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Buch über Gangsta-RapBourdieu erklärt Bushido

Der Gangster, seine Hood, das Ghetto, der soziale Brennpunkt: Die Anthologie „Deutscher Gangsta-Rap“ betrachtet diese Phänomene wissenschaftlich.

Vom Stil zwischen Dealer und Mafiaboss: Big Boi von Outkast. Bild: dapd

BERLIN taz | „Montag, acht Uhr morgens auf dem Sofa / Voll stoned, kein Bock, Totalschaden, Koma / 24/7, Matrix, aufstehen, ready for action / Doppelleben, rausgehen, Baustelle in Kauf nehmen / Acht Stunden, hart schuften / Nach Feierabend weitermachen und dann Drugs pushen.“

Die Zeilen des Frankfurter HipHop-Duos Celo & Abdi erzählen vom unromantischen Alltag des Kleinkriminellen. Ihre Musik wirkt auf Schulhofbanditen wie BWL-Studenten gleichermaßen anziehend. Celo & Abdis Debütalbum „Hinterhofjargon“ ist kürzlich auf Platz 8 der Charts eingestiegen, ohne Promo oder Majorlabel im Rücken.

Fasziniert sind die Fans vor allem von der glaubwürdigen Inszenierung der beiden MCs. In Videos sieht man sie durch ihr Frankfurter Milieu schreiten, während eines Interviews grillen sie Köfte bei Freunden und legen dabei ihre eigenwillige Weltanschauung dar, an der sich die Geister scheiden und auch scheiden sollen.

Celo & Abdi wären ein Fallbeispiel für „Deutscher Gangsta-Rap“, ein Buch, das sich mit dem Phänomen des Gangsta-Rap in Deutschland in sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive auseinandersetzt. Es bietet endlich eine anspruchsvolle Grundlage zur Diskussion der Anschauungen eines umstrittenen Popgenres. Anders als es einseitige Talkshowdebatten über den moralischen Wert von Gangsta-Rap darlegten, herrschte besonders in den letzten Jahren ein großes Interesse an der öffentlichen Ächtung der sexistischen und gewaltverherrlichenden Inhalte seiner Songs.

Männlichkeitskonstruktionen und Selbstinszenierungen

HipHop-affine Akademiker um die Herausgeber Martin Seeliger und Marc Dietrich nehmen Gangsta-Rap nun mit ihrem theoretischen Werkzeug auseinander. Meist gelingt das erstaunlich klar und ohne große Umwege. Es geht um Männlichkeitskonstruktionen und Selbstinszenierungen häufig migrantischer und zumindest ursprünglich sozial benachteiligter Rapper. Bourdieu erklärt Bushido, gewissermaßen.

Parallel werden auch mediale Wahrnehmung und Stereotypisierung der migrantischen Jugend skizziert. Unterschwellig stellt sich häufig die Frage nach Ursache und Wirkung.

Blonde deutsche Jungs imitieren die Phrasen von Celo & Abdi nachts in Berliner U-Bahnen, über YouTube erreicht das Duo 2,5 Millionen Menschen binnen eines Monats. Vokabeln aus dem Arabischen, Jugoslawischen und Türkischen sind ebenso fester Bestandteil von Celo & Abdi wie ihre charakteristischen Betonungen und das heftig rollende „R“. Innerhalb der HipHop-Szene klingt der Begriff Gangsta-Rap freilich inzwischen ziemlich abgeschmackt. Daher befindet sich dieses Subgenre ständig im Prozess der Neudefinition.

Celo & Abdi etwa nennen ihren Sound „Azzlack Musik“, doch im Grunde geht auch ihr Style auf Gangsta-Rap zurück, der sich bestimmter Stilmittel und Sprachbilder bedient. Im Mittelpunkt steht – wie sollte es anders sein – der Gangster und seine Hood, das Ghetto, der soziale Brennpunkt.

Was in den USA Ende der Achtziger mit Kool G Rap und N.W.A. begann, schwappte zehn Jahre später nach Deutschland und erreichte seinen medialen Höhepunkt nach der Jahrtausendwende mit den Künstlern um das Label Aggro Berlin. Selbstverständlich wird das profitable Image des Gangsta-Rappers nach allen Regeln des Kapitalismus vermarktet, doch trotzdem bieten seine Vorstellungswelten unabweislich Bezüge zur sozialen Realität und ebenso Identifikationsangebote für Jugendliche jeglicher Herkunft.

Ursprung in sozialer Ungleichheit

Schon die Ursprungserzählung der HipHop-Kultur, vermerkt der Soziologe Martin Seeliger, bezieht sich auf soziale Ungleichheiten, die sich in abgeschiedenen Wohnvierteln, sozialem Status und dem damit einhergehenden Ausschluss von gesellschaftlichen Diskursen manifestieren.

Die Umkehrung dieser Außenseiterrolle in den erfolgreichen, gefährlichen und überpotenten Gangsta-Rapper erfolgt am eindringlichsten über die Abgrenzung vom etablierten Teil der Gesellschaft und dessen Habitus.

Dementsprechend widerspenstig und plakativ funktioniert die Rhetorik. So variabel die Auslegung des „Gangsters“ ausfällt – vom Grasdealer bis zum Mafiaboss –, so unterschiedlich reflektieren auch die einzelnen Künstler jeweils ihren Blick auf Lebensraum und Umstände.

Gangsta-Rap muss nicht unbedingt Gewalt verherrlichen, nur weil er diese thematisiert. So hinterfragen auch die Autoren von „Deutscher Gangsta-Rap“, ob die entrüstete Gesellschaft jene Themen, die in den Reimen explizit zum Ausdruck kommen und an denen sie Anstoß nimmt, nicht selbst produziert. Sexismus und Gewalt sind sicher keine Erfindung von Gangsta-Rap.

Trotzdem wünscht man sich, das Buch wäre einige Jahre früher erschienen, als Gangsta-Rap noch zu den heißen Themen des Feuilletons zählte; noch bevor sich die Talkshowdauergäste Sido und Bushido zur kleinbürgerlichen Existenz bekannten.

Andererseits erlaubt die zeitliche Distanz den Autoren, eben jene stereotypisierten Bilder äußerst kritisch unter die Lupe zu nehmen. Und das ist eine große Bereicherung, nicht nur für die HipHop-Kultur, sondern gerade für den öffentlichen Diskurs.

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9 Kommentare

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  • RC
    Rocksteady Crew

    Sorry, aber mit Hip, Hop, Rap, Musik und Kultur hat das nichts zu tun. Das sind Waschsysteme für Drogen- und Prostitutionsgelder. Und die Gesellschaftsunterhaltungsmedien forcieren das um die Angst der Bevölkerung zu eliminieren. Schau doch, der ist im Fernsehen und bekommt einen Integrationspreis. Das kann doch gar kein böser sein. Der tut nichts. Der will nur spielen.

    Erbärmlich diese Posse.

  • S
    somi

    über 10 Jahre später und es hallt immer noch der Absatz des Buches "no logo" von Naomi Klein in meinem Kopf nach, in welchem Sie bemerkt, dass der Erfolg des "Gangsta"-Image weitgehend zwei Eckpunkte anvisiert.

     

    Die einen wollen raus aus "dem harten Leben" und erheben den Ihnen durch Mainstream-Medien angepriesenen Idealismus des Konsums zur Befreiungs-Götze, die anderen wollen sich ihrer suburbanen, gefälligen und dadurch fettleibig langweiligen Suburbanität erwehren und iterieren jener Parameter als angeblich verwegenes Image.

     

    Es gewinnt der Markt. Man fresse seinen Daseinsvorschlag. Was nicht fehlt ist Motivation, was fehlt ist die Perspektive zum tatsächlichen Anders-Sein.

     

    Willkommen im Ich als reaktionär-konservatives Kasperltheater. Warum auch nicht? Das Etablissement - egal ob künstlerisch oder anderweitig - hat die Egomanie ja eh schon längst zum höchsten Bildungsziel erklärt.

     

    Das einzige was mich wirklich noch ärgert ist, dass ein musiklaisches Genre, welches sich einst auf die Form Text als hohes Gut verstand, noch immer in Belanglosigkeit wandelt. Daran scheint sich ja auch weder bei den roughen Gangster-Kiddies noch bei irgendwelchen, bunt verpackten Exaltierungshampelmännern und Frauen irgendwas zu ändern.

     

    Positiv, im Sinne dessen was ich mir von diesem Genre erhoffe, war übrigens die Platte "Shabazz Palaces - Black up".

  • GN
    Gruß nach 361

    Es gibt authentischen Rap von der Straße auch in Deutschland.

     

    BERLIN! sonst findet ihr in nirgendwo mit Ausnahme von Azad aus Frankfurt. Tiefgründige Texte mit Inhalt die das Leben auf der Straße und den alltäglichen Stress widerspiegeln. Gesellschaftskritik und Kraftspendende Lieder. Auch N.W.A. waren politisch motiviert und deren Texte voller Botschaften. Das ist Rap. Eine Stimme der Stummen. Der Unterdrückten und der Sklaven. Widerstand! Und nicht so eine Saftbefehl oder Clo kacke die nur über sich selbst rappen. Der eine wie krass er ist und der andere wie toll er ist. Läuft dieser Haftbefehl und Konsorten doch tatsächlich mit Thug Life Klamotten rum, denkt er lebt den Lifestyle und beleidigt alle Frauen als Schlampen. Tupac würde sich im Grab umdrehen. Denn er hat diesen Begriff geprägt und gelebt und genau dafür mit dem Tot bezahlt. Aber er hatte Respekt vor Frauen und war ein Aufrechter mutiger Mensch. Ein Vorbild. Haftbefehl ist auch ein Vorbild aber ein sehr gefährliches.

     

    " Haftbefehl ist cool? Nein ich halte nichts von Rap Beef aber Bruder seit er da ist sieht man kleine Kinder Flex ziehen." Zitat PA Sports, 100 Bars reloaded. Er triffts auf den Punkt.

     

    Als Vertreter des Authentischen Deutschen Straßen Raps kann man hier aufjedenfall B-Lash und Mc Bogy aufführen. Authentisch, Ehrlich, Sensibel, Furchtlos und eben echte Männer die wissen wie das Leben läuft und die wissen wovon sie sprechen. Der rest sind halbstarke Kleinkinder. Um es mit B-Lash Worten zu beenden :

     

    " In einer Welt wo jeder zweite nur an Cheddar denkt/ sieht man keine Hoffnung mehr, der Grund ist eure Dekadenz/ Du siehst den reichen Rapper floskeln in nem Benz/ Er ist kein Idol Homes, er bläßt sein Boss für den Benz.

     

    Gruß geht raus an Bushido und Konsorten. ;-)

  • SV
    Sabbelmucke von Kopisten

    Das unreflektierte Kopieren afroamerikanischer Musik hört sich nicht nur eklig an, weil deutsches Gestammel und Zwangsgereime einfach mal gar nicht dazu passt, sondern hat es sogar vorbereitet, daß jetzt auch Nazis meinen rappen zu dürfen.

    Lesen kann man die Texte zur Not noch, aber sobald es aus den Boxen kommt ist es ein einziger Kotzreiz und um die Texte auch akustisch zu verstehen, müßte man den Scheiss auch noch 10 Mal hören. Dann lieber die Originale, die eignen sich zur Not als Comik und haben wenigstens richtigen Groove.

  • R
    Rurik

    Wozu ein "wissenschaftliches" Buch schreiben?

    Die sozial-romantische Darstellung des edlen Wilden, der nicht anders kann als kriminell zu werden, kann man sich nur erlauben, wenn man weitab von diesen "sozialen Brennpunkten" lebt und nie was mit diesen Leuten zu tun hatte. Es ist absurd, dass manche deutsche Linke versuchen, diese tiefsitzenden, rassistischen, homophoben, und sexistischen Strukturen in manchen Migranten als Folge der angeblichen Unterdrückung durch die Mehrheitsgesellschaft abzutun, nur weil man meint einen potenziellen Partner im Kampf gegen das Establishment zu haben. Dabei widersprechen die "Gangster" mit ihrem Materialismus und ihrer ausgeprägten Intoleranz, sämtlichen! sogenannten linken Idealen.

    Ich habe viele solcher Leute gekannt, niemand hat sie gezwungen Drogen zu verkaufen, Leute abzuziehen, zu verprügeln etc.

    Aber sie haben ganz offen mit mir geredet, weil wir "Ausländer" halten ja zusammen usw.... Und am besten finde ich, dass "Gangster" über Hippies, Ökos und Punks einfach nur lachen.

    Sind alles nur Weicheier, weisse Frauen nur Schlampen.

    Aber das wollen die Linken nicht wahrhaben, weil sie in einer Traumwelt festhängen in der am Ende alles gut wird.

    Würde ein Deutscher übers Heimatland, Frauen schlagen, Schwule schlagen, Knastleben und am Besten noch über Gott rappen, würden alle "Nazi" schreien. Zurecht.

    Wenn das aber jemand macht, dessen Haut einen etwas anderen Pigmentierungsgrad hat, zeigt man sich verständnivoll. Absurd

  • JH
    jan hoffmann

    "Jugoslawisch" - von der Existenz dieser Sprache wusste ich bislang nichts, werde aber mal bei Bourdieu nachlesen, der das sicherlich aufklären wird...

  • G
    Gangstapudel

    Auch starke Frauen machen Gangsta-Rap und liefern freche moderne Weiblichkeitskonstruktionen.

     

    http://www.youtube.com/watch?v=VTx1UET_m7Q

     

    Supitaff!

  • J
    JimmyConway

    Es gibt keinen deutschen "Gangsta Rap"...hier ist alles "Ich will ins Ghetto Rap"!

    Fragt mal Leute aus Queens oder Compton, die rappen zwar Gangsta, wollen aber trotzdem lieber raus aus dem Viertel weil es zu krass ist. Hier wollen alle Cowboy spielen weil sie denken dann noch cooler zu sein, setzt du die an der 41st in Queens aus oder sie würden schon 2 Jahre in einer Eastside L.A. Gang sein, würde es anders aussehen.

  • TL
    Tim Leuther

    "Bushido" - ist ein Marke des Geschäftsmanns Anis Fercici, welcher aus dem "Ghetto" Lichterfelde stammt. Man kann ihm nur zu seinem Erfolg gratulieren.

     

    Frauen- und Schwulenfeindlicher als so manches was vor 10 Jahren noch unter "Volksmusik" im öffentlich-rechtlichen lief sind die Produkte von "Bushido" auch nicht. Aber weil die Marke als "Outlaw" positioniert ist, regen sich alle auf. Exakt dies ist Teil des Businessplans für die Marke "Bushido" - spart es doch Marketingkosten. Diese nämlich selbst zu finanzieren ist nämlich würde die Deckungsbeiträge der Produkte der Marke "Bushido" übertreffen.