piwik no script img

Günter Wallraff zum 70. GeburtstagTräume eines Kämpfers

Sein Leben lang hat der Journalist Günter Wallraff Unrecht aufgedeckt: Ausbeutung, Rassismus, Erpressung bei „Bild“. Jetzt ist er 70.

Albträume zum Geburtstag: Günter Wallraff. Bild: dpa

Er träume von Flugzeugabstürzen und Entführungen. Er denke an den Tod. Er klingt, als sehne er sich nach einer Krankheit, damit Ruhe ist.

An einem Septemberabend, nach eineinhalb Stunden Gespräch, holt Günter Wallraff ein Notizbuch aus dem Wohnzimmer, blauer Einband. Nachts, wenn er aufwacht, dann schreibt er seine Träume auf, die guten und die schlechten, jetzt sitzt er in seiner Küche und liest vor. Drei schlechte, ein guter.

Im ersten Traum ist er bei einer Familie. Bei Menschen, die ihn mögen. Er fühlt sich geborgen. Dann dringen Verfolger ein. Sie wollen ihn foltern und lebendig begraben. Er will um Hilfe schreien, aber er bringt keinen Laut heraus. Die Familie schaut zu. Die Verfolger zwingen ihn in einen orangefarbenen Overall. „Wie sie Häftlinge in Guantánamo tragen“, hatte Günter Wallraff in der Nacht notiert.

Im zweiten Traum nimmt er an einer Beerdigung teil. Er weiß nicht, wer gestorben ist. Der Sarg wird über verschlungene Wege getragen und senkrecht in eine Felswand gestellt.

Im dritten Traum erlebt er eine Notlandung. Er bleibt unverletzt. Die Passagiere sind in der Gewalt von Geiselnehmern. Ihm gelingt die Flucht. Er trifft auf eine Gruppe von jungen Menschen, die sich flüsternd in einer Sprache unterhalten, die er nicht versteht. Als er sie anspricht, wenden sie sich ab. Sie sind mit den Geiselnehmern verbündet.

„Nur so scheiß Träume“, sagt Günter Wallraff.

Ein Lachen endet als Seufzer

Er klappt das Notizbuch zu. Am Nachmittag hatte er am Telefon überrascht geklungen. Sein Geburtstag am 1. Oktober, der Siebzigste? „Wenn ich den noch erlebe“, hatte Günter Wallraff gesagt und etwas hinterhergeschoben, was zunächst als Lachen begann, dann abstarb und als Seufzen endete.

Wallraff, frühe Erfolge

Die Person: Günter Wallraff wird am 1. Oktober 1942 in Burscheid geboren. Als Schüler fängt er an zu schreiben. Heinrich Böll ermutigt ihn, seine Erfahrungen bei der Bundeswehr zu veröffentlichen.

Die frühen Werke: In den sechziger Jahren recherchiert Wallraff als Arbeiter in Großbetrieben, 1970 veröffentlicht er den Band „Industriereportagen“. 1977 schleicht sich Wallraff bei Bild ein, seine Recherchen erwecken großes Aufsehen. 1983 arbeitet er als Gastarbeiter Ali bei verschiedenen Unternehmen. Das Buch „Ganz unten“ wird zum Bestseller, es verändert den Blick auf die Situation der Gastarbeiter in Deutschland.

Köln, Thebäerstraße, hier wohnt er seit Jahrzehnten. Am Klingelschild schwingt sich sein Name, zweimal zwei Silben, knapp und prägnant wie seine Sprache. Es ist nicht leicht, ihn falsch zu verstehen, außer man legt es darauf an. Er macht kaum Schlenker, er klingt nach Arbeit, nach Schweiß; er hört sich noch immer an wie das Inhaltsverzeichnis eines seiner Bücher, „Industriereportagen“, erschienen im März 1970.

Am Fließband, Seite 7. Auf der Werft, Seite 29. Im Akkord, Seite 45. Im Stahlwerk, Seite 67.

Günter Wallraff könnte längst ein Denkmal sein. Er hat das Land verändert und den Journalismus in diesem Land. Wallraff, der Undercover-Rechercheur. Seit fünfzig Jahren schreibt er sich in die Bücherregale der Republik. Er enthüllt Ausbeutung, Rassismus, Feigheit, Unterdrückung. Nicht allen gefällt das, einige fühlen sich davon provoziert.

In den Siebzigern soll es vorgekommen sein, dass Passanten auf den Boden spuckten, wenn sie Günter Wallraff sahen. Die Bild-Zeitung klagte und hetzte gegen ihn und ließ sein Telefon abhören. Das ist heute anders, Deutschland ist lässiger geworden, das edle Zeit-Magazin setzt Günter Wallraff aufs Cover. Er könnte sich feiern lassen und vielleicht etwas ausruhen, wäre da nicht die Sache mit dem Mitarbeiter, der ihn fertig macht, und gäbe es nicht noch immer Menschen, die ihm die Anerkennung verwehren.

Dieses Jahr, kurz vor seinem siebzigsten Geburtstag, sollte Günter Wallraff für sein Lebenswerk ausgezeichnet werden, bei einem renommierten Journalistenpreis. Es hätte Sekt gegeben und den Applaus der gesamten Branche. Doch im letzten Moment entschied man sich doch für einen anderen Kandidaten. So richtig schlimm fand das Günter Wallraff nicht. Er mag keine Empfänge, sagt er.

Er will sich nicht abheften lassen. In seiner Wohnung bewegt er sich, Treppen hoch, Treppen runter, als wolle er keine Zeit an den Alltag verlieren. Als sei man hinter ihm her.

Nicht Wallraff sucht die Missstände, sie suchen ihn

Es ist längst nicht mehr so, dass Günter Wallraff Missstände suchen muss. Die Missstände suchen ihn. Er ist nicht mehr nur Autor und Journalist, er ist so etwas wie eine Agentur: Die Menschen haben Sorgen, sie wenden sich an ihn, oft anonym. Und er überlegt, was man tun kann: Ein Anruf beim Chef? Eine Mediation? Die große Enthüllung?

Briefe in der Küche, Briefe im Wohnzimmer. Das Telefon klingelt, das Handy piepst. Zwischendurch sitzt Günter Wallraff erstarrt am Küchentisch. Er sieht dann aus wie seine eigene Wachsfigur.

Es gibt ein Prinzip im Leben von Günter Wallraff: Da sind die Sorgen der anderen. Und da sind seine Sorgen. Doch solange die Sorgen der anderen größer sind, muss er weitermachen.

An einem Morgen im Februar 2008 steigt Günter Wallraff, er ist zu diesem Zeitpunkt 65 Jahre alt, auf sein Rennrad und fährt durch einen Wald im Hunsrück, Rheinland-Pfalz. Im Ort Stromberg, 3.200 Einwohner, hält er an einer Fabrik, der Backfabrik Weinzheimer. Er hat einen Hinweis erhalten, einen Hilferuf, wie so oft.

Doch dieser Fall, diese unscheinbare Fabrik im Hunsrück, wird Günter Wallraff verfolgen. Die Sorgen der anderen sind bald seine eigenen.

Verkleiden um zu demaskieren

Im Verletzungsbuch der Fabrik notieren Mitarbeiter: „Haut aufgerissen“, „Platzwunde Kopf“, „Oberarm links beim Putzen verletzt“, „Schulter Haut aufgerissen“, „aufgeplatzte Wunde“, „Verbrennung rechter Arm“, „Schnittwunde“, „Verbrennung am linken Arm“, „linke Hand und Mittelfinger aufgerissen“, „Kopfwunde“. Ein Anwalt des Fabrikchefs wird später sagen, es habe sich bei den Verletzungen um „Petitessen“ gehandelt.

Günter Wallraff schleicht sich an diesem Februarmorgen ein, er schreibt eine Reportage, er dreht einen Film. Er tut das, was er seit fast einem halben Jahrhundert tut: Er tat es als Reporter bei Bild in Hannover, als Arbeiter in einer Werft in Hamburg, in einem Call-Center in Köln, bei Thyssen-Krupp, bei einer Versicherung. Er ist der Mann mit den Masken, ungeschminkt wirkt Günter Wallraff fast scheu.

Man muss sich verkleiden, um die Gesellschaft zu demaskieren, sagt er.

Günter Wallraff hat einen Namen, doch Bernd Westerhorstmann, der Chef der Brötchenfabrik in Stromberg, hat Geld. Er engagiert einen prominenten Medienanwalt mit Gelfrisur, Ralf Höcker. Er beißt sich an Günter Wallraff fest.

Es folgt ein Strafprozess vor dem Amtsgericht Bad Kreuznach. Es folgt ein Zivilprozess vor dem Landgericht Köln, vier Jahre nach der Enthüllung, im Januar 2012. Und im Juli folgt der Verrat.

Wie Ausbeutung funktioniert

„A Punkt, F Punkt“, sagt Günter Wallraff, wenn er sich an jenen Mann erinnert, an den er sich nicht erinnern will, er will nicht mal seinen Namen in der Zeitung lesen: André Fahnemann, 34, bleiches Gesicht, oft trägt er einen leichten Schal um seinen Hals. Fast vier Jahre hatte er für Wallraff gearbeitet, er saß im Erdgeschoss von Wallraffs Haus in der Thebäerstraße, er beantwortete E-Mails und begleitete Wallraff zu Gerichtsterminen. Auch zu jenem Termin im Januar vor dem Landgericht Köln, einem braunen Hochhaus, zehn Autominuten von Wallraffs Wohnung entfernt.

Ralf Höcker, braun gebrannt, sehr reine Haut, geht in den Prozesspausen die Gänge entlang. Er hält ein Handy am Ohr. Günter Wallraff, randlose Brille, blaues Hemd, steht im Saal.

An diesem Freitag im Januar geht es um Formulierungen. Ralf Höcker setzt für seinen Mandanten, den Brötchenfabrikanten aus Stromberg, durch, dass Wallraff nicht mehr öffentlich äußern darf, „alle“ seine Kollegen in der Fabrik hätten Verbrennungen gehabt, sondern nur „fast alle“.

Günter Wallraff krempelt sein Hemd hoch, flucht und zeigt der Richterin eine Narbe. Der Medienanwalt mit Gelfrisur unterstellt Wallraff, er habe sich die Verletzung anschminken lassen. Er wirft ihm vor, Wallraff würde sein Buch nur in der Hand halten, um Werbung zu machen, auf den Zuschauerplätzen sitzen ehemalige Mitarbeiter Wallraffs aus der Brötchenfabrik.

Sie müssen kein Buch lesen, um zu wissen, wie Ausbeutung funktioniert.

Und Günter Wallraff, der Gehetzte, flucht ein weiteres Mal, weil er Besseres zu tun habe als das hier: neue Recherche, neue Missstände. Die Sorgen der anderen. Er steckt mitten in seiner Recherche als Bote beim Paketzusteller GLS.

Er muss Pakete tragen. Er muss Treppen hinaufrennen und hinunter. Die Geschichte heißt „Des Anderen Last“, ursprünglich ein Zitat aus der Bibel, Neues Testament, der Paulusbrief an die Galater. Den Film dazu zeigt RTL, irgendwann zwischen „Schwer verliebt“ und „Bauer sucht Frau“.

Wallraff im Privatfernsehen. Ist RTL denn besser als Bild? Wenn man Günter Wallraff diese Frage stellt, dann reagiert er ungeduldig, genervt und im nächsten Moment erschrocken.

Moral ist eine Zeitfrage und Günter Wallraff ein gehetzter Held.

In den Verhandlungspausen, Landgericht Köln, eilt André Fahnemann durch die Gänge und verteilt Dokumente, unauffällig ist er, still, er ist ein Zeuge im Gerechtigkeitskampf, noch ist er Wallraffs Helfer, kein Protagonist; der wird er erst noch werden. Und dann wird er Gerechtigkeit anders buchstabieren.

Am 30. Juli veröffentlicht der Spiegel einen Text, der sich auf Aussagen Fahnemanns stützt – mit Foto von ihm und vollem Namen. Er sei von Wallraff ausgenutzt worden, habe bügeln und einkaufen müssen, er habe für ihn bei Hugo Boss um kostenlose Reisetaschen und bei Montblanc um vergoldete Wecker gebettelt. Wallraff sei ein „absoluter Egomane“. Und ein Langschläfer.

André Fahnemann erlebt kurze Tage des Ruhms. Er ist jetzt der Mann, der behauptet, Deutschlands bekanntesten Enthüllungsjournalisten mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Auf seinem Blog zitiert er Rosa Luxemburg: „Wie Lassalle sagte, ist und bleibt die revolutionärste Tat, immer das laut zu sagen, was ist.“

Zwei Wochen später beschreibt der Spiegel, wie Fahnemann vom Anwalt des Brötchenfabrikanten, Ralf Höcker, zur Staatsanwaltschaft begleitet wird. Gemeinsam übergeben sie Dokumente. Fahnemann hat nun endgültig die Seiten gewechselt.

Am 6. September spricht das Amtsgericht Bad Kreuznach Bernd Westerhorstmann, den Brötchenfabrikanten aus Stromberg, vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung frei.

Fahnemann kommuniziert mit Wallraff nur noch über das Internet, für jeden lesbar. Auf seinem Blog schreibt er Ende August „eine Nachricht an Günter“. Der erste Satz klingt noch versöhnlich, der zweite wütend und der dritte wie eine Drohung: „Ich habe nicht vor dich zu ’zerstören‘, dann hätte ich ganz andere Dinge auf den Tisch gelegt (du weißt vielleicht was ich meine).“

Für eine Anfrage der sonntaz ist André Fahnemann nicht zu erreichen. Man würde ihn gerne persönlich fragen, was ihn so wütend macht und vor allem: wer. Ob es Wallraff war – oder jemand ganz anderes. Vielleicht würden die Antworten helfen, um Günter Wallraff zu verstehen. Vielleicht aber würden sie nur dazu beitragen, André Fahnemann zu verstehen.

„Er hat mich zeitweise vielleicht auch überhöht“, sagt Günter Wallraff.

Wenn er sich an Fahnemann erinnert, auch wenn er sich eigentlich nicht erinnern will, dann spricht er von einem Moment, einem „Schlüsselmoment“, wie er sagt. Sie saßen zusammen und diskutierten.

„Jeder Mensch ist käuflich“, habe Fahnemann gesagt.

Verabscheuenswürdig und skrupellos

Menschen, die sich diesen Satz zu eigen machten, seien verabscheuenswürdig und skrupellos, habe er, Günter Wallraff, geantwortet.

A Punkt, F Punkt. Was da passiert sei, sagt Wallraff, das schüttele er nicht so einfach ab.

Wallraffs Handy piepst. Er klappt das Display auf, seine Mundwinkel schnellen nach oben, er liest die Nachricht vor: „Günter, ich bin und bleibe dein Freund.“ Das Handy schnappt zu, klack. Günter Wallraff lehnt sich zurück. Er ist erleichtert, für wenige Sekunden. Die Nachricht ist von Richard Brox. Auch sein Name steht am Klingelschild des Hauses in der Thebäerstraße.

Brox war obdachlos, Wallraff lernte ihn bei einer Recherche kennen. Sie zogen zusammen durch die Kälte. Wallraff schrieb eine Reportage über Obdachlosigkeit. Er bot Brox an, kostenlos bei ihm zu wohnen. Brox zog ein, er bekam einen eigenen Schlüssel, er blieb einige Monate. Sie spielten Schach und diskutierten.

Fahnemann habe die Blauäugigkeit von Wallraff schamlos ausgenützt, sagt Brox. Zuerst habe er sich als „der Sekretär“ bezeichnen lassen. Dann habe er mehr gewollt. „Er tat so, als ob er der neue Wallraff sei“, sagt Brox. Fahnemann habe ihn damals aufgefordert, keine Rücksicht auf Wallraff zu nehmen. „Nimm, was du kannst“, habe Fahnemann gesagt. „Greif ab, was geht!“

Wallraff, sagt Brox, sei immer nett zu ihm gewesen. Manchmal sei er schroff am Telefon. Aber das sei normal, Wallraff stehe schließlich in der Öffentlichkeit.

Auch Freundlichkeit ist eine Zeitfrage.

Wäre das Leben von Günter Wallraff ein Jump-and-Run-Spiel, dann gäbe es dort Angreifer, die Verfolger und die Freunde. Es gebe die Offensive und die Defensive und neun Leben. In diesen Tagen wirkt Günter Wallraff, als müsse er sich verteidigen, als hätten die Angreifer den inneren Schutzring durchbrochen: Fahnemann ging über diese Treppen, er saß am Küchentisch. Er wollte Geld.

Ein Stockwerk höher musste zur gleichen Zeit ein junger Mann um sein Leben bangen, ein Rapper aus dem Iran, Shahin Najafi. Iranische Ajatollahs empfanden seine Lieder als Gotteslästerung, eine Webseite setzte ein Kopfgeld von 100.000 US-Dollar aus. Wallraff rief zur Solidarität mit Najafi auf, er beantwortete Presseanfragen für ihn, hielt ihn versteckt. Er versteckte ihn, wie er hier einst den Liedermacher Wolf Biermann versteckte, den die DDR gerade ausgebürgert hatte, oder den Schriftsteller Salman Rushdie; den einen jagten Bild-Reporter, den anderen wild gewordene Islamisten.

Salman Rushdie lebte viele Jahre im Untergrund, gerade hat er eine Biografie veröffentlicht. Die wild gewordenen Islamisten, sie haben ihn nicht kleingekriegt. Bis heute ist er mit Wallraff befreundet.

Wolf Biermann hat mit seinen Verfolgern von damals Frieden geschlossen. Im Mai gratulierte er dem Axel Springer Verlag zum 100. Geburtstag ihres Gründers: Es gebe nicht nur falsche Freunde, sondern auch falsche Feinde. Zur Geburtstagsgala in Berlin, schwarze Limousinen, roter Teppich, erschien Biermann mit seiner Frau. Vielleicht ist nicht jeder Mensch käuflich. Für den Axel Springer Verlag reicht Wolf Biermann, der Liedermacher. Zumindest für einen Abend.

Einen halben Marathon, einen ganzen Marathon

Als Fahnemann mit Wallraff brach, musste Najafi das Haus in der Thebäerstraße verlassen. Wallraff brachte ihn an einen neuen Ort. Er sei sich nicht mehr sicher gewesen, sagt Wallraff. Vielleicht hätte Fahnemann Najafi verraten, um 100.000 Dollar Kopfgeld zu kassieren. Vielleicht ist nicht jeder Mensch käuflich – es hätte ausgereicht, wenn André Fahnemann es ist. Für Najafi wäre das lebensgefährlich gewesen.

Es geht oft um Leben und Tod bei Günter Wallraff, nicht weniger.

Und darum, gestählt zu sein für den Kampf; er paddelt im Hochseekajak gegen den Wind, er sieht das Land als Silhouette; er läuft einen halben Marathon, einen ganzen Marathon; er tritt im Tischtennis an gegen Timo Boll, den besten Tischtennisspieler in diesem Land, und holt dabei sechs Punkte; und manchmal, wenn ihn eine Schulklasse besucht, dann klettert ihnen Günter Wallraff in seinem Garten etwas vor: Seht her, ich kann es noch!

Er muss es beweisen. Wallraff rennt. Und manchmal rennt er weg.

1992, zu seinem fünfzigsten Geburtstag, plante sein Verlag einen Empfang. Da sei er abgehauen, sagt Wallraff. Er fuhr nach Rostock und feierte mit den Opfern der Ausschreitungen in Lichtenhagen das Überleben. Er habe ihnen nicht gesagt, dass er Geburtstag hat. 2002, zu seinem sechzigsten Geburtstag, war Günter Wallraff in Afghanistan. Er eröffnete eine Mädchenschule. Und sein Siebzigster?

Er legt die Hände auf sein Gesicht, er sieht jetzt aus wie ein Arbeiter nach vier Wochen Spätschicht. „Ich habe mir nie vorstellen können, jemals so alt zu werden“, sagt Günter Wallraff. Er will nicht fotografiert werden in diesen Tagen, überhaupt nicht, es gebe doch genügend Bilder.

Vielleicht befürchtet er, man könne ihm Müdigkeit ansehen, das Alter oder gar die schlechten Träume aus seinem Buch: Flugzeugabstürze, Einbrüche, Entführungen. Auch Helden werden alt.

Manchmal, in letzter Zeit selten, hat Günter Wallraff einen guten Traum. Er breitet die Flügel aus, er steigt hoch und hebt ab. Er fliegt jetzt über Städte und Landschaften. Seht her, ruft er dann, ich habe die Schwerkraft überwunden!

Doch die Zuschauer im Traum tun so, als sei es das Selbstverständlichste, die Schwerkraft zu überwinden.

Das macht Günter Wallraff dann sauer.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • KK
    Karl K

    Steter Tropfen höhlt den Stein. Allentalben geht die Mailolage zu Ende!

    Hier auch? Na schon mir mal.

    Bei so viel Spatzen, die da von den Dächern pfeifen.

    Party is over. Fakts on the table. hier die n-te.

     

    TRÄUME EINES KÄMPFERS

    DIE GANZE GESCHICHTE

     

    - ja wo laufen sie denn? ham 'ses nich'n bißchen kleiner?

    Nicht BLÖD - nein taz!

     

    Ok. What makes him tick?

    - taz: "…Er könnte sich… vielleicht etwas ausruhen,… gäbe es nicht noch immer Menschen, die ihm die Anerkennung verwehren.…"

    Yeah, that's it! Chapeau!

     

    Das - ist des Pudels Kern.

    Verbindet ihn auf skurile Weise mit seine 'Freunden' Ralf Giordano, Salman Rushdie - ja klar, auch Wolf Biermann: ' wo ist das Mikro? wo ist die Kamera ? - komm ich gut rüber?'

     

    Klaus Theweleit hat sich in einem seiner Ziegelsteine: 'Orpheus geht zum Machtpol' u.a. an den Beispielen Elvis the pelvis und Gottfried Benn an dieser Thematik abgearbeitet:

     

    Und alles in ihrem Leben und was in ihrem Umfeld passiert, kriegt dann die Aura des Ich-besonderen. Schaut her, ich bin's - Ich, ich, ich ( Robert Gernhardt).- Schreibenlassen? Ich? - ich doch nicht; ich - ich kann schreiben! Klar doch - hier seht doch - meine Bücher!

     

    Und eilt über die Venne, sitzt in seinem Veedel beim Griechen und fixiert dabei jeden mit diesem bekannten WallraffenBlick: wer ist das? was will der hier? was weiß der? ist der von hier? will der was von mir? oder ich von ihm? welcher Sender? welche Zeitung? - - da! - der da! - spukt auf den Boden! -

    Aus beiden Richtungen - echt gewöhnungsbedürftig.

     

    Noch son Günni als selbsternanntes zwangsneurotisches Opfertier. Hübsch.

    Klettert, um zu zeigen, was er noch so drauf hat. Ok, schön - aber wer will das wissen? - gut mit 25 - mag sein - aber sonst?

     

    Träum weiter - Günter W.

    70 - und kein bißchen leise.

    Aber bitte, bitte - hör auf, dich so lächerlich in Indianer oder andere Ethnien umschminken zu lassen.

    Die - ja die, brauchen als stuntmen das Geld doch nötiger.

     

    Für den hoffentlich üppigen Rest?

    Es gibt ein Leben ohne mitleiderheischende Bugwelle!

    Doch, doch. Dann finden sich sicherlich auch solche Simultanschwachmaten wie ' groß Ä - Punkt ' nicht mehr ein.

     

    Vorwärts und nicht vergessen:

    Die Wahrheit - ist die Erfindung eines Lügners ( Heinz von Foerster ).

    Und jeder Manichäer ist auch ein Grobian ( W.B. ).

    … und dann kommt der große schwarze •

     

    Was bleibt? ' wallraffen ' - auf Latein:

    the internationall code for - " an art of investigative journalisem!"

    Und das - kann nicht jeder von sich sagen!

     

    Ende des Vorstehenden

     

    but @ …'FaktenStattFiktion' et al.

     

    Euch allen ins Stammbuch: Ihr habt offensichtlich in eurem Leben nie 'ne ehrliche Schûppe inne Hannen hat.'

     

    An Hochhäusern mit seit 30 Jahren verbotenen Hàngegerûsten arbeiten - ein Bolzen reißt - und die Crew einschl. Aburent geht abwãrts;

    fast jeden Tag Baustellenstillegung - but the games must go on!

    Der goldene Esel 'überspringt jede Baupolizei'.

    So geht das.

     

    Heißsand im Akkord einbauenn - ohne die vorgeschriebenen Schuhe mit Holzsohle - nur so merkste rechtzeitig, wenn sich die Fûßhaut hitzewise lösen kônnte !…usw usw

     

    Noch Fragen?

     

    ---// nicht eingerückt als Kommentar; aufklärerisch-links geht anders!

    —•

     

    Nachklapp

     

    Und dieser selbsternannte große Kämpfer entblödet sich nicht,

    sich von dieser kölschen Fischeinwickelgazette SCHNELLER-LÜGT'lesEXPRESS des Post-Arisierers NevenDumont, dem jeder anständige Mensch doch keinen Knochen geben würde, abfeiern zu lassen.

     

    Und wie! Groß mit Bild und Cinemascope-Grinsen.

    Da kriegen die markanten Ohren glatt Besuch.

    Noch son Mund und der Kopp wär ab.Sportlich in schicken Jeans - " gehe als Mitfünfziger durch"!!

     

    Ja geht's noch? Kotz-würg-übel.

    Auch den gutwilligsten Kredit kann man verspielen.

    Soll ich etwa Spucke sammeln?

     

    Sorry, aber mit Klaus Bittermann:

    " Warum sachlich, wenn's auch persönlich geht!"

     

    Die kostenlose Werbung für Alekos un sing Fru geht natürlich in Ordnung.

    Nötig haben die's und die Venne solches aber nicht.

     

    Ps von der taz nicht als Kommentar zum Abfeier-Interview zum 70. mit

    Felix Dachsel bisher nicht akzeptiert! Why not? please tell me!

  • G
    Glückwünsche!

    Seit "Ganz unten" kann ich Wallraff nur bewundern.

  • BM
    Bernd Markowsky

    Wallraff und seine Freunde

    Es muß im Jahr 1967 gewesen sein, ich war 16, als ein Freund meines Vaters, der Dichter Richard Leising, ein kleines Reclambändchen auf unseren Wohnzimmertisch legte und mit dem Zeigefinger auf den Buchitel tippte: „Wir brauchen Dich“. Er las diese Worte laut und zeigte dazu sein ironischstes Grinsen. Es handelte sich um Reportagen aus der Arbeitswelt, Betriebsreportagen, wie ein Dichter sie mochte. Ich hatte außer im obligatorischen „Unterricht in der sozialistischen Produktion“ alle zwei Wochen für zwei Stunden noch nie in einer Fabrik gearbeitet. Ich las dieses Buch einer Selbst- Aussetzung in unbequeme Verhältnisse, die andere wie ganz selbstverständlich durchleiden und erdulden, wie eine Offenbarung. Es enthielt eine Aufforderung und eine verborgene Hoffnung. Die Aufforderung, seine Umgebung genau zu betrachten, sie als Arbeitsfeld ernst zu nehmen, dem Anpassungsdruck nicht einfach nachzugeben, sie nicht nur für möglichst kurze Zeit als unbekannt und somit schwer begreiflich anzusehen, und die damit verbundene Hoffnung, daß dieses Fremdbleiben in fremdbestimmten Zusammenhängen eine sinnvolle Erfahrung sein kann.

    Ob dieser stille Reporter aus dem anderen Deutschland solche oder sehr ähnliche Erfahrungen auch in der DDR hätte machen können, war zumindest vorstellbar. Auch wenn Markworte und Parolen sich unterschieden, „wir brauchen dich“ klang durchaus vertraut. Aber wie war es denn nun genau, wie wurde hier gearbeitet, gelebt und gedacht, außerhalb der pausenlos weitergestanzten Schablonen in Zeitungen, im Radio, dem Fernsehen, dem, was wir etwas gedankenlos „Medien“ nennen? Eine Frage, eine der wesentlichen Fragen, die mich während meiner Jugend in der DDR nicht losließen. Später, als ich bereits Jahre in Fabriken staunend und lernend gearbeitet hatte, erweiterte sie sich zu einer Art Beschämung, nämlich der, daß es für unsere Verhältnisse keine adäquate Beschreibung, nichts auch nur annähernd Vergleichbares wie Wallraffs Betriebsreportagen gab. Unsere Verhältnisse waren eben doch andere. Todlangweilige Betriebsver¬samm¬lungen, auf denen außer dem Meister nie jemand sprach, Punktesysteme, die die ansonsten verfemte Konkurrenz ersetzten, Wandzeitungen der Besten .., jener ganze Munkuspunkus, auf den sich verständige Menschen einfach nicht einließen, und der dennoch ein ständig nervendes Hintergrundrauschen blieb. Außerdem ist es etwas anderes, mit dem Ziel, eine Reportage zu schreiben in eine Fabrik zu gehen, als dort sein Arbeitsleben zu fristen. Ich fing an, Notizen zu machen, Texte zu schreiben, doch die Erfahrungen, die sich ansammelten, auch die Selbsterfahrung, waren zu sperrig, ich sah mich außerstande, sie auf Reportagemaß zu schneiden. Jürgen Fuchs ermutigte mich und meinen Freund Gerd Lehmann, der als Haushandwerker im Jenaer Universitätsturm arbeitete, ständig, zu schreiben. Eines Tages sagte mir Jürgen, nachdem ich ihm etwas ausführlicher von meinen Erlebnissen erzählt hatte: Vielleicht solltest du einen Roman schreiben, über deinen Weg aus der Mittelschicht (meine Eltern waren „Intelligenzler“) in die Arbeiterklasse. Das war einleuchtend. Doch fehlte mir dazu die Muße, denn wir, das heißt: eine ganze Reihe von Freunden, mich eingeschlossen, waren inzwischen tief in Auseinandersetzungen mit der Staatskrake verstrickt, was eines Tages zu der absurden Verdächtigung seitens der Parteileitung meines Arbeitsherren führte, daß ich mich „in der Arbeiterklasse verstecke“.

    „ In der herrschenden Klasse, wozu muß ich mich da verstecken“, antwortete ich lachend. Ein Kulturbeauftragter der Stadt Jena warf Wolfgang Hikeldey und mir bei Gelegenheit des Verbots unseres Arbeitskreises Literatur vor, daß wir einen „Jenaer Frühling“ nach Vorbild des Prager anstrebten. Zu viel der Ehre, wenngleich nicht völlig unwahr.

    Die kleinen Reportagen, die ich schrieb, wurden im Sammelband „DDR konkret“ in Westberlin veröffentlicht, nach unserer Verhaftung und Ausbürgerung 1977.

    Ich nehme an, wir alle, oder zumindest die meisten von uns, neigen in Situationen des Drucks zu Eifer, verlieren zuweilen die Contenance. Wer die Reportagen ansieht oder erinnert, die Roland Jahn nach dem Mauerfall fürs Fernsehen machte, wird ihn wiederholt um Atemraum und Fassung ringen sehen, wenn er Ex- Stasioffizieren und ihren Helfern unbequeme Fragen stellt und sich mit ihren kaltschnäuzigen Abwimmeleien konfrontiert sieht, und dann wird er auch schon mal stiesig.

    In einem Interview in der Zeit vom 26.04.2012 , das Günter Wallraffs angebliche Stasi- Verstrickungen zum Thema hat, lese ich nun dies:

    „Wir wüssten gern: War für Sie die DDR am Ende das bessere Deutschland?”

    Ich kenne den Fragesteller nicht, er wird auch nirgendwo vorgestellt, doch würde ich ihn gern fragen, wer oder was sich hinter seinem aufgeblasenen „Wir“ verbirgt. Außerdem frage ich mich, was ihn dazu bringt, sich derart zu ereifern und diese Frage im Verhörton zu stellen. „Sind oder waren sie Mitglied?“, das ist der Ton, der das ganze Interview durchzieht. Einen Autor, der nie jemanden, weder sich noch andere, je verraten hat, so anzugehen, noch dazu in einer bürgerlichen Wochenzeitung ist schon bedenklich und des Bedenkens wert. Was Wallraff verraten hat, waren vor allem streng gehütete Betriebsgeheimnisse von Mächtigen. Sein Verrat war außerdem konkret und nicht theoretisch- zweischneidig wie Machiavellis, er gibt den Fürsten nichts an die Hand.

    Die DDR als „besseres Deutschland“, daran sei ebenfalls erinnert, war eine Fiktion, ein Traum, den auch die Stastsfeinde Nummero eins und zwei Robert Havemann und Wolf Biermann teilten und propagierten, wobei sie unermüdlich, in Wort und Lied, darauf hinwiesen, was ihr fehlte, um es wirklich werden zu können, dieses ersehnte besseres Deutschland. Und vielleicht geht es genau darum, möglicherweise ist dies der tiefere Grund, aus dem heraus sich der Interviewer so echauffiert: Daß es damals ein Denken gab, das nach Alternativen zu beiden Systemen suchte. Leben wir wieder einmal in „der besten aller möglichen Welten“, wo sich grundsätzliche Infragestellung, Suche nach Auswegen, wie von selbst verbieten?

    Merkwürdig, daß die Menschen unserer Zeit sich durchaus das Ende der Welt vostellen können, doch nicht das Ende des Kapitalismus.

    Ich selbst habe Günter Wallraff einen Anstoß zu verdanken, der mir über das Medium eines dünnen Reclam-Bandes in meiner Jugend zuteilwurde. Wenn nun, was ich nicht weiß, dennoch vermute, jener Freund von ihm, der damalige Kulturredakteur Heinz Gundlach, eine Aktie daran hat, daß dieses Buch in der DDR veröffentlicht werden konnte, schulde ich auch ihm Dank, unabhängig von seiner Stasi- Verstrickung.

    Nach dem Mauerfall habe ich einige Jahre für den BasisDruck Verlag im Prenzlauer Berg gearbeitet, der sehr viel Energie und Geld in die Stasi- Aufkärung vor der Sicherung der Akten gesteckt hat. Als die dann in eine Behörde überführt wurden, wofür wir uns unermüdlich eingesetzt hatten, gaben wir Handbücher heraus, die die Struktur dieses Geheimdienstes und die wichtigsten seiner kryptischen Kürzel erklärten. Eine der grundlegenden Informationen betrifft die Einordnung derjenigen, die als inoffizielle Mitarbeiter in den Akten vermerkt sind. Die Spitzel gehörten zur B- Kategorie (mit Feind- Berührung). Eine abgeschöpfte Quelle (A- Kategorie) konnte jeder sein, dessen Äußerungen irgendwie verwendbar schienen und aufgezeichnet wurden, vorausgesetzt, er wurde nicht selbst in einem operativen Vorgang „bearbeitet”. Was bedeutet, daß die in dieser Kategorie geführten oft nicht wußten, daß sie „abgeschöpft“wurden.

    In einem Artikel in der Welt (die sich ja bekanntlich gewandelt hat) vom 22. 04. 2012 mit dem Titel „Kam Ali aus Ost-Berlin?, lese ich zum Thema Rosenholzdateien: „In jenen Dateien steht auch der Name eines der bekanntesten Journalisten der Bundesrepublik: Günter Wallraff. Das wurde allerdings erst gut zehn Jahre später bekannt, als es unsere Tageszeitung die 'Welt' enthüllte. Damals, im Jahr 2003, hatte Amerika die letzten Datenträger gerade an die Behörde für die Unterlagen der Staatsicherheit übergeben. Und nach einem anfänglichen Dementi musste die Behörde bestätigen, dass Wallraff dort in der IM-Kategorie „A-Quelle“(Abschöpfquelle) mit dem Decknamen Wagner“auftaucht. Hinweise auf eine aktive Tätigkeit als IM 'Wagner', hieß es in der damaligen Pressemitteilung schließlich, 'liegen für den Zeitraum 1968 bis 1971 vor'. Günter Wallraff bestreitet dies.“

    Was? Seine Eintragung als A-Quelle?. Die ist unbestritten, was er bestreitet, ist, daß dies mit seinem Wissen geschah, also eine aktive Tätigkeit für die Stasi. Was sonst? Was sonst in diesem Artikel zusammen¬getragen wurde, sind Kolportage und Mutmaßungen. Das krampfhafte Bemühen, irgendetwas Verwendbares finden, am besten eine oder zwei alte, sich im Stich gelassen fühlende Geliebte, spricht für sich.

    Im Urteil von 2010 Wallraff gegen Axel Springer AG vor dem Oberlandesgericht Hamburg findet sich unter Absatz 13 folgende Passage:

    „Irn Zusammenhang mit der angeführten -Auskunft vom 25. November 1976 (Anlage B 9) fällt schließlich auf, dass die Begriffsbestimmung einer A-Quelle vom 31. August 1984 als eine Personen abschöpfende Quelle inhaltlich nicht mit den dort beschriebenen „bisherige(n) Ergebnisse(n) der Zusammenarbeit" in Einklang zu bringen ist. Danach soll der Schwerpunkt in der Lancierungstätigkeit des Klägers gelegen haben und sollen auf dem Gebiet der Informationstätigkeit einige brauchbare Ergebnisse erzielt worden sein, „Keine Ergebnisse" jedoch „auf dem Gebiet der Personenhinweisbearbeitung". In diesem Sinne betont die Beklagte in der Berufungsbegründung nachdrücklich, dass eine Spitzeltätigkeit des Klägers, bei der Personen ausgespäht werden, „... gerade nicht der wesentliche Inhalt seiner Zusammenarbeit mit dem MfS ... „gewesen sei. Der Kläger sei vielmehr Einflussagent gewesen, über den das MfS politische Botschaften in die westdeutschen Medien habe transportieren können.“

    Die „Beklagte“ ist hier der Springer- Konzern, der ausdrücklich betont, daß Wallraff kein Spitzel gewesen sei, sondern „politische Botschaften in die westdeutschen Medien“ getragen habe – Botschaften des MfS, nicht eigene, wohlgemerkt. Da liegt des Pudels Kern, die Umkehrung von „Schwarz auf weiß“in schwarz in Weiß. Der Aufschwall um Wallraff ist rein politischer Natur. Möglicherweise entzieht sich dem Verständnis der Konzern- Vertreter eine authochtone kritische Haltung zur Bundesrepublik, nicht anders, als wir das von der Gegenseite, des im Sonnenrot untergegangenen Mega-Staates, kannten.

    Was den Welt- Artikel betrifft, bleibt in mir als fernes Echo die Stimme des Stasi- Offiziers Rolf Wagenbreth, ehemaliger Chef für Desinformation, am Gartentor seines Hauses in Bad Saarow: „Wir hatten viele dieser Wallraffs“. Was nichts zeigt, als ihren Wahn, die Welt auf Tasche zu haben, ausnahmslos alle beherrschen zu wollen und in Kategorien zu subsumieren - sowie die Geilheit des Jägers in Gestalt eines Journalisten, der ihm glaubt und doch nur dem Phantom Macht nachjagt.

  • G
    Glückwunsch

    Herzlichen Glückwunsch, Herr Wallraff, auch ich bin ein Freund.

     

    Zumindest hat er Phantasie und Hilfsbereitschaft bewiesen.

    Wenn das alle täten, sähe es in Deutschland anders aus.

     

    Für mich ist er ein Vorbild an Zivilcourage.

  • A
    aurorua

    Lieber Herr Wallraff,

     

    ich habe mir sagen lassen, dass kiffen vor dem einschlafen zumindest dafür sorgt, dass einem die Träume nicht mehr bewusst werden. Einfach mal probieren, wäre doch besser als so ein nächtlicher Horror.

     

    Alles Gute!

  • V
    vic

    Günter Wallraff, auch ich bin ihr Freund.

    Herzlichen Glückwunsch!

  • AG
    Alles Gute

    Das mit den Stasi-Kontakten lassen wir mal unter den Tisch fallen. Er setzte sich ja für das Gute ein auch wenn seine Art mit Realitäten umzughen und zu verallgemeinern der der "Bild" nicht unähnlich war. Normalerweise macht man solche Berichterstattung bei gerade Verstorbenen. Nennt sich dann aber nicht Journalismus sondern Nachruf.

  • W
    wallRaffgier

    ...fehlt eben nur mal wieder der Hinweis, wer die Bücher für ihn schreibt... Ob das Herr Wallraff undercover vielleicht irgendwann selbst aufdeckt?

  • C
    Cometh

    Ich freue mich, dass Wallraff 70 wurde, glückwunsch; er hat einiges Gute bewirkt, selbst wenn man die Bücher heute nur noch mit Mühe lesen mag.

     

    Und ich sehe die Fotos vor mir: Wallraff als Türke Ali oder das seltsamste, als Farbiger mit Afrofrisur, fast zum lachen, v.a. weil er immer denselben Gesichtsausdruck hat.

     

    Aber, aber, was ist das für eine Berichterstattung?

     

    Bei jedem anderen Autor hätte man schon im ersten Absatz etwas zu seiner Vermögenslage gesagt. Jede 4. Frage die der allseits beliebte Herr S. beantworten darf, ist ja, dass er jetzt ja so reich sei und was er mit dem Geld mache.

     

    Warum also kein Wort darüber, dass W. sich sehr reich mit dem Elend anderer Leute geschrieben hat ? Gelten etwa unterschiedliche Maßstäbe ? Das können wir doch nicht glauben und hoffen, dass Herr Wallraff dies ermittelt, der bekäme nämlich auch dies heraus...

  • A
    Antoni@

    Mit der "aufdeckung" von Rassismus hat der gute Wallraff sich ja nicht gerade mit Ruhm bekleckert. zum einen mit albernem und rassistischem blackface-outfit durch deutschland ziehen (großartig die whiteface aktion von Noah Sow dazu: http://www.noahsow.de/blog/2009/11/02/whiteface-zu-halloween-dieses-jahr-mal-als-wallraff/). zum anderen zu behaupten, etwas "aufzudecken", über das Schwarze und PoC Autor_innen seit Jahrzehnten schreiben, leider aber selten wahrgenommen werden. Das ist schon ziemlich dreist. da hätte er seinen bekanntheitsgrad eher dazu nutzen können, um mal Bücher von Schwrazen oder PoC Autor_innen öffentlich bekannter zu machen.

     

    Trotzdem Respekt für die vielen anderen wichtigen Aktivitäten!

  • M
    Matthias

    Mieser, selbstgerechter Selbstdarsteller. Dem sind die Dinge, die er anfangs durchaus mal bewegt hat, bös zu Kopfe gestiegen. Heute so peinlich wie Grass. Allerdings viel mehr Doppelstandards (siehe sein Verhalten gegenüber Mitarbeitern. Könnte er sich bei Axel Springer, die er ja so gerne kritisiert, nicht erlauben)

  • M
    m-black

    Lieber Herr Wallraff

     

    Ich bin ein Konservativer, ein CDU-Wähler. Wir sind wohl in manchen Fragen nicht derselben Meinung. Aber gerade als Konservativer schäme ich mich für manche Manager und Unternehmer, die ihre Angestellten - immerhin Mitmenschen, ob sie nun schwarz oder weiss, muslimisch oder christlich, männlich oder weiblich sind - im wahrsten Sinne des Wortes nicht nur finanziell ausbeuten, sondern sogar deren Gesundheit aufs Spiel setzen.

     

    Ich kenne Sie nicht persönlich. Und ich weiss auch nicht, ob Sie egomanisch oder altruistisch veranlagt sind und welche Beweggründe Sie für Ihre Recherchen haben. Aber das spielt für mich keine Rolle. Denn es gilt das Zitat "Es gibt nichts Gute, ausser man tut es". Und Sie tun!

     

    Sie decken wahrhafte Misstände auf in dieser Republik und setzen dabei Ihre eigene Gesundheit aufs Spiel.

     

    Dafür danke ich Ihnen!

  • G
    Gerd

    Ein eiskalter Geschäftemacher der die Ergebnisse seiner "Reportagen" schon vorher wusste und "anpasste"

    Da ist die von ihm so gescholtene BILD journalistisch korrekter.

  • W
    wewe

    ich glaube, dass Herr W. keine Selbstkritik verträgt. Was bringt mir dann seine Kritik anderer?

    In letzter Zeit höre ich auch schrille Töne der Provokation/Vermarktung im Wasser des Mainstreams - Kann man enttäuscht sein?

  • U
    Ulli

    Grenzenlose Bewunderung...leider gibt es nicht mehr Menschen dieser Sorte.Klar ist er anstrengend, auch für sich selbst.

  • O
    oekofuzzi

    Sehr schöner Artikel der Günter Wallraff so beschreibt wie ich ihn mir anhand seiner Bücher immer vorgestellt habe, nur die Sache mit den Träumen beunruhigt mich.

    Nicht das er auf die Idee kommt im Selbstversuch Beerdigungsunternehmen zu testen.... aber dafür ist er zu schlau.

    Alles Gute für die nächsten 70 Günter

  • T
    Tapete

    Das Wallraff selber ein Ausbeuter ist, sollte mithin inzwischen bekannt sein. So ein Artikel ist in diesem Lichte nichts mehr als ein Witz!