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DIE WAHRHEITPickende Plage

Die Hauptstadt der Krähen.

Insgeheim streben die krakeelenden Krähen offenbar die unbegrenzte Herrschaft über die Hauptstadt an. Bild: ap

Nahezu unbemerkt haben die Krähen die Macht in Berlin übernommen. Das permanente Gegurre und Gebalze des lästigen Taubenvolks in den Hinterhöfen ist einer paradiesischen Ruhe gewichen, die nur manchmal durch knarzendes Krächzen kurz unterbrochen wird. Sollte etwa Freund Habicht der Taubenplage ein natürliches Ende gesetzt haben? Man könnte eher sagen, dass die lästige Taube Opfer einer biologischen Gentrifizierung geworden ist.

Die Bestände der eher schlichten Stadttauben wurden bereits von den listigen Elstern dezimiert, die als Nestplünderer und Eierdiebe ihresgleichen suchen. Doch auf einem kurzen Interregnum des Elsternvolks folgte nach einigem Krakeelen im Hinterhof die Herrschaft der Nebelkrähen. Diese kamen erst vor rund 20 Jahren aus den Nebeln Brandenburgs nach Berlin, und ihre Zahl wuchs laut dem Naturschutzbund Nabu auf etwa 5.000 Brutpaare. Fortan sah man die stolzen Rabenvögel über Autodächer und Bürgersteige spazieren. Welche Würde des Ausdrucks gegenüber dem hektischen Herumgerenne der ewig aufgeregten Stadttauben!

Der Berliner an sich nahm wenig Anteil am ornithologischen Machtwechsel auf dem Trottoirs der Stadt und wunderte sich höchstens beim Taubenfüttern ein wenig. Doch dann störten ihn alarmierende Nachrichten auf: „In Berlin greifen die aggressiven Krähen an“ (Welt) und „Krähen attackieren Hauptstadtbewohner“ (Frankfurter Rundschau). Wollten die Krähen jetzt die Gesamtherrschaft über die Stadt?

Nein, es war Mai, und die Nestlinge wurden zu Ästlingen und fielen aus den Bäumen ins Gebüsch. Mit anderen Worten, die jungen Nebelkrähen starteten ihre ersten Flugversuche, was meist mit sehr viel Herumklettern im Geäst verbunden ist. Die besorgten Elternlinge müssen dann ihren Nachwuchs gegen die Mitleidsattacken der besorgten Hauptstädter verteidigen, die den „hilflosen“ Jungkrähen helfen wollen. So wird dem Hauptstädter dann schon mal an den Haaren geziept oder der Ohrwatschel langgezogen.

Was Krähen aber gar nicht mögen, sollte der 40-jährige Thorsten A. feststellen. Er telefonierte gerade, als er „einen dumpfen Schlag auf dem Hinterkopf“ verspürte, schrieb das krähige Blatt Die Welt. Eine aufgebrachte Krähe war’s. Gut so, denn dieses ewige Telefonieren nervt nicht nur die klugen Krähen.

Intelligent sind sie nämlich, laut Louis Lefebvre von der kanadischen McGill-Universität weisen die Krähen den höchsten Vogel-IQ auf. Am Schluss, noch hinter den tumben Tauben, liegen Emu und Wachtel. Schon Brehm hatte 1873 in seinem „Tierleben“ den Krähen bescheinigt, „geistig begabt“ und „feinsinnig“ zu sein.

Kein Wunder, dass sich die feinsinnigen Vögel in der Parkanlage am Deutschen Theater im Bezirk Mitte ansiedelten. Leider musste die Anlage dann zeitweilig gesperrt werden, weil die Krähen übel randalierten und attackierten. Betrüblich.

Brehm kommentierte die Lage seinerzeit schon und beschrieb, dass die umtriebigen Krähen „sich überall zu schaffen machen“ und sie dabei „allerlei Unfug“ stiften. Diesen ausgeprägten Spieltrieb bekam die Deutsche Bahn kürzlich zu spüren. Entsetzt stellten die Bahner fest, dass die frechen Vögel die Dichtungen aus dem Dach des Hauptstadtbahnhofs picken. Auch das Silikon des Olympiastadiondaches ist vor den Krähen nicht sicher. Sollte nach Hertha BSC auch noch das Stadiondach abstürzen? Im Übrigen versichert Brehm, dass die klugen Nebelkrähen auch sprechen lernen, die seltenere Saatkrähe, die in Tegel horstet, soll sogar lernen zu singen!

Erschrockene Bewohner des Universitätsviertels Dahlem beobachteten, dass Krähen Knochen unter Autowischblätter klemmten, um dann die Knochen zu bearbeiten. Vorsicht, Krähenvolk, pass auf, dass der gereizte Dahlemer nicht zurückschlägt, denn seit jeher wird Krähenfleisch vom Menschen sehr geschätzt. Im Netz kursiert dazu ein Rezept „Brustroulade von der Krähe“. Die Autorin namens Lille versichert, dass selbst „alte Flatterflieger“ im Topf zart werden. Im Innern sind die streitbaren Krähen also weich. Typische Berliner eben!

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