohl bei Ebbe als auch bei Flut optimal ausnutzen zu können. Zu Reparatur- und Wartungsarbeiten kann der Rotor samt Generator am Turm hydraulisch über die Wasseroberfläche gefahren werden.

In Großbritannien werden zurzeit besondere Anstrengungen unternommen, das große Potenzial der Gezeiten, Wellen und Strömungen zu nutzen. Die Umweltverträglichkeit der Unterwasseranlagen gilt als hoch. Die Energieproduktion erfolgt geräuschlos und sauber, die weitgehend unter der Wasseroberfläche liegenden Kraftwerke zerstören das Landschaftsbild nicht.

Die wesentlichen Konstruktionsunterschiede der Anlage beruhen auf dem Arbeitsmedium: Unter Wasser sind die Belastungen wesentlich größer. Neben konstruktiven Lösungen wurden im Rahmen des vom BMU geförderten Projekts auch die Betriebsführung und Regelung mit Hilfe von Simulationen entwickelt und in der Anlage umgesetzt. Insgesamt hat der Versuchsbetrieb die Erwartungen der Entwickler erfüllt.

Die Konstrukteure fragen sich nun, wie die Kosten der Anlage reduziert werden können. „Darin liegt – wie auch bei der Windenergie – eine wesentliche Herausförderung von Offshore-Technologien“, erklärt Jochen Bard, der im Kasseler ISET das Seaflow-Projekt leitet. Die nächste Anlagengeneration soll dem Rechnung tragen, indem mit einem Doppelrotor eine Leistung von einem Megawatt erzielt wird. Auch hier werden wieder Entwicklungslösungen und Komponenten aus Deutschland einfließen.

Für die Förderung durch das BMU steht nicht so sehr der Einsatz dieser Technologie in deutschen Gewässern im Vordergrund. Diese haben im Vergleich zur britischen Küste eher wenig zu bieten. Vielmehr liegt die Motivation zum einen in dem Beitrag zum Klimaschutz durch die Reduktion des Abbaus fossiler Ressourcen und zum anderen in der Chance für deutsche Zulieferer auf eine Exporttechnologie in einem nicht unerheblichen Ausmaß. Ein kommerzieller Erfolg lässt Investitionen in erheblichem Umfang zu erwarten. Von den weltweit 6,3 Milliarden Euro Umsatz der Windindustrie im Jahr 2004 wurden über 3 Milliarden in Deutschland erwirtschaftet. Mit sehr ähnlichen Kostenansätzen wie bei der Offshore-Windenergie ist es zumindest im Bereich des Möglichen, wenn nicht sogar wahrscheinlich, dass auch Meeresströmungsturbinen einmal ihren Beitrag zur einer nachhaltigen Energieversorgung leisten können.

Vorstellbar ist auch, dass Betreiber von Offshore-Windfarmen mit denen von Strömungskraftwerken gemeinsame Sache machen und sich Standorte und den Netzanschluss teilen. Das dürfte die Ökologen freuen, weil dann insgesamt der Flächenbedarf verringert wird. Bisher haben die geplanten Projekte im Rahmen von Umweltverträglichkeitsprüfungen gute Noten bekommen. Aber auch hier steht die Wissenschaft noch am Anfang. Denn obwohl zwei Drittel der Erde mit Wasser bedeckt sind, wissen wir dennoch erstaunlich wenig über diesen Lebensraum.

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